Wegen ihres Umgangs mit Iran-Rückkehrern steht die Hizbullah im Libanon in der Kritik – nun präsentiert sich die »Partei Gottes« als wohltätiger Krisenmanager.
Ein diamantenbesetzter, herzförmiger Anhänger glitzert zwischen goldenen Armreifen und Halsketten in einer Glasschale auf dem Tisch eines Wohlfahrtsverbandes der Hizbullah. Die Schale ist rund, hat den Durchmesser einer kleinen Blumenvase und ist halb mit Schmuck gefüllt. Eine der Damen, die im Tschador gehüllt am Tisch sitzen und alle abgegebenen Almosen in Wert und Form dokumentieren, meint, dass die Menschen ihre persönlichen Schmuckstücke und Ersparnisse für den Kampf der Hizbullah gegen das Corona-Virus spenden würden.
Vor Kurzem organisiert die Hizbullah eine Tour für Journalisten, um zu präsentieren, wie gut sie auf den Kampf gegen das neue Corona-Virus vorbereitet ist – und zwar unabhängig von der libanesischen Regierung. Sie ließ ihre Sanitäter aufmarschieren, stellte 33 Rettungswagen zur Schau, von denen mindestens ein Drittel mit Beatmungsgeräten ausgestattet waren, und ließ die Straßen von Freiweilligen desinfizieren.
In einer der Hizbullah-Liegenschaften in Dahiye, den südlichen Vororten von Beirut, wurde mithilfe von Spenden eine komplette Halle mit Nahrungsvorräten gefüllt. Hunderte Pakte voller Mehl, Reis und Nudeln sowie Puten-, Rind- und Lammfleisch in Dosen – gekauft für die Ärmsten unter denen, die durch die Ausgangssperren der Regierung ihre Jobs verloren haben. Außerdem ließ die Hizbullah das St.-George-Krankenhaus im Osten der Hauptstadt freiräumen, um dort bis zu 80 Coronavirus-Patienten unterzubringen. »Die Hizbullah wird für die Behandlung aller Coronavirus-Patienten bezahlen, die hier eingeliefert werden«, versichert Dr. Ali Noun, Arzt auf der Notfallstation, gegenüber der Autorin.
Wurde der Flugverkehr aus Iran zu lange offengehalten?
So wohltätig dieser Aktionismus auch anmutet, dient er der Hizbullah nicht zuletzt zur Imagepolitur. Der erste bestätigte Corona-Fall im Libanon geht auf eine Einreise aus Iran zurück. So geht bei vielen Libanesen die Angst um, dass die engen Beziehungen zwischen der Hizbullah und Iran die Ausbreitung des Virus befeuern und katastrophale Konsequenzen für das Land zeitigen könnten. Die Hizbullah ist ideologisch wie militärisch stark mit Iran verflochten und ihre Kämpfer agieren und trainieren häufig gemeinsam mit iranischen Militärs. Noch unlängst waren einige Kämpfer der Gruppe im syrischen Idlib stationiert, gemeinsam mit anderen iranischen Milizen und vermutlich auch Mitgliedern der Revolutionsgarde.
Selbst Wochen, nachdem sich abzeichnete, dass die Islamische Republik sich zum neuen Corona-Hotspot in der Region entwickelt, landeten immer noch Flugzeuge aus Iran am Rafik Hariri International Airport in Beirut – einige Kritiker warfen der Hizbullah hinter vorgehaltener Hand vor, die libanesische Regierung von der rechtzeitigen Einstellung des Flugverkehrs mit Iran abzuhalten.
Die Hizbullah holte so tausende schiitische Pilger und Studenten zurück, bevor die libanesische Regierung schließlich jegliche Reiseverbindungen aus Iran abschnitt und den Flughafen schloss. Iran-Rückkehrer wurden dann gruppenweise in den Hizbullah-Hochburgen im Südlibanon und der Bekaa-Ebene unter Quarantäne gestellt: Auf diese Weise befanden sich die potenziell Infizierten aber außerhalb der Reichweite der Gesundheitsbehörden, die Kontaktketten nachvollzogen, Tests durchführten und Kontaktpersonen identifizierten, um die Verbreitung des Virus zu bremsen.
Mehr als 2.500 Iran-Rückkehrer in Hizbullah-Quarantäne
Einige Vertreter der Hizbullah bestätigten zenith, dass die Gruppe tatsächlich Iran-Rückkehrer in deren Häusern im Südlibanon unter Quarantäne gestellt habe. Unter der Bedingung, nicht namentlich genannt zu werden, berichtete ein hochrangiges Mitglied von etwa 1.200 Libanesen, die aus Qom eingeflogen worden seien – der schiitischen Pilgerort gilt als Epizentrum der Virusausbreitung in Iran. Des Weiteren seien 1.500 Studenten der Theologie, Medizin oder Ingenieurswissenschaften aus allen Teilen Irans zurückgeholt worden. »Sie wurden bei sich zuhause unter Quarantäne gestellt«, sagt der Vertreter der Hizbullah. Zugleich bestreitet er aber, dass die Hizbullah irgendwelche bestätigen Corona-Fälle verschwiegen habe: »Keine der Personen wurde positiv auf das Coronavirus getestet.«
Die Hizbullah steht unter enormem innenpolitischen Druck, wegen der Allianz mit Iran im Allgemeinen, und wegen der Verwicklung in den Krieg in Syrien im Besonderen. Selbst in der schiitischen Bevölkerung nahm die Unterstützung ab, als sich die Körper junger Libanesen stapelten, die auf syrischen Schlachtfeldern ihr Leben gelassen hatten. So wuchs die Wut, dass Libanesen in einem Krieg kämpften, der nicht der Verteidigung Libanons, sondern dem iranischen Verbündeten Baschar al-Assad dient. Außerdem forderten Demonstranten im Zuge der jüngsten Protestbewegung seit Oktober den Sturz des korrupten Establishments im Libanon, also auch der Hizbullah-Vertreter und ihrer engsten politischen Verbündeten.
Ihre wohltätige Seite zur Schau zu stellen, hat daher für die Hizbullah nun oberste Priorität. Zudem will die »Partei Gottes« die Sorgen um die Rolle der Iran-Rückkehrer bei der Verbreitung des Corona-Virus entkräften.
Nicht die Regierung, sondern die Zivilgesellschaft brachte die Ausgangssperren ins Gespräch
Bisher wurden im Libanon offiziell etwas mehr als 660 Infizierte sowie 21 Tote vermeldet. Die Glaubwürdigkeit dieser Zahlen wird zwar immer wieder in Zweifel gezogen, dennoch führen renommierte Ärzte die niedrigen Fallzahlen vor allem auf einen relativ frühen Lockdown des Landes zurück.
Dr. Abdur Rehman Bizri, ein Spezialist für Infektionskrankheiten, der die libanesische Regierung in der aktuellen Krise berät, erklärte, er habe schon Mitte Januar mit einem Team libanesischer Ärzte begonnen, die Situation genau zu beobachten – zu einem Zeitpunkt, als noch davon ausgegangen wurde, dass das Virus ausschließlich innerhalb Chinas verbreitet war. Er betont gegenüber zenith, dass der Libanon im Vergleich zu den USA und Europa schon früh Ausgangssperren verhängt und von China gelernt habe, wie am besten mit der Krise umzugehen sei.
»Es ist möglich, dass aus unterschiedlichen Gründen 30 Prozent der Infektionen unentdeckt bleiben, aber das heißt nicht, dass die Zahlen absichtlich verfälscht wurden«, so Bizri. »Wir verfolgen jeden einzelnen Fall und dessen Kontaktpersonen. Wir sind optimistisch, dass wir die Krise verhältnismäßig unbeschadet überstehen werden.«
Die Libanesen haben, anders als ihre europäischen Zeitgenossen, jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit gewalttätigen Konflikten direkt vor der Haustür. Ob während des Bürgerkriegs, der israelischen Invasion oder der Zeit unter syrischer Militärherrschaft, sie haben stets schnell auf Ausgangssperren reagiert und sich in die Sicherheit ihrer Häuser zurückgezogen. Kaum jemand im Libanon empfindet den Lockdown als drakonisch – vielmehr war es die Zivilgesellschaft, nicht die Regierung, die Ausgangssperren ins Gespräch brachte.
Lieber zuhause bleiben, als sich von einem dysfunktionalen Gesundheitssystem in Gefahr bringen zu lassen
Dennoch stellt die Krise das Land weiter auf die Probe. Die Krankenhäuser im Libanon hatten wegen eines Dollar-Engpasses im Land bereits vor der Krise Probleme, lebensrettende Medikamente einzuführen. In den letzten Monaten strauchelte das Libanesische Pfund und verlor 40 Prozent seines Wertes. Banken beschränkten die Geldmengen für Überweisungen sowie Auszahlungen und die Regierung kam ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber internationalen Gläubigern nicht nach.
Für viele Libanesen ist es hart, in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs nicht arbeiten zu können steht. Dennoch bleiben die meisten Menschen eher zuhause und kommen lieber mit weniger aus, als sich später von einem dysfunktionalen Gesundheitssystem in Gefahr bringen zu lassen.
Prävention ist der einzige Weg für den Libanon, die Coronakrise zu überstehen. Aber falls die Situation sich verschlechtern und die Fallzahlen steigen sollten, werden auch die halb mit Gold gefüllte Schale der Hizbullah und ein Krankenhaus mit 80 Betten wenig helfen.