Im Libanon begannen die Corona-Maßnahmen auffallend früh und unaufgeregt. Die Libanesen sind Krisen gewöhnt, doch viele sind nun mit ihren Reserven am Ende. In Beirut hat das Leid viele Gesichter.
Trotz Wirtschaftskrise, Revolution, Währungsverfall, Staatsbankrott und zuletzt dem Beginn einer lebensgefährlichen Seuche: Einen Mangel an Toilettenpapier hat es in Beirut zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Auch bildeten sich Mitte März, als die Regierung die Schließung des einzigen internationalen Flughafens und eine »allgemeine Mobilisierung« gegen die Epidemie ankündigte, keine langen Schlangen vor den Geschäften. Die Bürger hamsterten nicht.
Mit der Ausrufung einer landesweiten Quarantäne, die mit dem deutschen Modell der Kontaktsperren vergleichbar ist, leerten sich allerdings die Straßen. Und mit dem charakteristischen Lärm verzog sich auch die grau-braune Smogwolke, die sonst über der Stadt steht. Unter der Frühlingssonne wirkt die zerrupfte Metropole nun geradezu friedlich und frisch.
Das Runterschalten des Betriebs hatte schon Ende Februar begonnen, als die Regierung von Ministerpräsident Hassan Diab die Schließung von Universitäten, Schulen und Kindergärten verfügt hatte. Gut zwei Wochen bevor sich die deutschen Bundesländer nach langer Diskussion endlich zu ähnlichen Schritten entschließen, hatten sich die Libanesen mehr oder minder geräuschlos dieser Entscheidung untergeordnet.
Vielleicht war die in Aussicht stehende Pandemie zumindest zu Beginn auch eine willkommene Ablenkung vom libanesischen Schicksal, von der tiefen Zerstrittenheit. »Corona ist eine internationale Krise, die einen Moment lang den Blick auf die politischen Differenzen versperrt hat«, sagt die Psychologin Zeina Zerbé. Doch wahrscheinlich werde gerade diese Seuche dazu führen, dass viele Menschen wieder in die Arme der religiösen Gruppen und Parteien flüchten. »Genau dagegen haben wir während der Revolution ja gekämpft.«
Zeina Zerbé hatte während des Oktoberaufstands traumatisierte Aktivisten in einem Zelt auf dem Märtyrerplatz betreut, spricht normalerweise in ihrer Praxis in Furn al-Shebbak im Osten der Hauptstadt mit ihren Patienten und hält die Sitzungen jetzt in ihrer Wohnung in Adlieyeh über Skype ab.
»Viele Menschen saßen schon vor Corona zu Hause«, erinnert sie an die Arbeitslosenquote von fast 40 Prozent, noch bevor die Krankheit das Land erreicht hatte. Der libanesische Ökonom Dschamal Saghir, 25 Jahre im Dienst der Weltbank, sagt: »Der Libanon steht vor einer fundamentalen ökonomischen, finanziellen und sozialen Krise, mit der er umgehen muss, während eine weitere verheerende Krise verläuft.« Den Preis dafür müssten sicher die Ärmsten bezahlen, »besonders die Ärmsten der Armen.«
Hoffnung macht dem Experten, der während des Bürgerkriegs noch in seiner Heimat gelebt hatte, die Widerstandskraft seiner Landsleute: »Sie haben die Fähigkeit, viel zu ertragen, etwas aus ihrer Lage zu machen.« Die Libanesen seien das Durchhalten gewöhnt.