Wael Ghonim war so etwas wie der Netzwerker des ägyptischen Aufstands 2011. Was aus dem Aktivisten nun wurde, gibt seinen Mitstreitern Rätsel auf.
Es liegt nicht mehr als ein Jahr zwischen diesen Bildern: 2018 präsentierte sich Wael Ghonim beim Oslo Freedom Forum als nachdenklicher Aktivist des Arabischen Frühlings, seit dem Jahr 2019 zeigt er sich auf Twitter barbrüstig und dauerbrabbelnd mit Aussagen, die sich niemandem so leicht erschließen. Wie passt das zusammen?
In Oslo bezeichnete sich Ghonim als »Zufallsberühmtheit« – eingeladen war er als eine Ikone des Aufstands in Ägypten. Seine Karriere als Aktivist war alles andere als typisch. Als Google-Angestellter rief Ghonim 2010 die Facebook-Seite »We are all Khaled Said« ins Leben, in Erinnerung an den jungen Mann aus Alexandria, der in Polizeigewahrsam zu Tode geprügelt worden war.
Das Time Magazine bezeichnete ihn als einen der einflussreichsten Menschen weltweit – da war er gerade 31.
Nicht zuletzt dank dieser Seite gelang es, Tausende, letztlich sogar Millionen von Ägyptern auf die Straße zu bringen. Ghonim wurde im Januar 2011 verhaftet und verbrachte elf Tage mit verbundenen Augen im Gefängnis. »Sie haben mir alles genommen, sogar meinen Namen. Ich wurde 41 genannt«, sagte Ghonim später. Infolge der Proteste wurde Langzeitherrscher Hosni Mubarak aus dem Amt gedrängt. Die Ägypter träumten von einer Zukunft, die »Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit« versprach. Ghonim landete ganz oben auf der Liste der weltweit 100 einflussreichsten Personen des Time Magazine, da war er gerade 31 Jahre alt.
2012 erschienen seine Memoiren über die »Revolution 2.0«. Die Macht der Menschen sei stärker als die Menschen an der Macht, hieß es dort. Die Entwicklung in Ägypten deutete bald auf das Gegenteil hin.
Die Armee stürzte den frei gewählten Präsidenten Muhammad Morsi, der den Muslim-brüdern verbunden war, und Feldmarschall Abdel Fatah Al-Sisi ließ sich 2014 zum Präsidenten wählen. Für viele Ägypter bedeutete die Wahl die endgültige Rückehr des alten Regimes und das Ende der revolutionären Träme.
Ghonim ging aus Kairo ins Exil nach Kalifornien, kein leichter Schritt, wie er bei seiner Rede in Oslo bekannte: »Scham und Schuldgefühle überwältigten mich, ich habe meine Sache und meine Freunde im Stich gelassen. Das hat mich in eine tiefe Depression geworfen – ein Zusammenbruch, der mir klar gemacht hat, dass meine Sele gebrochen wurde.« Ghonims zuletzt verwirrende Auftritte in den sozialen Medien lösten bei ehemaligen Weggefährten Besorgnis aus: Einige zweifelten seine psychische Gesundheit an, spekulierten, er leide an einem Posttraumatischen Stress-Syndrom.
Andere brachten die Trennung von seiner Ehefrau, der Mutter seiner beiden Kinder, ins Spiel. Aber möglicherweise bergen auch die Worte von Edward Said eine Erklärung: »Literatur und Geschichte sind voll von heroischen, romantischen, ehrenvollen und sogar triumphalen Episoden im Leben eines Exilanten – sie sind aber nicht mehr als das Bemühen, mit dem lähmenden Schmerz der Entfremdung umzugehen.«