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Covid-Isolationseinrichtungen für Geflüchtete in Griechenland

»Schlimmer als in Syrien«

Feature
Covid-Isolationseinrichtungen für Geflüchtete in Griechenland
Maher al-Khalaf mit seinem Sohn in der Isolationseinrichtung im Lager Vathy auf Samos Foto: Fareid Atta

Die griechische Insel Samos – für manche ein Urlaubsparadies, für viele geflüchtete Menschen ein Albtraum. Sie berichten von menschenunwürdigen Zuständen und einem mangelhaften Umgang mit der Pandemie.

Wenige Kilometer von der Türkei entfernt, befinden sich derzeit 2.000 Geflüchtete an einem Ort, der für maximal 650 Personen ausgelegt ist. Sie leben auf Samos unter unvorstellbar miserablen Bedingungen; ein Großteil von ihnen in provisorischen Zelten neben der offiziellen Einrichtung. Umgeben ist der Ort von einem Waldgebiet, das häufig nur »der Dschungel« genannt wird. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben weder Zugang zu Duschen und sanitären Einrichtungen, noch zu geeigneten Räumlichkeiten, um sich warm zu halten.

 

Die Covid-19-Pandemie hat die Sorgen der Geflüchteten und Asylsuchenden im offiziellen Teil dieses Lagers (Reception and Identification Centre, RIC) im Ort Vathy nur noch weiter vergrößert. Zwischen März und Mai 2021 wurden Hunderte für die verpflichtende Quarantänezeit von 14 Tagen hierhin verlegt.

 

In diesen Isolationseinrichtungen sind die gefährdeten, schwangeren und chronisch kranken Patientinnen und Patienten mit komplizierten Gesundheitsproblemen an einem Ort zusammengedrängt. Wiederholt wurden Forderungen nach wichtigen Medikamenten, wie Insulin und Beruhigungsmittel, ignoriert und abgelehnt. Die Lagerverwaltung stuft diese Medikamente als »nicht essenziell« ein.

 

Alaa Suleyman ist aufgrund von schweren psychologischen Problemen – hervorgerufen durch jahrelange Bombardierungen – auf diese Medikamente angewiesen. Laut ihrem Ehemann Mohammed, einem 35-jährigen Kurden, der zwei Wochen in der Quarantäne verbracht hat, existiert derzeit kein Test- und Rückverfolgungssystem; die Bedingungen in der Einrichtung seien inakzeptabel.

 

»Es gibt keine Duschen oder Reinigungsanlagen und auch kein Warmwasser zum Händewaschen. Außerdem werden die Wassercontainer nicht regelmäßig gereinigt. Überall sind Löcher im Boden, Bettwanzenbefall ist ein großes Problem und die bereitgestellten Matratzen sind schmutzig.«

 

»Es lässt sich schwer nachvollziehen, wie unter diesen Umständen Covid bekämpft werden soll«

 

Andere Lagerbewohner berichten, dass sich in dieser Quarantäneeinrichtung alle zusammen – also mit negativen und positiven Testergebnissen – in einem Container aufhalten müssen. Ohne ein Test- und Rückverfolgungssystem stellt sich die Frage, warum die Menschen dort überhaupt festgehalten werden.

 

Nach griechischem Recht sind die Isolationseinrichtungen rechtmäßig, weil sie auf der Grundlage des öffentlichen Gesundheitsschutzes fußen. Während Farahs Quarantäne wurde das Risikoniveau auf Samos auf »rot« angehoben, nachdem sich das Virus über mehrere Wochen immer weiter verbreitet hatte.

 

»Auch wenn die Isolationseinrichtungen als Maßnahme des öffentlichen Gesundheitsschutzes rechtmäßig sind, sind das keine Bedingungen, die so aufrechterhalten werden können«, findet Dimitris Choulis. Der Anwalt vertritt viele der auf Samos untergebrachten Migranten. »Die Bedingungen sind inakzeptabel. Nirgendwo kann man seine Hände waschen; Social Distancing wird kaum umgesetzt. Es lässt sich schwer nachvollziehen, wie unter diesen Umständen Covid bekämpft werden soll.«

 

Farah al-Khalaf ist Ende 20. Die Geschichte ihrer zweiwöchigen Quarantäne im RIC-Camp in Vathy ist ein eindrucksvolles Beispiel für die menschenunwürdige Behandlung der Geflüchteten durch die Lagerbehörden. Zudem zeigt es das Totalversagen bei der Eindämmung des Virus.

 

»Ich verstand kein Wort von dem, was mir der Arzt sagte«

 

Am 3. März wurde die syrische Kurdin, im neunten Monat schwanger, zusammen mit ihrem Ehemann und dem einjährigen Sohn in die Isolationseinrichtung gebracht. Als seine Frau plötzlich Bauchschmerzen verspürte, begann ihr Mann Maher, sich Sorgen zu machen. Weil sich kein medizinisches Personal finden ließ, entschied er sich dazu, die Polizei zu kontaktieren und sie um eine Verlegung seiner Frau ins Krankenhaus zu bitten. Zwei weitere qualvollen Stunden vergingen, bis Farah endlich die Isolationsstation verlassen durfte – allerdings ohne ihren Mann. Eine weitere Stunde war sie gezwungen, in der eisigen Kälte auszuharren, um auf den Krankenwagen zu warten.

 

Der Gynäkologe riet ihr, einen Kaiserschnitt zu machen. Farah berichtet später, dass ihr zu diesem Zeitpunkt der Grund für das geplante Vorgehen des Arztes nicht bewusst gewesen war. In Abwesenheit eines Arabisch-Dolmetschers hatte sie keine Gelegenheit, diesem Eingriff ihre Zustimmung zu erteilen.

 

»Ich verstand kein Wort von dem, was mir der Arzt sagte. Mir war nicht klar, dass sie einen Kaiserschnitt planten, ich wollte einfach eine ganz normale Geburt.« Farahs Baby wurde am 6. März um 6 Uhr im Krankenhaus von Samos entbunden. Einige Tage nach der Geburt brachte man sie wieder in die Isolationseinrichtung des Lagers.

 

Es ist nicht das erste Mal, dass Geflüchtete in diesen sogenannten Isolationseinrichtungen schlecht behandelt werden. Im Oktober des vergangenen Jahres gab es einen ähnlichen Fall, als eine Schwangere in den Quarantäneeinrichtungen des Lagers keine ausreichende medizinische Versorgung zur Verfügung stand.

 

Die Beweggründe für Farahs beschwerlichen Weg nach Samos ähneln denen Tausender anderer Kurden, die auf der Insel einen Geflüchtetenstatus beantragt haben. »Wir sind immer wieder in die Türkei geflohen, wenn uns der IS bedrohte. 2018 lebten wir ein halbes Jahr lang in Adana.«

 

»Mein einziger Wunsch ist, dass meine Kinder in einem sicheren Land leben und zur Schule gehen können«

 

Nach der erfolgreichen Vertreibung des IS kehrte die Familie nach Kobane zurück, war aber 2019 endgültig gezwungen zu fliehen, als die Türkei in Teile Nordsyriens einmarschierte. »Man schmuggelte uns in einem Boot nach Griechenland. Ende 2019 erreichten wir dann Samos.«

 

Farahs Erinnerungen an ihre Zeit auf der Insel sind düster: »Die Situation [auf Samos] ist schlimmer als in Syrien. Ich lebte ein Jahr und drei Monate lang in einem Zelt, hatte zwei traumatische Geburten und musste ständige Flashbacks vom Krieg verkraften. Es ist sehr schwer, mit diesen schrecklichen Erinnerungen umzugehen«, berichtet sie.

 

»Mein einziger Wunsch ist, dass meine Kinder in einem sicheren Land leben und zur Schule gehen können und dass wir unserem zukünftigen Leben positiv entgegenschauen können. Das gibt mir Hoffnung«, erzählt sie und appelliert: »Noch immer sind wir buchstäblich auf hoher See und durchleben die Schrecken unseres früheren Lebens wieder und wieder – jetzt in Griechenland. Bitte helft uns.«

 

Farahs Geschichte ist beispielhaft für die schlechte Behandlung von Asylsuchenden in diesen Einrichtungen seit der ersten COVID-19-Infektionswelle im Oktober 2020. Damals veröffentlichte Ärzte ohne Grenzen einen Bericht über die Bedingungen der Quarantäneeinrichtung in Vathy auf Samos. Die klare Forderung lautete, internationale Standards bei der Prävention von Krankheiten strenger zu einzuhalten.

 

»Wir brauchen Quarantäne- und Isolationsräume [in Griechenland], die den internationalen Covid-19-Protokollen entsprechen und ein Minimum an menschenwürdigen Lebensbedingungen bieten.« Zu diesem Schluss kommt auch eine Untersuchung der griechischen Gesundheitsforscher Elias Kondilis und Dimitris Papamichail von den Universitäten Thessaloniki und der Athener Universität von West-Attika vom Februar 2021.

 

Die Studie beleuchtet die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Migranten, Geflüchtete und Asylsuchende in Griechenland. Ihre Untersuchungen ergaben, dass das Risiko einer Covid-19-Infektion bei Migranten in Aufnahmeeinrichtungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zweieinhalb- bis dreimal höher liegt.

 

Griechenlands Nationale Organisation für Öffentliche Gesundheit (ΕΟΔΥ) war früh genug darüber informiert worden, dass die Bedingungen in diesen Einrichtungen nicht ausreichten, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen. Seit September 2020 fordert das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) nachdrücklich, entlastende Maßnahmen umzusetzen, etwa das Social Distancing in geschlossenen Umgebungen, wie den Lagern auf Samos. Doch auf zenith-Anfrage wollte sich die ΕΟΔΥ nicht zu den Covid-19-Isolationseinrichtungen und den Empfehlungen des ECDC zu äußern.

Von: 
Fareid Atta

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