Lesezeit: 6 Minuten
Artenschutz in Libyen

Unsere libysche Arche

Feature
Artenschutz in Libyen
Die Lagune vor der Halbinsel Farwa bietet unter anderem Amphibien wie der Karettschildkröte ein Refugium. Foto: Osama Ananah

An der westlibyschen Küste setzen Aktivisten ein Zeichen gegen die Verschmutzung des Mittelmeers. Der Artenschutz auf einer fünf Kilometer langen Landzunge ist auch Teil eines Kampfes um das eigene Kulturerbe.

Shukri Dahhan suchte eine Oase der Entspannung. Nicht mal zwei Jahre nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes war Libyen zwar noch nicht in den Bürgerkrieg versunken, der das Land seit etwa vier Jahren im Würgegriff hält, doch schon damals tauchten Waffen allerorts auf. So auch in seinem Ausflugsziel, der Halbinsel Farwa. Der Lärm einer explodierenden Handgranate riss Dahhan aus seiner Ruhe. Es waren keine rivalisierenden Milizen, die sich ein Scharmützel lieferten, sondern Küstenfischer. In den Gewässern um Farwa sollen die Detonationen mehr Fische in die Netze treiben, richten aber beträchtlichen Schaden für Flora und Fauna an. Shukri Dahhan dämmerte, dass die friedliche Landzunge ohne Schutzmaßnahmen auf lange Sicht kaum zu retten sein würde. Kurz darauf schloss er sich mit ein paar gleichgesinnten Naturfreuden zusammen und gründete 2013 die NGO »Bado«.

 

»Bado« ist das Wort für Hügel auf Amazigh, der Berber-Sprache, die in der Region westlich der Hauptstadt Tripolis gesprochen wird. Farwa erstreckt kurz hinter der tunesischen Grenze über knapp fünf Kilometer vor der libyschen Küste und formt eine geschützte Bucht. Während auf den Dünen zahlreiche Wandervogelarten wie Schwalben und Möwen nisten und überwintern, bietet die Lagune unter anderem Amphibien wie der Karettschildkröte ein Refugium. Sie gehört zu den Küstenbewohnern, deren Bestände auch wegen der Fischereipraktiken in den vergangenen Jahren beständig zurückgingen.

Artenschutz in Libyen
Auf den Dünen von Farwa nisten und überwintern zahlreiche Wandervogelarten wie Schwalben und Möwen.Foto: Osama Ananah

 

Und so richtete sich die erste Kampagne der Aktivisten von »Bado« an die Fischer aus ihrer Umgebung. Das Kalkül: Ein Bewusstsein für das fragile Gleichgewicht von Küste, Dünen und Marschlanden auf und um Farwa nützt letztlich allen: denn kippt das Ökosystem, verlieren auch die Fischer ihre Lebensgrundlage. Nicht nur bei diesem Pilotprojekt erwies sich die Einbindung von Berufsverbänden und Verwaltung vor Ort als Schlüssel für den Erfolg im Kleinen. So konnte »Bado« etwa auch die Lokalverwaltung überzeugen, ein Fahrzeugverbot auf Farwa durchzusetzen. Der Lärm des Durchgangsverkehrs hatte die Brutstätten gefährdet, die Abgase die Luft- und Wasserqualität beeinträchtigt. Anfang der 2000er Jahre war die Insel künstlich erweitert und ans Land angeschlossen worden.

Für das Pilotprojekt der Naturschutz-NGO »Bado« erwies sich die Einbindung von Berufsverbänden und Verwaltung vor Ort als Schlüssel für den Erfolg im Kleinen. 

Auch die Maßnahmen für den Artenschutz erforderten ein breites Bündnis. Die Erfahrung der Küstenfischer und die Expertise von Veterinärmedizinern etwa erwies sich als unerlässlich, um ein Programm zur Bestandserholung der Meeresschildkröten auf die Beine zu stellen. So kartierten die Aktivisten die bekannten Brutplätze der Amphibien auf dem Eiland. Sie inspizierten regelmäßig die Nester, um die Schlüpfchancen der Babyschildkröten zu erhöhen. Und gemeinsam mit den Tierärzten schulten die Aktivisten Küstenfischer im Umgang mit verletzten oder erkrankten Exemplaren.

Artenschutz in Libyen
Farwa erstreckt kurz hinter der tunesischen Grenze über knapp fünf Kilometer vor der libyschen Küste und formt eine geschützte Bucht. Foto: Emad Omran

 

Doch die größte Bedrohung für Mensch und Natur liegt unmittelbar am Fuß der Landzunge. In den 1980er Jahren wurde hier eine Chemiefabrik in den Küstensand gesetzt. In Abu Kammash wurden hauptsächlich PVC und andere Kunststoffe hergestellt, oft unter Einsatz hochgefährlicher, oft krebserregender Chemikalien. Die ordnungsgemäße Entsorgung der Giftstoffe ist aufwändig und kostet Geld – nicht erst seit der Schließung des Werks 2010 machten Gerüchte über krumme Deals und vergrabenen oder einfach ins Meer geworfenen Chemiemüll die Runde. Abu Kammash ist die toxische Hinterlassenschaft des Gaddafi-Regimes und eine schwere Hypothek für das Ökosystem des Marschlandes von Farwa.

Die größte Bedrohung für Mensch und Natur liegt unmittelbar am Fuß der Landzunge. Abu Kammash ist die toxische Hinterlassenschaft des Gaddafi-Regimes.

Abermals machten sich die Aktivisten von »Bado« sich daran, Aufklärungsarbeit und Forschung zusammenzubringen. Im Mai 2014 starteten sie eine Kampagne, um den tatsächlichen Belastungsgrad von Flora und Fauna zu messen. Die Forscher sammelten Bodenproben und sowie einige Testexemplare der am häufigsten in der Gegend vertretenen Fischarten.

 

Als die Resultate aus den Testlaboren in Tunesien eintrafen, verschlug es den Forschern und Aktivisten die Sprache: Die Messergebnisse für eine Reihe von Giftstoffen lagen weit über den erlaubten Grenzwerten und sorgten auch über die Küstenregion hinaus für Schlagzeilen: Schließlich bleiben die kontaminierten Fischbestände nicht auf das Ufer vor Farwa beschränkt, sondern betreffen Libyens ganze Küste und darüber hinaus die Fisch verarbeitende Industrie im Land.

Artenschutz in Libyen
Die Aktivisten von »Bado« räumen regelmäßig den Strand auf. Und gemeinsam mit Forschern sammeln sie Bodenproben und sowie einige Testexemplare der am häufigsten in der Gegend vertretenen Fischarten.Foto: Osama Ananah

 

Weil die nationalen Gesundheitsbehörden nicht reagieren konnten oder wollten, mussten die Aktivisten von »Bado« abermals in die Bresche springen. Dafür taten sie sich wieder mit Wissenschaftlern zusammen, diesmal mit Biologen und Gesundheitsforschern. In den Cafés in den angrenzenden Dörfern und Städten und auf den Fleisch- und Fischmärkten führten sie regelmäßige Messungen durch, um die Wasserqualität zu kontrollieren. Gemeinsam mit den Gemeindeverwaltungen stellten sie zudem Informationskampagnen auf die Beine, die die Bevölkerung für Hygienestandards sensibilisieren soll. Und die Aktivisten nahmen sich der am meisten verbreiteten Trinkwasserquelle an und untersuchten die Qualität von abgepackten Flaschen.

 

So wie »Bado« entsprangen in den vergangenen Jahren eine Reihe von NGOs, die Bürgersinn, Lokalinitiative, Verbraucherschutz und Wertevermittlung vereinen. Mit einigen von ihnen plant auch »Bado« Kampagnen, um so auch die Arbeitslast zu schultern. Zu den Partnern gehört beispielsweise die NGO »Pisida«, benannt nach der Amazigh-Bezeichnung für die antiken Ruinen nahe Farwa. »Pisida« hatte sich dem wohl größten Misssatnd an Libyens Küsten verschrieben: Dem Leid der afrikanischen Migranten, die von Menschenhändlern ausgenutzt wurden und nach dem Kentern überladender Gummiboote oft genug an den Stränden anschwemmten. Ende 2015 hatte »Pisida« für Schlagzeilen gesorgt, als sie Gräueltaten der Schmuggelbanden rund um Zuwara, der größten Stadt in der Umgebung, etwa zehn Kilometer östlich von Farwa, öffentlich anprangerte. Dennoch gelang es der Gruppe nicht, den Menschenhandel an der westlibyschen Küste signifikant aufzuhalten.

Artenschutz in Libyen
Die Forschungseinrichtung ist inzwischen auch beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen, besonders die Aufzuchtstation für Meeresschildkröten erfreut sich bei den Kindern größter Beliebtheit.Foto: Osama Ananah

 

Gemeinsam mit »Bado« wollen die Aktivisten von »Pisida« dennoch weiter Leben retten: die der hier vom Aussterben bedrohten Meeres- und Küstenbewohner. Auf dem Festland, genau gegenüber der Landzunge von Farwa, wacht mittlerweile eine kleine Forschungsstation. Von hier aus können die Aktivisten und Veterinärmediziner den Wildbestand überwachen und, wenn nötig, erkrankte Tiere versorgen. Und die Messergebnisse fließen in eine Datenbank, auf die künftige Forschung und Schutzmaßnahmen fußen können. Shukri Dahan hält eine weitere Aufgabe des neuen Beobachtungszentrums für noch wichtiger: Denn die Forschungseinrichtung ist inzwischen auch beliebtes Ausflugsziel für Schulklassen, besonders die Aufzuchtstation für Meeresschildkröten erfreue sich bei den Kindern größter Beliebtheit und vermittle so spielerisch ein Bewusstsein für Naturerbe und Umweltschutz.


Local Libya

Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts »Local Libya« entstanden, das 2016 von der Candid Foundation ins Leben gerufen wurde. Die Plattform verbindet Lokaljournalisten aus den verschiedenen Landesteilen und gibt den Autoren die Möglichkeit, journalistische Erfahrung zu sammeln und Geschichten aus ihren Gemeinden zu erzählen.

www.locallibya.com

Von: 
Osama Ananah

Banner ausblenden

Die neue zenith 02/2022 ist da: Reise zum Mittelpunkt der Erde

Reise zum Mittelpunkt der Erde

Die neue zenith ist da: mit einem großen Dossier zur Region Persischer Golf und überraschenden Entdeckungen. Von Archäologe über Weltpolitik und Wattenmeer zu E-Sports und großem Kino.

Banner ausblenden

Newsletter 2

Der heiße Draht

Frische Analysen, neue Podcast-Folgen, exklusive Einladungen zu Hintergrundgesprächen und Werkstattberichte: Jeden Donnerstag erhalten tausende Abonnenten den zenith-Newsletter. Sie  wollen auch auf dem Laufenden bleiben? Dann melden Sie sich hier kostenlos an.

Banner ausblenden

WM Katar

So eine WM gab es noch nie

Auf 152 Seiten knöpfen sich Robert Chatterjee und Leo Wigger alle wichtigen Fragen rund um die erste Fußball-WM in einem arabischen Land vor.