Der Krieg hat Jemens geschichtsträchtigste Metropole schwer gezeichnet. Die »Übergangsrat des Südens« stellt eine Rückkehr zur alten Volksrepublik in Aussicht – und ist eine der wichtigsten Kriegsparteien in Aden.
An einem Kreisverkehr in der Hafenstadt Aden im Süden des Jemen, unweit der Küste mit Blick auf den Golf, sitzt der 55-jährige Hatem Salih in einem Kiosk und verkauft Zigaretten und kalte Getränke. Er trägt eine Weste, auf deren Rückseite groß die Flagge des Süd-Jemen prangt, der ehemaligen »Demokratischen Volksrepublik Jemen«.
An der Wand seines bescheidenen Ladens hängen Fotos, auf denen er gemeinsam mit anderen Aktivisten der südlichen Separatistenbewegung posiert. Im Jahr 2007 schloss Salih sich der im selben Jahr gegründeten »Bewegung des Südens« an, die die Unabhängigkeit in den Grenzen von 1994 anstrebt. »Vor der Vereinigung war es viel besser in Aden«, erinnert er sich. »Wir werden kämpfen. Bis zum Tag meines Todes werde ich für den Süd-Jemen kämpfen.«
Der Hafen von Aden, das Tor zur Außenwelt, liegt im Schatten eines ruhenden Vulkans. Einst rühmte sich Aden seiner offenen Gesellschaft – hier lebten jahrhundertelang Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen Tür an Tür. Inzwischen sind die kosmopolitischen Tage Adens sind längst gezählt.
In den vergangenen Jahren haben politische und soziale Spannungen immer wieder zu Zusammenstößen in der Stadt geführt – seit 2015 grenzt Aden im Norden an die Gebiete der Huthi-Milizen, die sich regelmäßig Kämpfe sowohl mit den Separatisten, als auch den verbliebenen Truppen der Regierung von Abd Rabbo Mansur Hadi liefern. Die Intensivierung des Kriegsgeschehens war einer der Gründe für die Bildung des »Übergangsrates des Südens« (STC) 2017 – der institutionelle Ausdruck der »Bewegung des Südens«.
Der STC konnte sich aber auch deswegen halten, weil er ein strategisches Bündnis mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) einging, die für Geld- und Waffennachschub sorgen. In Aden konkurriert der STC zudem mit der Hadi-Regierung, die aus Sanaa fliehen musste und nun teilweise in der Hafenstadt ansässig ist. Da Hadis Truppen von Saudi-Arabien unterstützt werden, ist Aden auch immer wieder Schauplatz eines bizarren Stellvertreter-Konflikts zwischen den eigentlich miteinander verbündeten Golfstaaten VAE und Saudi-Arabien.
Der Konflikt brachte zudem salafistische Extremisten auf den Plan. So fasste etwa Al-Qaida in der Stadt Fuß, rekrutierte vor Ort und ging mit Gewalt gegen die Minderheiten der Stadt vor – so zerstörten die Extremisten eine Synagoge und einen zoroastrischen Feuertempel.
In den vergangenen sechs Jahren habe ich Aden dreimal besucht, um in Bildern und Videos die verschiedenen Phasen des Konfliktes zu dokumentieren. Während meines letzten Besuches im Ende Dezember 2019 überraschte mich vor allem, wie viele der kriegsmüden Stadtbewohner sich nach der kommunistischen Vergangenheit zurücksehnten – die Zeit von 1976 und 1990, in der Aden die Hauptstadt der Demokratischen Volksrepublik Jemen gewesen war.
Die Frauen der Stadt machen die Einheit des Jemen im Jahr 1990 für den Aufschwung des Konservatismus und die Beschränkung von Frauenrechten verantwortlich. »Damals begannen sich die konservativen Traditionen des Nordens in unsere Gesellschaft und unsere Köpfe einzuschleichen«, sagte mir die 24-jährige Aqdar Al-Gindy. Sie ist den Krieg leid, der ihr Land zerrissen hat, und lehnt konservative Geschlechterrollen ab, die jemenitische Frauen in ihren Häusern einsperren und ihnen im Namen religiöser Frömmigkeit die Bildung verwehren.
»Belqis [die Königin von Saba, 10. Jhd. v. Chr.] und Arwa [Arwa bint Ahmad aus der Dynastie der Sulaihiden, 1050-1138] sind zwei weibliche Herrscherinnen, die den Jemen in der Antike regierten. Sie waren gerecht und errichteten prächtige Reiche, die bis heute in unserer Geschichte nachwirken«, sagt Al-Gindy, die Wirtschaft an der Universität von Aden studiert. Sie hofft, nach ihrem Abschluss in die Vereinigten Arabischen Emirate zu ihrer Schwester reisen zu können. »Es ist schwer, hier nach dem Studium einen Job zu finden. Alle jungen Erwachsenen aus dem Jemen wollen das Land verlassen, um so dem Krieg und den erdrückenden Traditionen zu entkommen«, fügt sie hinzu.
Als ich sie nach einem möglichen Zwei-Staaten-Arrangement im Jemen frage, sagt Al-Gindy, der Süden und der Norden des Jemen sollten jeweils separate Entitäten bilden, um weitere Krieg zu vermeiden. »Politische Unabhängigkeit für beide Staaten würde die Beziehungen verbessern und einen gesunden Wettbewerb zwischen den beiden Ländern etablieren.«
Doch erst einmal dominiert der Kriegsverlauf das Leben in Aden. »Unsere Prüfungen wurden dieses Jahr vorverlegt. Es braut sich was zusammen«, sagt Al-Gindy. Der »Übergangsrat des Südens« und die Hadi-Truppen stehen nach Monaten von Scharmützeln endgültig davor, in den offenen Kriegszustand überzugehen. Es wäre das Ende des Abkommens von Stockholm, das eine Machtteilung der von den VAE und Saudi-Arabien unterstützten Gruppen vorsieht. Während die Huthis die Hadi-Truppen im Norden in die Defensive drängen, nimmt der Krieg auch an der südlichen Front an Fahrt auf.