Handelökonom Julian Hinz über die tatschlichen Kosten der Huthi-Angriffe im Roten Meer, einen Transportkorridor durch den Irak und eine Brücke zwischen Dschibuti und Jemen.
zenith: Warum ist das Rote Meer geoökonomisch von so einer großen Bedeutung?
Julian Hinz: Durch das Rote Meer fließt ein großer Teil der maritim gehandelten Waren zwischen Ostasien und Europa. Die Daten variieren je nachdem, ob man sich Warenwerte oder Mengen anschaut. Aber wir reden hier von einem großen zweistelligen Prozentsatz, also zwischen 30 und 45 Prozent. Mittlerweile wird auch einiges per Flugzeug und sogar Eisenbahn transportiert. Seit ungefähr zehn Monaten funktioniert der Handel durch das Rote Meer aber nicht mehr so gut.
Sie spielen auf die Attacken der jemenitischen Huthi auf Handelsschiffe an.
Genau, das heißt natürlich nicht, dass der Handel zwischen Asien und Europa eingestellt wurde, sondern dass der Verkehr umgeleitet wird. Grundsätzlich ist das Rote Meer genauso wie die Straße von Malakka oder die Straße von Gibraltar ein Nadelöhr. Da wird es eng und da müssen alle durch.
Wie effektiv können denn die Huthis tatsächlich den Handel dort vor Ort stören?
Mit dem »Kiel Trade Indikator« erfassen wir Kennzahlen des internationalen Handels und sehen deutlich, dass inzwischen knapp 70 Prozent weniger Schiffe durchs Rote Meer fahren als vor den Huthi-Angriffen. Dafür fallen die Durchfahrgebühren für den Sueskanal weg. Die liegen allerdings ohnehin so hoch wie die Mehrkosten für die Kap-Route. Folglich unterscheiden sich die Ausgaben nicht so stark, wenn man ein Schiff durch den Sueskanal schickt oder um Afrika herumfahren lässt.
»Inzwischen fahren knapp 70 Prozent weniger Schiffe durchs Rote Meer als vor den Huthi-Angriffen«
Waren die Auswirkungen auch konkret etwa in Deutschland spürbar?
Im Januar ist für ein paar Tage die Anzahl ankommender Schiffe in Hamburg und in Bremen deutlich gesunken. An den europäischen Häfen entstand zunächst eine Lücke in der Lieferlogistik, weil die Schiffe gerade noch unterwegs waren, die eigentlich durch den Sueskanal und durch durch das Rote Meer hätten fahren sollen, aber auf die längere Route um Afrika ausweichen mussten. Die Tesla Gigafactory in Brandenburg etwa musste für zwei Wochen die Produktion stilllegen, weil Teile fehlten, die dementsprechend länger brauchten, bis sie schließlich eintrafen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass chinesische Schiffe bis auf wenige Ausnahmen offenbar nicht Ziel dieser Attacken werden?
Da scheint es irgendwelche Deals zu geben, dass diese Schiffe nicht beschossen werden. China ist rein wirtschaftlich an einem gut laufenden Warenverkehr gelegen. Ein Schiff von Ostasien nach Nordwesteuropa brauchte vorher durchschnittlich dreieinhalb bis vier Wochen, jetzt sind es fünf bis sechs Wochen. Das bedeutet zwar eine Verlängerung, aber nicht unbedingt eine Verteuerung des Transports. Die Frachtraten sind zwischendurch deutlich nach oben gegangen, haben sich aber wieder etwas stabilisiert.
Wie sieht denn die preisliche Entwicklung konkret aus?
Der Spotpreis liegt bei 5.000 US-Dollar, um einen Container von Asien nach Europa zu bekommen. Aktuell sind diese Kosten zwar auf einem erhöhten Niveau, aber deutlich niedriger als im Januar. Viele der Preise werden Monate vorher in langfristigen Verträgen festgelegt. Für die Route um das Kap der Guten Hoffnung braucht man de facto mehr Schiffe und so ergaben sich kurzfristig Engpässe für Container nach Europa. Und wenn es irgendwo knapp wird, wird es auch teurer.
Wie gehen denn die Versicherer mit dieser Situation um?
Neben der Sicherheit für Crew, Schiff und Waren sind natürlich auch die Versicherungskosten immer wieder ein Thema für Reedereien. Grundsätzlich ist der Anteil von Versicherungen und von Frachtkosten an dem Gesamtpreis für Güter gar nicht so hoch. Wir reden hier von 1,9 bis maximal 5 Prozent.
»Die Ölexporte aus Saudi-Arabien sind nur marginal bis gar nicht betroffen gewesen – bisher«
Lohnt sich denn aus der Perspektive der Reeder der Transport über das Rote Meer noch?
Früher hielten die großen Schiffe auf dem Weg von Asien nach Europa und wieder zurück im Mittelmeer. Das ist jetzt nicht mehr so, da diese jetzt durch den Südatlantik fahren. Das Rote Meer kann man also gut umfahren. Der Sueskanal wird natürlich weiter genutzt, und zwar vor allem von Öltankern, die aus Saudi-Arabien kommen, nördlich von dem durch die Huthis gefährdeten Gebiet. Diese Ölexporte sind dadurch nur marginal bis gar nicht betroffen gewesen – bisher.
Bieten sich Projekte wie der »Iraq Development Corridor« als realistische Alternative an?
Knapp 20.000 Container passen auf ein großes Schiff – auf der Straße wären das 20.000 LKWs hintereinander. Allein vom Transportvolumen ist das eine ganz andere Größenordnung. Was aber dennoch nicht heißen soll, dass alternative Transportrouten nicht sinnvoll sind. Aber eher, um bisher vernachlässigte Ziele besser anzubinden, anstatt bestehende Routen zu ersetzen.
Spielt das Thema Piraterie noch eine Rolle für den Schiffsverkehr in der Region?
Das Risiko scheint etwas gesunken zu sein. Jedenfalls ist es vor Somalia, aber auch vor Westafrika weit weniger passiert, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Und das liegt daran, dass Reedereien aufmerksamer geworden sind und sich dementsprechend besser schützen können. Die »Operation Atalanta« am Horn von Afrika scheint zudem zu wirken. Andere Gegenden, in denen Piraterie wirklich ein Thema war und ist, sind für die Weltwirtschaft nicht von vergleichbarer Relevanz.
Welche Entwicklung sehen Sie denn insgesamt für den Raum Rotes Meer und den Handel?
Sollten die Huthis den Beschuss einstellen, werden umgehend sämtliche Schiffe wieder durchs Rote Meer fahren – weil es eben die kürzeste Route ist. Für die Anbindung an den Welthandel ist es sicherlich von großer Bedeutung, dass sich die Situation dort wieder wieder entspannt.
Immer wieder kommen Vorschläge zur Verbesserung der Verkehrsinfrastuktur am Roten Meer auf den Tisch. Zum Beispiel eine Brücke zwischen Dschibuti und dem Jemen.
Das europäische Äquivalent wäre der Tunnel unter dem Ärmelkanal oder die Brücke über den Öresund zwischen Dänemark und Schweden. Für große Transportvolumen braucht man Containerschiffe. Für die kurzen Wege und kleinere Frachten sind Straßen aber viel geeigneter. Deswegen würde solch eine Verbindung sicherlich nicht unerhebliche lokale und vielleicht sogar auch regionale Effekte zeitigen, weil sie die Arabische Halbinsel deutlich enger an Ostafrika anbinden würde.
Prof. Dr. Julian Hinz