Der Sturz Gaddaffis ermöglichte Ibrahim Shebani seinen größten Traum. Jetzt macht er selber Mode.
Es war, als hätte Ibrahim Shebani auf diesen Moment sein ganzes Leben gewartet. An einem langen Februarabend hatte der 43-Jährige mit Freunden die Neuigkeiten aus Tunesien und Ägypten in einem Café in Hay Al-Andalus diskutiert. In den Nachbarländern herrschte nach dem Sturz von Ben Ali und Mubarak Euphorie. In dem gutbürgerlichen Stadtteil von Tripolis rechnete hingegen kaum jemand mit einem Aufstand gegen den seit 42 Jahren regierenden Muammar Al-Gaddafi. An dem Abend erreicht Shebani dann aber die Nachricht, dass in seiner Heimatstadt Benghazi ein Marsch gegen die grassierende Korruption geplant sei.
Libyen litt zwar nicht unter den wirtschaftlichen Problemen der Nachbarländer. Doch mit der Öffnung der Wirtschaft für ausländische Firmen und Exil-Libyer war auch die Vetternwirtschaft aufgeblüht. Der Hobbyzeichner hoffte, die Liberalisierung nutzen zu können, um Libyens erstes Modemagazin heraus zu bringen. Das wäre mal was anderes als sein bisheriger Job in einer Werbeagentur.
Die Idee fand die Zustimmung der politischen Zensoren, scheiterte jedoch an der Engstirnigkeit der lokalen Behörden. Seine Vision eines Magazins, dass Libyen als multikulturelles Land zeigt, musste also warten. Stattdessen buchte Shebani ein Flugticket nach Benghazi, als dort am 15. Februar 2011 die nächste Demonstration anstand. Zwei Tage später ging dann alles ganz schnell. Nachdem Soldaten auf die unbewaffneten Demonstranten geschossen hatten, flohen die meisten Gaddafi-Anhänger vor dem Volkszorn. Benghazi war frei.
Seine Vision eines Magazins, dass Libyen als multikulturelles Land zeigt, musste warten. Stattdessen buchte Shebani ein Flugticket nach Benghazi.
Nun verwirklichte Shebani seinen Traum. Er gründete das Libyan Magazine, ein Lifestyle-Blatt auf Englisch und Arabisch. Die junge Redaktion bestand aus Freunden und Aktivisten aus dem ganzen Land. »Rund um Benghazi haben die Griechen und Ägypter, in Westlibyen die Römer und viele andere die Kultur geprägt«, sagt Shebani. »Ich habe mich schon immer als Teil der mediterranen Kultur gesehen und nicht nur als Araber oder Muslim.«
Zehn Jahre später hat der Medienmacher seinem Land den Rücken gekehrt und lebt in Tunis. »Schon Ende 2011 erhielten wir Morddrohungen von Islamisten, im Sommer 2012 brachte Ansar Scharia in Tripolis und in Benghazi erstmals Journalisten und Aktivisten um«, erinnert sich Shebani. »Ich weiß nicht, ob die radikalen Gruppen die Revolution bewusst gekapert oder nur das Machtvakuum für sich genutzt haben. Die mit den Parlamentswahlen von 2014 verlorene Macht haben sie sich mit Waffengewalt zurückgeholt.«
Libyen sei nun zwischen zwei Regierungen gespalten, und in keiner säßen echte Repräsentanten des Volkes, beklagt er. »Es gibt keine gute und schlechte Seite.« In Tunis arbeitet Shebani als Modedesigner. »Born in Exile« nennt er sein Label. Seine Entwürfe wurden auf Fashion Weeks in Tunis und in Paris gezeigt, sie verbinden Leder und klassische libysche Stoffe mit Symbolen und Schnitten aus Benghazi oder der Sahara. Seine nächste Kollektion will er aus dem Stoff von Rettungswesten schneidern.
Hoffnung auf eine Rückkehr nach Libyen hat er zurzeit nicht. »Mir geht es wie vielen, die 2011 für ein neues Libyen auf die Straße gingen. Aber immerhin kann ich mit meiner Mode zeigen, dass es in Libyen mehr gibt als Waffen und Gewalt.«