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Zwei Regierungen in Libyen

Die Taschenspieler von Tripolis und Tobruk

Feature

Libyens rivalisierende Parlamente überraschen mit einem gemeinsamen Fahrplan – und hebeln den Kompromiss aus, der eine Einheitsregierung anstelle der Milizenherrschaft setzen soll. Das hat Folgen für den anstehenden Kampf gegen den IS.

Delegierte der beiden konkurrierenden Parlamente Libyens haben sich am 5. Dezember überraschend auf die Beilegung des Konfliktes und einen Fahrplan für eine Regierung der nationalen Einheit geeinigt. Innerhalb von zwei Wochen sollen jeweils fünf Vertreter der beiden Parlamente einen Premierminister und zwei Stellvertreter ernennen, die jeweils das international anerkannte Repräsentantenhaus und den Nationalkongress in Tripolis repräsentieren. Auf einer Pressekonferenz in Tunis wurde zudem die vorübergehende Reaktivierung der Verfassung von 1951 verkündet, die den drei Provinzen Libyens autonome Rechte zugestand.

 

Was als Kurzmeldung in internationalen Medien wie das lang erwartete Ende des Bürgerkrieges in Libyen klang, ist tatsächlich das Gegenteil. Für den libysch-libyschen Überraschungscoup haben sich diejenigen zusammengetan, die vor dem Gesetz und der libyschen Öffentlichkeit längst jegliche Legitimität verloren haben – und nun fürchten, mit dem von den Vereinten Nationen ausgehandelten Friedensabkommen ihre Macht zu verlieren.

 

Einig sind sich die verfeindeten Parlamente, deren Mandate abgelaufen sind, nur über eines: Die kommende von der UN vermittelte Einheitsregierung wird eine ausländische Intervention gegen den IS mit sich bringen und diese könnte, in Form einer Militärmission oder als Hilfe bei dem Wiederaufbau von Polizei und Armee, auch das Ende der Willkürherrschaft der Milizen einläuten. Die Macht der Hardliner beruht auf deren Waffen, daher sind sie der internationalen Gemeinschaft ein weiteres Mal zuvor gekommen. Denn diese konnte sich in Nachkriegs-Libyen bisher nur auf eines einigen: »No boots on the ground« – keine Bodentruppen auf libyschem Territorium.

 

Dass mit der Zurückhaltung nun Schluss ist, zeigt der in wenigen Tagen ausgehandelte innerlibysche Dialog am deutlichsten. Doch der Meinungsumschwung kommt spät, vielleicht zu spät. Mit dem Einbruch der Ölförderung, der Expansion des »Islamischen Staates« (IS) in mittlerweile drei Städten und dem Menschenschmuggel über das Mittelmeer ist Libyen schon lange zu dem Unsicherheitsfaktor Nummer Eins für das südliche Europa geworden. Die Freude über die Einigung von Tunis hält sich bei den Vereinten Nationen und den internationalen Diplomaten in Grenzen. Schon der Mangel an Details der Vereinbarung zeigte, dass das Ziel der Initiative ist, die vom deutschen UN-Sondergesandten Martin Kobler übernommenen Friedensverhandlungen auszuhebeln.

 

Die Hardliner meines es ernst – und fürchten Anklagen wegen Kriegsverbrechen

 

Die in einem Jahr mühsamer Verhandlungen zusammengeschweißte und nach Tunis geflohene Diplomatenszene gibt sich betont unbeeindruckt. Man will die von den UN favorisierte Zusammensetzung der Einheitsregierung nach der bevorstehenden Libyen-Konferenz in Rom am 13. Dezember durchsetzen. Dann wird Italien wohl auch offiziell die Führung einer Militärmission in Libyen verkünden, die gegen den IS vorgehen und den Schutz der künftigen Einheitsregierung übernehmen soll.

 

Doch auch die Hardliner des Nationalkongresses in Tripolis und des Repräsentantenhauses meinen es ernst. Der Kongress-Vorsitzende Nouri Abusahmain, seinem Stellvertreter und Anderen sitzen die Milizen und die Furcht vor einer Anklage des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag im Nacken. Vielleicht wird es neben den beiden aktuellen Parlamenten und Regierungen auch bald zwei Einheitsregierungen geben. Der neue UN-Sondergesandte Martin Kobler zeigt sich optimistisch, den von seinem Vorgänger Bernadino Leon ausgehandelten Friedensplan noch vor Jahresende 2015 zu aktivieren, da die beiden Parlamentsvorsitzenden diesen bisher nur durch Verhinderung einer Abstimmung sabotieren konnten.

 

Wie locker und gelöst der Vizepräsident des Repräsentantenhauses, Ibrahim Amish, und Nuri Abusahmain zur Unterzeichung in einem Hotel zusammen auftraten, zeigt dass man beide Seiten wohl längst zu einer Einigung hätte drängen können. Denn die Feindschaft zwischen den Bewegungen Karama (»Würde«) und Fajr (»Morgengrauen«) sind gesellschaftlich nicht fest verankert, es geht eigentlich nur um den Zugang zu den Geldtöpfen von Afrikas einst reichstem Land. In der ölreichen Cyreneika fühlt man sich wie schon zu Zeiten von Muammar Al-Gaddafi vom politischen Leben ausgeschlossen. Der Sprecher des Parlaments in Tobruk, Aguila Saleh, begründet seine Abstimmungsblockade des UN-Friedensplanes denn auch mit der Furcht vor der Spaltung Libyens.

 

Funktioniert eine schnelle UN-Eingreiftruppe wie im Kongo auch in Libyen?

 

Während die Befürworter der internationalen Verhandlungen mehrheitlich aus dem Westen Libyens kommen, stammen die Gegner aus dem Lager der Föderalisten oder der Armee im Osten. »Die internationalen Diplomaten glauben, dass ein Abkommen tatsächlich eingehalten wird, aber die Politiker in Tripolis würden schnell zu Geiseln der Milizen oder des einsickernden IS« so ein Parlamentarier aus Benghazi.

 

Dass diese Furcht nicht unbegründet ist, zeigt die Entführung von Mohamed Al-Gaddar. Der ehemalige Minister für Planung wurde während eines Besuchs bei seiner Familie in Tripolis von Unbekannten verschleppt. Seit dem Ausbruch eines Machtkampfes zwischen Milizen aus Misrata, die zukünftig die Hauptstadt sichern sollen, und lokalen Warlords verschlechtert sich die Sicherheitslage zusehends. Gleichzeitig expandiert der IS, der mit Sabratah, Ajdabiya und Gaddafis ehemaliger Hochburg Sirte nun drei größere Städte in Libyen kontrolliert. Britische Militärexperten bereiten daher zurzeit in Tunis den Schutz der nach Tripolis zurückkehrenden Botschaften in einer Art Grünen Zone vor – ähnlich wie einst in Bagdad.

 

Die durch die innerlibysche Initiative zustanden gekommene Einheitsregierung würde allerdings keine ausländische Hilfe beim Kampf gegen den IS anfordern, einige ihrer Milizen unterhalten ganz offen Kontakte zu den Extremisten. Martin Kobler hat sich als Leiter der UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo einen Namen als harter Hund gemacht. Der ehemalige Büroleiter von Joschka Fischer verschaffte dem dahinsiechenden, weltweit größten Bauhelmeinsatz mit einer schnellen Eingreiftruppe Respekt bei den Warlords im kongolesischen Dschungel.

 

Der Angriff auf die US-Botschaft 2012 hätte zum Umdenken führen müssen

 

Koblers Ernennung als UN-Sondergesandter für Libyen war ein klares und lang erwartetes Signal, dass Nordafrika nach jahrelangem Wegschauen nun wieder auf der Agenda der Weltdiplomatie steht. Zu spät hat man bemerkt, dass Libyen für die Strategen des IS kein Ersatzkalifat ist. Es ist die Basis für die Expansion nach Afrika, wo ein Millionenheer perspektivloser junger Männer auf der Suche nach einer wirtschaftlichen Existenz ist.

 

In Sirte und Sabratah verkaufen die Gotteskrieger ihr Weltbild als Weg zu einer gerechteren Gesellschaft. Sie sind die besseren Sozialarbeiter als der zerfallende Staat und bauen ein funktionierendes Herrschaftssystem mit Gerichten und einfachen Regeln auf. Ihr Erfolg beruht neben dem üppigen Sold auch auf den Folgen des Isolationsgesetzes von 2012, das den Ausschluss der ehemals Gaddafi treuen Stämme aus dem politischen Leben Libyens verfügte. Nun ist die vom Islamischen Staat geschaffene Gesetzgebung zwar radikal, aber die einzig funktionierende. Die Metamorphose einiger ehemals revolutionärer Milizen hin zu den dschihadistischen Ansar Scharia und nun dem IS geschah so schleichend, dass es selbst viele Libyer kaum Notiz davon nahmen.

 

Und die westlichen Geheimdienste blieben passiv, als aus den Arsenalen des Nach- und Bürgerkriegs-Libyen Waffen in mehr als ein Dutzend Konflikte geliefert wurden. Von Benghazi aus kontrollierte die CIA sogar die Bewaffnung von Anti-Assad-Kämpfern durch libysche Milizen, die dann über die Türkei nach Syrien reisten. Spätestens als Mitglieder dieser Gruppen am 17. Februar 2012 den US-Botschafter Chris Stevens umbrachten, hätte man in Europa umdenken sollen und Libyens Milizenführern mit Sanktionen drohen müssen.

 

Doch nicht ein einziger von ihnen musste sich für bisher für Kriegsverbrechen verantworten. Auch weil sie internationale Partner haben. Anders als die EU-Diplomaten hatten vor allem die Golfstaaten Libyens strategische Lage zwischen Sahara und Mittelmeer erkannt. Die traditionell moderaten Moscheen in Afrikas ölreichstem Land sind nach einer ausgefeilten Wahhabisierungskampagne mittlerweile mehrheitlich in der Hand von Extremisten.

 

Brennpunkt Benghazi

 

Aus Europa nahm man das aggressive Vorgehen der Vertreter des politischen Islams genauso wenig wahr wie die Versuche der nach Kairo geflohenen ehemaligen Gaddafi-Elite, in Libyen wieder Fuß zu fassen. In der Wüstenstadt Sabha im südlibyschen Fezzan wäre es einer im Niger zusammengestellten Truppe unter Führung von Al-Saadi Gaddafi im Frühjahr fast die Machtübernahme gelungen.

 

Vor allem die Bürger Benghazis warten vergeblich auf Hilfe. Aus Furcht, der von Muammar Al-Gaddafi geplante Angriff auf Libyens zweitgrößte Stadt könnte eine riesige Flüchtlingswelle und die Zerstörung der Stadt zur Folge haben, hatte sich eine Allianz unter Führung des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy 2011 zu Luftangriffen entschlossen. Fast fünf Jahre später liegt die Innenstadt Benghazis in Trümmern. 400.000 Libyer sind auf der Flucht.

 

Drei Mal sind die Bürger Benghazis seit 2012 gegen die Milizen auf die Straße gegangen, die unter dem Banner der Revolution eine Willkürherrschaft errichtet hatten. »Nie wieder Diktatur«, war die Parole der Aktivisten, mit deren Protest gegen die Verhaftung des Rechtsanwalt Fathi Terbil am 15. Februar 2011 der Volksaufstand begann. Die Rückkehr der Diktatur kam schneller, als sie es sich vorstellen konnten. Den Islam nutzen die Bewaffneten meist nur als Marke, um sich den Anschein von Legitimität zu erwecken, während die meisten Bürger in ihre Alltagsjobs zurück gekehrt waren. Die Versuche der mittlerweile mit dem IS verbündeten Gruppen Benghazi zu übernehmen, fanden kaum Beachtung.

 

Nun kreisen wieder französische Aufklärungsjets über der Stadt. Doch um Libyen zu befrieden, wird sich die Weltgemeinschaft mehr einfallen lassen müssen, als Bomben auf Milizenlager abzuwerfen. Die 200.000-Einwohner-Stadt Sirte haben rund 1.000 Kämpfer in wenigen Wochen unter Kontroller gebracht. Wer sich schlecht behandelt fühlt, kann sogar gegen IS-Kämpfer vor Gericht ziehen, berichten Einwohner. Ein lokaler Journalist glaubt, eine ausländische Intervention in Sirte könnte den Gotteskriegern sogar Sympathien einbringen. »Sie haben in den lange vom politischen Leben ausgeschlossenen Städten ein radikales Rechtssystem aufgebaut. Aber es ist das zurzeit einzig funktionierende.«

Von: 
Mirco Keilberth

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