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Corona, Überwachung und der globale Süden

Vertrauen ist besser

Kommentar
Corona, Überwachung und der globale Süden
Jordanien gehört zu den Staaten im Nahen Osten, die umfachreiche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit beschlossen haben, um die Corona-Pnademie einzuhegen. Foto: Philipp Breu

Technologien zur Einhegung der Corona-Pandemie geben autoritären Staaten im Nahen Osten noch mehr Mittel in die Hand, um die Bürger zu überwachen. Dabei ist der vermeintlich »starke Staat« ein fragiles Konstrukt, meint Zukunftsforscher Ayad Al-Ani.

Die Szene erscheint gänzlich unverdächtig. An einer chinesischen U-Bahnstation kontrolliert eine Mitarbeiterin die Mobiltelefone der Fahrgäste. Jene, die einen grünen Code auf ihrem Display vorweisen können, passieren. Ein Fahrgast hat offensichtlich die notwendige App noch nicht heruntergeladen und tut dies an Ort und Stelle mit Hilfe der Kontrolleurin.

 

Die App, um die es sich handelt, ist die App »Health Code« der Handels- und Finanzplattform Alibaba, die innerhalb von Sekunden auf Basis der auf dem Smart Phone gespeicherten Informationen und anderer – nicht öffentlich bekannter – Daten eine Infektionswahrscheinlichkeit errechnet und damit Zugänge – etwa zum öffentliche Verkehr – des Einzelnen bestimmen kann. Diese App ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie die anhaltende Viruskrise die Kontrollmöglichkeiten des Staates ausweiten kann. Und dies in einer Situation, in der wenig Gegenwehr oder Protest zu erwarten ist.

 

Auf der einen Seite erstarkt der Staat –und zwar in vielerlei Aspekten, nicht nur in negativen –, auf der anderen Seite wird er durch das Virus gleichzeitig auch geschwächt: Ein Versagen bei der Bekämpfung des Virus stellt de facto weltweit sichtbar für Regierungen die Legitimationsfrage (Iran!). Ein erfolgreiches Krisenmanagement führt jedoch wohl gleichzeitig zu einer ökonomischen Schwächung (Shutdown), was wiederum ebenfalls einer massiven Legitimationskrise gleichkommt.

 

Die im Zuge der Krise entwickelten Smart-Phone-basierten Überwachungstechnologien werden wohl nicht mehr verschwinden.

 

Während man im Westen inmitten der Krise langsam beginnt, die Konsequenzen dieses gleichzeitig starken und schwachen Staates zu verstehen und es hier zunächst zu den üblichen Abwertungen der Handlungen der chinesischen Regierungen kommt (diktatorisch, autoritär, im Westen undenkbar etc.), so ist eine Perspektive aus Sicht des globalen Südens noch im Entstehen. Es ist zu erwarten, dass die entwickelten Technologien auch ihren Weg in den Süden finden und die Maßnahmen dieser Regierungen sich an denen des Westens anlehnen werden. Gleichzeitig werden die politischen und ökonomischen Krisenmaßnahmen des Westens aber die Länder des Südens in besonderem Maße treffen und deren Handlungsspielraum weiter einschränken.

 

Die im Zuge der Krise entwickelten Smart-Phone-basierten Überwachungstechnologien werden wohl nicht mehr verschwinden. Im Gegenteil, sie werden billiger, effizienter und deshalb globaler werden. Auch wenn der Westen stets skeptisch gegenüber den chinesischen Entwicklungen ist, so zeigt sich, dass auch westlich orientierte Länder, denen man technologisch stets nur positive Entwicklungen zutraut, wie Südkorea und Singapur, ebenfalls mit sehr ähnlichen Technologien arbeiten.

 

Und selbst in dem vom Virus am stärksten betroffenen westlichen Ländern, erscheint es nun normal, dass Telekomunternehmen Bewegungsdaten ihrer Kunden an staatliche Stellen – natürlich anonym, wie betont wird – übermitteln, damit diese die Effizienz von Ausgangsbeschränkungen bewerten können. Dieser Trend scheint sich wohl schwer umkehren zu lassen und liefert jetzt schon durchaus dystopische Szenarien: Man stelle sich das nordkoreanische Regime vor, dass diese Technologien nutzt, um die 24-Stunden-Kontrolle seiner Bürger fast nahtlos digital umzusetzen.

 

Die Golfstaaten werden durch den Verfall des Ölpreises eine Schwächung ihrer politischen Legitimität erleben.

 

Gleichzeitig erscheint zumindest im Westen – aber etwa auch in Hong Kong – der starke Staat auf einmal in der Lage, seine sozialen Kompetenzen massiv auszuweiten: In Form des Grundeinkommens bekommen Bürger Geld überwiesen, Delogierungen und Kreditraten werden ausgesetzt. Es werden gigantische Budgets aufgebracht, um Bürger zu entlasten und deren Kaufkraft und soziale Sicherheit zu stabilisieren. Auch die dem Profit verschriebenen Unternehmen können in kurzer Zeit ihre Produktion auf medizinische Güter umstellen.

 

Von diesen Überwachungstechnologien werden dann wohl auch die Länder des Südens massiv Gebrauch machen. Es zeigt sich, dass das einzig taugliche Mittel, um diesen Technologien halbwegs Grenzen zu setzen, vertrauenswürdige föderale Strukturen sind, die verhindern, dass sich massive Daten- und Überwachungscluster etablieren. Zugleich stehen diese föderalen Strukturen in der Kritik, weil sie oft zu langsam und unkoordiniert auf Krisen reagieren. Gerade aber diese dezentralen Strukturen fehlen in den meisten Ländern des globalen Südens und deshalb kann man wohl vermuten, dass hier Überwachungskultur und -maschinerie massiv ausgebaut und kaum hinterfragt werden: Sie dienen ja der Aufrechterhaltung der Gesundheit und politischen Stabilität.

 

Gleichzeitig sind die meisten Länder des Südens wohl nicht in der Lage, ähnliche Sozialprogramme aufzulegen wie der Westen, um die ökonomischen und sozialen Folgen zu mildern. Erstaunlich, weil es ja durchaus positive Beispiele gibt: Lulas »Bolsa Familia«- Programm in Brasilien, Erfahrungen mit Grundeinkommen im indischen Bundesstaat Kerala. Im Gegenteil, selbst die reichen arabischen Golfstaaten, die heute schon ein Grundeinkommen gewähren, werden durch den Verfall des Ölpreises eine Schwächung ihrer politischen Legitimität erleben, weil sich diese Zahlungen möglicherweise nicht mehr aufrecht erhalten lassen. Und diese ökonomischen Schwächen wird wiederum den Überwachungsstaat auf den Plan rufen. Der »starke Corona-Staat« des Südens zeichnet sich also nicht durch soziale Solidarität, sondern durch soziale Kontrolle aus.

 

Die ökonomischen Verbindungen gerade zu den ärmeren Ländern des Südens, die wenig komplexe Güter erstellen, werden weiter zurückgedrängt.

 

Die Reaktionen des Westens werden ihr Übriges tun: Einige Wertschöpfungsketten werden wieder zurückgebaut und damit Export und Sourcingmöglichkeiten des Südens weiter beschnitten. Am wesentlichsten aber: Die Digitalisierung und Automatisierung werden im Westen (und China) massiv vorangetrieben: Jetzt stehen nicht nur Effizienzgedanken noch mehr im Vordergrund – und hatten bereits zuvor zu bemerkbaren Arbeitsplatzverlusten im Süden geführt – jetzt geht es auch um Autarkie und Resilienz: Ökonomische Prozesse werden automatisiert, damit sie in Krisenzeiten völlig unbeschadete Güter produzieren. Damit werden die ökonomischen Verbindungen gerade zu den ärmeren Ländern des Südens, die wenig komplexe Güter erstellen, weiter zurückgedrängt.

 

All dies macht den vermeintlich starken Überwachungsstaat im globalen Süden zu einem sehr fragilen Konstrukt, selbst wenn sich das Virus möglicherweise dort weniger verheerend auswirken wird als im Westen. Dort zeigte sich, dass in Krisenzeiten eine Art von Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern am besten geeignet ist, schnell und unbürokratisch Abhilfe für soziale und ökonomische Probleme zu schaffen. Und auch dieser Mechanismus ist in den meisten Ländern des Südens wohl nicht anzutreffen, obwohl es nun mehr als fünfzig Jahre her ist, dass der Politologe Samuel Huntington für diese Region unterstellte, dass ihre konfliktverarbeitenden Institutionen unzureichend sind und sich die Interessengruppen deshalb »nackt« gegenüberstehen.

 

Und es scheint nun, dass die gegenwärtige Krise Defizite verstärkt und dieses institutionelle Versäumnis nun schwerwiegende Konsequenzen zeitigen wird. Viele Optionen bleiben dann nicht mehr. Im Übrigen empfahl Huntington in seinen damaligen Buch »Political Order in Changing Societies« den Einsatz der Armee als stabilisierenden Modernisierungsagenten. Wie wenig hat sich doch geändert.


Prof. Dr. Dr. Ayad al-Ani forscht am »Einstein Zentrum Digitale Zukunft« in Berlin. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen Veränderungen in Organisationen in Wirtschaft und Politik sowie die zeitgleichen Transformationen in Gesellschaft, Ökonomie und Bildung. Er ist Mitbegründer des »Digital Arabia Network«.

Von: 
Ayad Al-Ani

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