Faisal Swehli wollte Libyer aus allen Landesteilen zusammenbringen. Das Experiment scheiterte.
Als Tausende Libyer im September 2011 den Sieg über Langzeitherrscher Muammar Al-Gaddafi auf dem Märtyrerplatz in Tripolis feierten, schmiedete Faisal Swehli mit einigen Bekannten bereits ein neues Projekt: Libya Jadida (Das neue Libyen) hieß die Zeitung, die ein Spiegelbild der blutig errungenen Freiheit werden sollte. Mit einigen aus der Gaddafi - Zeit bekannten Reportern sowie mit jungen Aktivisten hatte Swehli ohne jegliche eigene Medienerfahrung eine Redaktion aufgebaut. Die politischen Meinungen im Team waren diametral entgegengesetzt – das war durchaus beabsichtigt.
Nach seinem BWL-Studium in London war Swehli seiner Heimat, der Hafenstadt Misrata, jahrelang ferngeblieben, wie viele Kinder aus wohlhabenden Familien. Aber zu Beginn des Aufstandes im Frühjahr 2011 hatte der damals 27-jährige Geschäftsmann aus seinem Exil in London Hilfslieferungen für Libyen über Tunesien organisiert. Libyer aus der ganzen Welt schickten Krankenwagen, Lebensmittel und Medikamente ins Grenzgebiet.
Mehr als 250.000 Menschen waren nach der Niederschlagung der Straßenproteste aus Libyen geflohen. Als die Kämpfer aus Benghazi nur noch wenige Kilometer vor der Hauptstadt Tripolis standen, machte sich Swehli selbst auf den Weg in die Flüchtlingslager. »Ich ahnte nicht, dass diese Reise ins Ungewisse bis heute mein Leben auf den Kopf stellen würde«, sagt der 36-Jährige heute.
Auf den Redaktionskonferenzen von Libya Jadida krachte es regelmäßig – und das war beabsichtigt.
Als im Sommer 2011 in Tripolis immer mehr Menschen verhaftet wurden, organisierten die Exilanten auf Djerba und in den mittlerweile befreiten Nafusa-Bergen südlich von Tripolis neben Verbandsmaterial auch Waffenlieferungen für die Kämpfer. Swehli selbst wollte keine Waffe in die Hand nehmen. In London hatte er Libyer aus allen Landesteilen und politischen Lagern kennengelernt. »Anders als viele meiner Freunde war mir während der Revolution sehr bewusst, dass in einem Nachkriegslibyen der Versöhnungsprozess nicht nur zwischen Aufständischen und Gaddafi-Gegnern, sondern zwischen Städten und Regionen organisiert werden muss.«
Dieses Bewusstsein bestimmte auch den Alltag bei Libya Jadida. Auf den Redaktionskonferenzen krachte es regelmäßig. Weil die Zeitung auch in der täglich landesweit verkauften Printausgabe alle Stimmen zu Wort kommen ließ, nahm das Kartell der Hauptstadtmilizen die Journalisten bald ins Visier. »Wir mussten das Experiment trotz aller Gefahren weitermachen, damit die Opfer des Aufstandes nicht umsonst gestorben waren«, so Swehli. »Und wir konnten keine neue Diktatur akzeptieren.«
Doch 2014 wurden aus alten Verbündeten gegen das Regime endgültig Gegner, Städte wie Misrata und Benghazi standen sich in verfeindeten Lagern gegenüber. Auch das Redaktionsteam zerbrach unter den politischen Spannungen im Land. Die meisten Blattmacher mussten die Produktion von gedruckten Zeitungen inzwischen einstampfen. Faisal Swehli hat den Glauben an ein neues Libyen aber nicht aufgegeben: Ab 2021 will er eine Zeitung für Frauen und Sport herausgeben. »Viele Libyer haben ob der Konflikte den Glauben an Politik und Demokratie verloren und sich ins Private zurückgezogen. Wir müssen als Land und Medienmacher wieder ganz von vorne beginnen – wie vor zehn Jahren.«