Kampferprobte Islamisten kehren aus Syrien und Irak zurück auf die Malediven. In ihrer Heimat angekommen, werden sie zur Gefahr, nicht nur für liberale Malediver. Eine Reportage aus dem Indischen Ozean.
Mariyam fuhr in den Krieg, nicht in die Flitterwochen. Nach Syrien, nicht nach Thailand. Es war ihre letzte große Lüge, mit der sie ihr altes Leben auf den Malediven aufgab. Die große Schwester ahnte nichts. Heute glaubt Liusha, dass sie und ihre Familie hätten misstrauischer sein müssen. »Meine Mutter wunderte sich vor der Abreise noch über die vielen Koffer, schwieg dann aber. Überhaupt: Flitterwochen in Bangkok, wer macht denn sowas?« Liusha lächelt, lacht beinahe. Im Sommer 2018, drei Jahre nach dem Verschwinden ihrer Schwester, hat die junge Frau eine Mauer zwischen sich und den Verrat ihrer Schwester gezogen.
Heute sprechen die Behörden des Landes von 61 solcher Fälle. Andere Schätzungen gehen hingegen von etwa 200 Maledivern aus, die sich seit 2015 diversen Terrororganisationen im Nahen Osten angeschlossen haben, die meisten der Nusra-Front und dem so genannten Islamischen Staat (IS). So sehr Mariyams Flucht ihre Familie erschüttert hat, so wenig ist sie ein Einzelfall. Im Gegenteil: In Relation zur Größe des Landes stellt die Inselgruppe im Indischen Ozean mit ihren nur 350.000 Einwohnern nach Tunesien das weltweit größte Kontingent an ausländischen Kämpfern in Syrien und in Irak.
Eine Entwicklung, die von den sunnitisch geprägten Malediven mit ihrer Tourismus-Industrie bislang in erster Linie als PR-Problem behandelt wurde. Und so spricht die Regierung Abdulla Yameen – die seit den umstrittenen Wahlen von 2013 im Amt ist – von der Verbreitung falscher Zahlen, beschwichtigt und wiegelt ab. Für Familien wie die von Mariyam ist das blanker Hohn. Sie und ihr Mann schlossen sich damals dem IS an. Ihre Familie in der maledivischen Hauptstadt Malé hörte erst Wochen später von ihnen. Nicht aus Bangkok, wo sich angeblich ihre Flitterwochen verbringen wollten, sondern aus der syrischen Provinz im Grenzgebiet zum Irak. »Für meinen kleinen Bruder war es besonders hart«, erinnert sich Liusha, die Schwester. »Wann kommst Du zurück?«, wollte der von Mariyam wissen. »Niemals«, war ihre Antwort.
Doch stimmt das?
Mittlerweile stellt sich eine Frage, die das Problem der Dschihadisten vor die Tür der maledivischen Regierung trägt: Wie mit jenen umgehen, die von den Schlachtfeldern des Nahen Ostens zurückkehren? Denn der Traum vom Kalifat ist verblasst, die Hochburgen des IS sind geschliffen, die Erzählung vom unaufhaltsamen Siegeszug selbst ernannter Gotteskrieger entzaubert. Viele der einst aus dem Ausland angereisten Kämpfer kehren in ihre Heimat zurück. Nach Deutschland, Frankreich, die USA und eben auch die Malediven. Vielleicht geschlagen, möglicherweise desillusioniert, ganz sicher gewalterfahren und kampferprobt.
»Wir wissen genau, dass diese Menschen aus Syrien zurückkehren, wir sehen sie ja auf den Straßen.« Shahindha Ismail zeigt keine Angst, wägt aber jedes Wort ab. Wacher Blick, präzise Sprache, aufrechte Haltung. Am Klingelschild ihres Büros steht kein Name. Nichts verrät, dass sich in dem unscheinbaren Haus inmitten Malés die Zentrale des »Maldivian Democratic Networks« befindet, dessen Direktorin sie ist. »Jeder, der die Extremisten auf den Malediven kritisiert, wird als unislamisch beschimpft«, klagt Shahindha. Sie selbst erhält regelmäßig Todesdrohungen und floh aus Angst um ihr Leben für mehrere Wochen nach Sri Lanka. Die Aktivistin glaubt, dass bereits mehr als hundert Malediver aus Syrien und dem Irak zurückgekehrt sind. Andere Schätzungen gehen zwar von deutlich weniger, aber immer noch Dutzenden Rückkehrern aus; die Behörden räumen drei Fälle ein.
Unabhängig von der genauen Größe der Gruppe scheint klar: Die Regierung kümmert sich nicht nachhaltig um das Problem, auch wenn die Ausreise zum Beitritt einer ausländischen Terrorgruppe seit 2015 unter Strafe steht. »Es gibt keine Rehabilitations-Programme, auch nicht für Kriegsrückkehrer«, berichtet Shahindha. »Also machen sie einfach weiter und rekrutieren andere Menschen.« Eine Beobachtung, die auch Liusha macht. Sie kennt den Freundeskreis ihrer nach Syrien gegangenen Schwester und weiß, dass andere aus der Gruppe ebenfalls versucht haben, auszureisen: »Einige wurden unter Hausarrest gestellt oder waren kurz im Gefängnis, doch jetzt sind sie frei. Und ich habe nicht das Gefühl, dass sie ihre Ansichten geändert haben.«
Wie bedrohlich ein solches Szenario ist, versteht nur, wer Malé kennt. Die Stadt wächst und wächst und weil Platz auf der Insel rar ist, bekommen die Gebäude immer mehr Stockwerke und die Appartements immer mehr Bewohner. Zu viele Menschen auf zu wenig Quadratmetern. Ständiger Hautkontakt, Schweiß und Schmutz, die Ohren kämpfen mit dem Lärm, die beißende Luft aus tausenden Vergasern verlässt die engen Gassen nur widerwillig. Kaum je ein freier Blick auf den Himmel, dafür permanente Aufmerksamkeit auf den Verkehr. Der Fahrtwind vorbeischießender Autos, Minilastwagen und Roller erinnert konstant an die Konsequenzen eines Fehltritts. Man geht nicht nebeneinander, man geht hintereinander. Alles ist zu nah, alles ist zu eng. Jeder kennt jeden, alle sehen alles, niemand entkommt, nichts bleibt geheim. Privatsphäre bleibt ein abstraktes Konzept.
»Die Malediver sind friedliebend. Sie haben keinen Sinn für den Krieg«, behauptete der maghrebinische Entdecker Ibn Battūta, als er im 14. Jahrhundert für kurze Zeit als Kadi auf den Inseln arbeitete. Heute ist Malé ein brutaler Ort. Eine 2012 veröffentlichte Studie der »Asia Foundation« berichtet von mehreren Dutzend Straßenbanden, jede mit 50 bis 400 Mitgliedern. Ein unerschöpflicher Quell junger, arbeitsloser Männer mit unsicherer Identität, gesteigertem Gewaltpotential und Zugang zu Waffen und Drogen. Tausende Kleinkriminelle, die früher oder später in einer der auf eigenen Inseln untergebrachten Strafanstalten landen – Keimzellen der Radikalisierung, denn ideologisch gefestigte Dschihadisten treten dort in Kontakt mit jungen Bandenmitgliedern.
Somit wächst nicht nur die Gefahr für liberale Malediver, sondern auch für den Ruf des Landes als beliebtes und sicheres Reiseziel. 2016 übernachteten rund 1,29 Millionen Touristen auf einer der Inseln. 90 Prozent der Urlauber kommen aus Europa oder Asien, darunter mehr als 100.000 Deutsche, die nach den Chinesen die zweitmeisten Urlauber stellen. Und so haben fast alle großen Reiseanbieter die Malediven im Programm. Die meisten Gäste verbringen ihren Urlaub in einem der über einhundert Resorts. Auf eigenen Inseln untergebrachte Hotelanlagen, die ihren überwiegend gut situierten Gästen westliche Annehmlichkeiten bieten. An den Bars wird Alkohol gereicht und am Strand im Bikini gesonnt, kein Minarett trübt die Sicht auf Palmen und Meer, kein Muezzin ruft zum Gebet. An diesen Orten lässt es sich Wochen zubringen, ohne am Ende zu wissen, dass die Malediven ein islamisches Land sind.
Insgesamt stellt die maledivische Tourismusbranche 37.000 Betten bereit und besorgte 2016 mit einem Jahresumsatz von 345 Millionen Euro einen bedeutenden Teil des Bruttoinlandsprodukts. Doch dabei soll es nicht bleiben, denn die Regierung plant die Zahl der Urlauber zu vervielfachen. Bis zu sieben Millionen Touristen jährlich sollen dann wertvolle Devisen ins Land bringen. Auch logistisch eine Herausforderung: Um den geplanten Besucheransturm zu bewältigen, wird der Velana International Airport nahe Malé derzeit ausgebaut. Parallel entstehen neue Bettenburgen und ein Terminal für Kreuzfahrtschiffe auf der künstlich aufgeschütteten Insel Hulhumalé II.
Ein emsiger Ort im Auf- und Umbruch, der im bedrückenden Kontrast zur Realität auf den hunderten kleinen Inseln des Landes steht. Wo kein Resort in der Nähe steht, dominiert der Fischfang. Und wer auf keinem der Kutter unterkommt, verdöst den Tag in der Hängematte, kaut aus Indien importierte Betelnüsse und starrt in digitaler Apathie auf den Bildschirm seines Smartphones oder in die türkise Endlosigkeit des Indischen Ozeans. Es gibt kaum Arbeit und auch sonst nichts zu tun, etwas Zerstreuung bieten nur Bolzplätze und das Inselcafé. Ansonsten: Keine Polizeiwache, kein Krankenhaus, nur eine kleine Schule und mit etwas Glück eine tägliche Fähre zur ebenso trostlosen Nachbarinsel. Die Malediven, erklärt der Besitzer eines kleinen Hotels, sind nicht ein Land, sondern drei: Malé, die Resorts und der Rest. Ein Rest, für den sich nicht mal die Regierung interessiert, die stattdessen auf Zentralisierung setzt und immer mehr Menschen in die Hauptstadt lockt.
Große Pläne, an denen auch die wirtschaftliche Zukunft des Landes hängt – kritische Presse ist da unerwünscht. »Die Regierung will nicht, dass wir über Radikalisierung berichten«, sagt Mohamad Junayd, der als Journalist beim Maldives Independent arbeitet und genau das tut. Denn Terror, Extremismus und Radikalisierung sind bis heute keine Schlagworte, die Urlauber mit den Malediven verbinden. Und wenn es nach der Regierung geht, soll das auch so bleiben.
Entsprechend groß war die Aufregung, als im September 2017 zwei angebliche IS-Anhänger wegen Planung eines Selbstmordanschlags in Malé verhaftet wurden. Das britische Außenministerium veröffentlichte daraufhin eine Lageeinschätzung, in der es heißt, dass mit »terroristischen Anschlägen auf den Malediven zu rechnen« sei. Das amerikanische State Departement warnt sogar vor möglichen Angriffen auf touristische Ziele und das Auswärtige Amt schreibt, terroristische Anschläge könnten nicht ausgeschlossen werden. »Westliche Staaten haben enormen Druck auf die Regierung ausgeübt«, fasst Journalist Mohamad Junayd zusammen. »Die wussten: Jetzt müssen wir etwas unternehmen.«
Im November vergangenen Jahres präsentiert das maledivische Verteidigungsministerium dann seine »National Strategy on Preventing and Countering Violent Extremism«. Gleich an mehreren Stellen betont das elfseitige Papier, dass Terrorismus ein globales und keineswegs ein auf die Malediven beschränktes Phänomen sei – und verbleibt ansonsten im Vagen. Auf die Bedeutung des Papiers angesprochen, schüttelt Junayd den Kopf: »Es ging nur darum, die Amerikaner zu beruhigen.«
Auch Moosa Zameer, Minister für Tourismus im Kabinett Yameen, beschwichtigt. Im Januar 2018 sagt er, dass keine Berichte über Bedrohungen vorliegen würden. Touristen, so der Minister zusammenfassend, seien nicht gefährdet. Eine Einschätzung, die sich viele Reiseanbieter zu eigen machen. Auf Anfrage von zenith teilt die Pressestelle von DER Touristik – einem von vielen deutschen Unternehmen, die die Malediven im Programm haben – mit, dass man nicht notwendige Ausflüge nach Malé aus Sicherheitsgründen gestrichen habe. Da zumindest die deutschen Behörden nicht vor Resort-Aufenthalten warnen würden, blieben die im Programm. Andere Reiseanbieter reagierten nicht auf entsprechende Anfragen, ebenso wenig die Pressestelle der Regierung.
Dabei gibt es durchaus Grund zur Besorgnis. So resümiert etwa der »Global Terrorism Index 2017« des australischen »Institute for Economics and Peace«, dass Angriffe auf Resorts kaum zu verhindern wären. Die auf viele Dutzend autarke Inseln verteilten Hotelkomplexe seien nicht zu verteidigende Ziele. »Viele Resorts werden überhaupt nicht beschützt und die Inseln, auf denen sie liegen, sind über den flachen Sandstrand von allen Seiten frei zugänglich«, berichtet auch der Journalist Junayd. »Wenn dort etwas geschieht, dann wird es übel.«
Rückkehrer finden zudem ein gesellschaftliches Klima vor, das kaum dazu beitragen wird, ihre radikalen Überzeugungen zu mildern. In maledivischen Moscheen, sollen angeblich regelmäßig offen anti-westliche Verschwörungstheorien gepredigt werden, obwohl der Sermon durch die Regierung kontrolliert wird. Insbesondere in Freitagsgebeten würden Gläubige gewarnt, dass westliche Ideen und Politik muslimische Gesellschaften bedrohen, dass der Westen den Islam bekämpfe und versuche, ihn aus der Welt zu schaffen.
Eine der prominentesten Apologeten derartiger Ansichten ist Adam Shameem. »Sex, Drogen und Rock’n’ Roll werden dieses Land vernichten«, ließ der Imam seine Anhänger wissen, als ein Neujahrskonzert mit westlicher Musik zur Ankurbelung des Tourismus geplant wurde. Shameem machte sich in der Vergangenheit außerdem für die Einführung der Todesstrafe stark und glaubt nicht an die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie – immerhin, den Beitritt zu Terrorgruppen in Afghanistan und Pakistan lehnt er explizit ab.
Es sind Predigten, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Als am 26. Dezember 2004 ein Tsunami Dutzende Malediver das Leben kostet und viele Inseln verwüstet, haben konservative Imame rasch eine Erklärung zur Hand: Die Abkehr vom Islam sei schuld, die Flut eine Strafe Gottes und dass dies alles zum christlichen Weihnachtsfest passiert ist, könne kein Zufall sein. Seitdem sieht man auf den Malediven zunehmend verschleierte Frauen. Kaum augenfälliger könnte der Unterschied sein, wenn man Ibn Battūtas Beobachtungen aus dem 14. Jahrhundert heranzieht: »Die Frauen bedecken ihr Gesicht und ihren Körper nicht«, schrieb der in sein Reisetagebuch. »Sie bekleiden sich nur vom Nabel abwärts.« Heute reicht das Spektrum vom einfachen Kopftuch bis hin zur alles verdeckenden Burka; trotz tropischen Klimas kein seltener Anblick. »Tsunami-Effekt« nennen die Kritiker diesen Trend. Er beschreibt die Katastrophe nach der Katastrophe.
All das hielt Präsident Abdulla Yameen nicht davon ab, Adam Shameem Ende 2016 in den »Supreme Council for Islamic Affairs« zu berufen. Ein Gremium, das unter anderem die Aufgabe hat, die Freitagspredigten aller Moscheen des Landes zu koordinieren. Der Aufschrei war groß, erinnert sich der Vertreter einer internationalen Organisation, der aufgrund des politischen Klimas nicht namentlich genannt werden will. Die Regierung in Malé, berichtet er, habe in Hintergrundgesprächen behauptet, die Berufung Shameems sei der Versuch, radikale Kräfte einzubinden und so unschädlich zu machen. Für Shahindha Ismail vom »Maldivian Democratic Network« ist der Vorgang hingegen nur ein weiteres Indiz für die zunehmende Verquickung von Politik und Religion: »Für mich sind das politische Werkzeuge. Die Regierung tut sich mit denen zwar nicht offen zusammen, aber wir sehen ja, dass sie mit keinerlei Strafen zu rechnen haben.«
Und so sind radikale Botschaften auf den Malediven mittlerweile salonfähig. 2011 ergab eine Umfrage der »Human Rights Commission of the Maldives«, dass rund ein Drittel aller Befragten Menschenrechte und Religion für teilweise unvereinbar halten. Die Befragten sahen Konflikte etwa bei Frauenrechten und dem Recht auf Meinungsfreiheit. Weder letztere noch die Religionsfreiheit wählten die Studienteilnehmer unter die zehn wichtigsten Menschenrechte. 58 Prozent der Befragten sprachen sich zudem dafür aus, dass hinduistische oder buddhistische Gastarbeiter ihre Religion weder öffentlich noch privat praktizieren dürfen.
Eine weitere Erklärung für die grassierende Intoleranz gegenüber Andersgläubigen liefert eine Studie des »Maldivian Democratic Networks«, die die Schulbücher des Landes untersucht hat. »Müsste ich die Ergebnisse der Studie zusammenfassen, würde ich sagen, dass die Bücher Religionshass schüren. Im Grunde genommen ist es eine einfache Erzählung: Wir gegen die«, berichtet Shahindha Ismail. Und so lesen bereits Schulkinder von der vermeintlichen Verschwörung des Westens gegen den Islam.
Wer sich liberal positioniert, riskiert, öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Von Anfeindungen bis Todesdrohungen: Viele Aktivisten haben Erfahrung mit diesem Hass. Ein Problem, das sich dank sozialer Netzwerke verstärkt. Auf Facebook und Twitter finden sich Dutzende Profile, in denen Malediver ihre Unterstützung für Gruppen wie den IS offen demonstrieren. Darunter Mitarbeiter des Flughafens, der Universität und Beschäftigte aus dem Tourismus-Sektor. Doch es bleibt nicht beim digitalen Bekenntnis: Im Sommer 2014 marschierten mehrere hundert Menschen, darunter Frauen und Kinder, durch die Hauptstraße Malés und schwenkten die Flagge des IS. Sie forderten die Einführung der Scharia und trugen Plakate, auf denen sie Demokratie als unislamisch bezeichneten. Am Ende der Kundgebung riefen sie angeblich dazu auf, Gotteskrieger weltweit beim Dschihad zu unterstützten. Die Opposition warf der Regierung bereits damals Tatenlosigkeit vor.
Es scheint, dass Präsident Abdulla Yameen bereit ist, für den Erhalt seiner politischen Macht auch radikale Kräfte zu hofieren. Dafür spricht, dass selbst unter Klarnamen geäußerte Todesdrohungen gegenüber Oppositionellen und Aktivisten nur selten zu strafrechtlicher Verfolgung führen und Hassprediger kaum Sanktionen zu befürchten haben. Hinzu kommt, dass der Regierung die Zunahme explizit demokratiefeindlicher Milieus durchaus zupasskommt. Amnesty International etwa warnt seit Jahren vor der faktischen Aushöhlung der demokratischen Verfassung des Landes und der dort geregelten Gewaltenteilung. Die EU ist derart besorgt über diese anti-demokratische Tendenzen, dass sie im Vorfeld der für September angesetzten Präsidentschaftswahlen mit einer Reihe harter Sanktionen droht, sollte sich die Situation im Land nicht bessern.
Es ist eine bittere Pointe, dass ausgerechnet die unter Yameens Vorgänger Mohamed Nasheed an Fahrt aufgenommene Demokratisierung einen wichtigen Beitrag zur heutigen Vormachtstellung erzkonservativer Imame geleistet haben könnte. »Nicht alle Menschen waren für diese neuen Freiheiten bereit«, fasst Mohammed Hood Ibrahim von der NGO »Junior Chamber International« zusammen. »Die Malediven waren immer eine sehr konservative Gesellschaft. Durch die Öffnung hatten viele Menschen das Gefühl, außen vor zu sein. Extremisten und Radikale nutzen dann Religion als Waffe, um Hass zu verbreiten.«
Dass diese Instrumentalisierung des Glaubens auf den Malediven scheinbar problemlos funktioniert, hat für Kritiker der Regierung auch mit ausländischen Geldgebern zu tun. So investiert etwa das saudische Königshaus seit Jahrzehnten im großen Stil in die laut Verfassung zu 100 Prozent islamischen Malediven. Jüngster Beleg dieser Partnerschaft ist der mit 20 Millionen US-Dollar veranschlagte Bau der »König-Salman-Moschee« in Malé. Nach Fertigstellung sollen 6.000 Gläubige in die dann größte Moschee des Landes passen. »In Telefon-Umfragen haben wir herausgefunden, dass die saudische Kultur von den Menschen mittlerweile als maledivische oder islamische Kultur akzeptiert wird«, berichtet Shahindha Ismail vom »Maldivian Democratic Network«: »Seit Jahrzehnten bietet die saudische Regierung Stipendien für Malediver an, die so umsonst an der Universität in Medina studieren können. Und ich glaube, dass das einer der Orte ist, den sie nutzen, um ihren Wahhabismus zu exportieren.«
Ein Vorwurf, den auch der ehemalige Präsident Mohamed Nasheed erhebt, dessen Amtszeit nicht zuletzt deshalb vorzeitig endete, weil religiöse Hardliner erfolgreich Zweifel an seiner religiösen Rechtschaffenheit weckten. Eine Partnerschaft, die sich Riad einiges kosten lässt. Als der Tsunami 2004 mehrere Dutzend Inseln verwüstete, spendierten die Saudis die Kosten für den Wiederaufbau zerstörter Moscheen und pünktlich zum Fastenmonat Ramadan werden Datteln an alle Bewohner des Landes verschickt. Es sind Investitionen, die Riad beizeiten in politische Unterstützung umzumünzen weiß: So sind die Malediven neben den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain eines der wenigen Länder, das den saudischen Boykott gegen Katar unterstützt und die diplomatischen Beziehungen zu Doha abgebrochen hat.
Darüber hinaus hat Saudi-Arabien aber auch handfeste wirtschaftliche Interessen in den Malediven, ist die Diversifizierung der Staatseinnahmen doch eines der erklärten Ziele des Reformpakets »Vision 2030«. In diesem Kontext stand auch ein 6,7 Milliarden Euro teures Großprojekt zur touristischen Entwicklung des abgelegenen Faafu-Atolls – inklusive Errichtung einer Millionenstadt namens »Dream City«. Erst als Meldungen zum angeblichen Verkauf des Atolls zu öffentlichem Protest führten, zog sich das saudische Königshaus zurück; beteiligt sich finanziell aber weiterhin am Ausbau des Hauptstadt-Flughafens und der Aufschüttung künstlicher Inseln.
Es scheint, als sei die Regierung Yameen auch in anderer Hinsicht von den Saudis inspiriert. Denn ähnlich wie Riad, lässt sie heimische Hardliner weitestgehend gewähren und kooptiert ihre radikale Rhetorik im Sinne des eigenen Machterhalts. So lange sich die gewalttätigen Exzesse – also der bewaffnete Kampf gegen vermeintlich Ungläubige – jenseits der Landesgrenzen zutragen, etwa in Syrien und Irak, sieht die Regierung der Malediven offenbar keinen gesteigerten Handlungsbedarf.
Ein gefährliches Spiel, denn selbst wenn die Regierung informelle Verabredungen mit islamistischen Organisation getroffen habe, so der Journalist Mohamad Junayd, wird auch das die zurückkehrenden Kämpfer nicht kontrollieren können: »Die waren in Syrien, haben gekämpft, sind ideologisch gefestigt. Was immer die vorhaben: Niemand wird sie davon abhalten.« Auch Liusha Mohamed hofft mittlerweile, dass ihre Schwester Wort hält und in Syrien bleibt, dass sie niemals zu ihrer Familie zurückkehrt.
Sie glaubt, dass sie eine Gefahr für die Gesellschaft ist.
Die Recherche wurde von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN e.V.) unterstützt.