Populismus und Fremdenfeindlichkeit nehmen zu in Kuwait. Dabei überdeckt die Stimmungsmache gegen Gastarbeiter die größte Schwachstelle in den Zukunftsplänen des Emirats.
Safa Al-Haschim ist die einzige Frau im kuwaitischen Parlament. Doch das ist nicht der Grund, warum die 55-Jährige regelmäßig die Schlagzeilen im Emirat bestimmt. Safa Al-Haschim setzt sich für die Zementierung einer Zweiklassengesellschaft ein, in der Ausländer und Staatsbürger nicht die gleichen Rechte genießen. Und sie bedient sich dabei einer Sprache, die ihr den Spitznamen »Kuwaits Trump« eingebracht hat.
2018 forderte die Parlamentarierin, dass in Kuwait wohnende Ausländer zur Kasse gebeten werden sollen – für »die Luft, die sie atmen«. »Die Subventionierung öffentlicher Leistungen sollte ausschließlich Kuwaitis vorbehalten sein. Ausländern sollte es nicht erlaubt sein, sie kostenlos in Anspruch zu nehmen«, erklärt die Abgeordnete auf Nachfrage gegenüber zenith und fordert, dass die Anzahl ausländischer Arbeiter 40 Prozent der Gesamtbevölkerung nicht übersteigen und nur eine Aufenthaltsdauer von maximal sieben Jahren gewährt werden sollte. Tatsächlich nimmt die Polizei regelmäßig Gastarbeiter fest, die sich entscheiden, nach Ablauf ihres Arbeitsvertrages illegal im Land zu bleiben.
Für Nasser Al-Mujaibel gehen die Äußerungen von Politikern wie Safa Al-Haschim weit über Law-and-Order-Rhetorik hinaus. »In den letzten zehn Jahren haben Hasskommentare gegen Gastarbeiter innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses an Popularität gewonnen«, konstatiert der Medien- und Kommunikationsforscher von der Universität Kuwait und beobachtet, dass Politiker mir dem Thema immer häufiger auf Stimmenfang gehen.
Nach der Verstaatlichung der kuwaitischen Ölindustrie im Jahr 1975 strömten Millionen ausländische Arbeitskräfte in das Emirat. Heute stellen Ausländer zwei Drittel der 4,7 Millionen Einwohner, darunter 475.000 Ägypter, etwa 930.000 Inder und knapp 200.000 Arbeiter aus Bangladesch. Außerdem kommen auf jedes neugeborene kuwaitische Kind drei neue Einwanderer, wie die kuwaitische Tageszeitung Al-Qabas mit Verweis auf Regierungsquellen im März 2019 berichtete.
Die rassistischen Äußerungen über Migranten greifen immer wieder den Zuzug einkommensschwacher Gastarbeiter auf. Und das kuwaitische Parlament – eine unter den Golfstaaten einzigartige, oft regierungskritische Institution – bietet dafür eine Plattform. Kein Wunder, schließlich diskutieren die Abgeordneten hier das wohl sensibelste Thema der kuwaitischen Politik: die Preissteigerungen in sämtlichen Bereichen der Grundversorgung. Immer wieder müssen Kuwaits Gastarbeiter hier als Sündenböcke herhalten.
2017 verabschiedeten die Abgeordneten einen Preisanstieg für Elektrizität und Wasser, der aber nicht für kuwaitische Staatsbürger gilt. Um den Verkehrsproblemen des Landes Herr zu werden, schlägt Al-Haschim vor, einem Großteil der Ausländer keine Führerscheine mehr auszustellen. »Letztendlich ist es meine Pflicht, die Kuwaitis zu schützen, deswegen wurde ich gewählt«, rechtfertigt sie derlei Forderungen.
Dabei kann die Abgeordnete auf stetig wachsende Zustimmung unter ihren Kollegen zählen – ein Konsens, der selbst die Gräben von Sektarismus und Tribalismus im Land überwindet. Zu den Wortführern der gegen Migranten gerichteten Maßnahmen zählt etwa auch der schiitische Abgeordnete Khalil Al-Saleh, der im politischen Spektrum des Golfstaates dem liberalen Lager zugerechnet wird. Saleh leitet die parlamentarische Kommission für die sogenannte Kuwaitisierung des Arbeitsmarkts, im März 2019 wandte er sich mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, über die nächsten fünf Jahre die Hälfte der 3,3 Millionen Ausländer auszuweisen.
Jleeb Al-Shuyoukh dient vielen Kuwaitis als Beleg für die vermeintlichen Nachteile, die Staatsbürger durch die Präsenz der Gastarbeiter erleiden. Der Vorort am südlichen Rand der Hauptstadt wird vor allem von ausländischen Arbeitern bewohnt und leidet seit Jahren unter Kriminalitäts- und Hygieneproblemen. Am meisten bewegt die Populisten im Parlament aber die Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen. »Kuwaitis müssen sich in Krankenhäusern einreihen, während Einwanderer die medizinischen Einrichtungen überfüllen«, lautet eine der Behauptungen, die Safa Al-Haschim immer wieder ins Feld führt.
Darüber hinaus werden ausländische Arbeiter seit dem Verfall des Ölpreises im Jahr 2014 als Konkurrenten wahrgenommen, da sie im direkten Wettstreit mit der einheimischen Bevölkerung um dieselben Arbeitsplätze stehen. In Wirklichkeit behält die Leitlinie der sogenannten Kuwaitisierung viele Arbeitsplätze kuwaitischen Staatsbürgern vor – insbesondere im öffentlichen Dienst, wo sich die betriebsbedingten Kündigungen häufen. Im Haushaltsjahr 2017/2018 wurden die Verträge von 1.128 ausländischen Arbeitnehmern im Staatdsdienst aufgelöst.
Inzwischen beschäftigt sich auch die Forschung mit dem Zusammenhang von sozialer Unsicherheit und Fremdenfeindlichkeit am Golf. Mustafa Qadri, Direktor der Londoner Consulting-Agentur für Arbeitnehmerrechte »Equidem Research«, bescheinigt den Kuwaitis ein »unglaubliches Angstgefühl«. Einer der Gründe für das Misstrauen: Rücküberweisungen – in den Augen vieler Kuwaitis ein Beleg für mangelnde Loyalität der Migranten. Laut Angaben der Weltbank schickten Gastarbeiter in Kuwait 2017 insgesamt 12,4 Milliarden Euro an die Angehörigen in ihren Heimatländern. Diese Summe entspricht 11,4 Prozent des kuwaitischen Bruttoninlandprodukts.
Fremdenfeindlichkeit ist am Golf indes keine neues Phänomen. »In den 1960er und 1970er Jahren richtete sich der Hass gegen iranische Migranten«, erklärt Politikwissenschaftler Hamad Albloshi von der Universität Kuwait gegenüber zenith. Sein Kollege Nasser Al-Mujaibel pflichtet bei und sieht neben dem Parlament in den Medienhäusern des Emirats, die meist der politischen Linie ihrer Eigner folgten, als wichtigsten Resonanzraum für Fremdenfeindlichkeit und Populismus. »Ständig prasseln Berichte auf die Bevölkerung ein, in denen Ausländer als das Hauptproblem des Landes ausgemacht werden«.
Trotz des medialen Trommelfeuers folgen längst nicht alle Kuwaitis den Argumenten der Scharfmacher. Auch auf politischem Parkett formiert sich Widerstand gegen die fremdenfeindliche Rhetorik. Der Abgeordnete Khalil Abul, der unter anderem im Menschenrechtsausschuss des Parlaments sitzt, mahnt seine Landsleute zu mehr Selbstkritik – und warnt vor den möglichen Folgen der aufgeheizten Debatte. »Die Kuwaitis halten sich für eine überlegene Rasse – ich befürchte, dass sie eines Tages fordern, Ausländer zu verbrennen.«
Im Gespräch mit zenith weist der Parlamentarier auf den Beitrag hin, den ausländische Arbeitskräfte über fünf Jahrzehnte lang für den Aufbau des modernen Kuwaits und seiner Wirtschaftskraft geleistet haben. »Wie können wir es überhaupt wagen, sie so zu behandeln?« Auch für eine vermeintliche Überbevölkerung sollten die Gastarbeiter nicht verantwortlich gemacht werden – schließlich würden Arbeitsvisa von den kuwaitischen Behörden ausgestellt werden. Abul fordert seine Parlamentskollegen auf, Kuwaits eigene Verantwortung für das Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt nicht länger zu leugnen.
Für Anwar Al-Rasheed heißt das, endlich auch die Regierenden in die Pflicht zu nehmen und sich nicht von populistischer Rhetorik einlullen zu lassen. »Die Herrscher am Golf spielen die populistische Karte, um die Entstehung einer strukturierten Opposition zu untergraben«, sagt der Abgeordnete und Mitstreiter von Khalil Abul im Gespräch mit zenith.
Die Forschung sieht vor allen in den getrennten Lebenswelten und den geringen zwischenmenschlichen Kontakten zwischen Kuwaitis und Gastarbeitern einen Grund für fehlende Wertschätzung und Fremdenfeindlichkeit. Während sich viele Gastarbeiter außerhalb ihrer Arbeit in einen privaten Raum zurückziehen, in dem sie sich die Kultur ihrer Heimat erhalten, sind sich die meisten Kuwaitis überhaupt nicht bewusst, welchen Problemen und Hindernissen ausländische Arbeitnehmer tagtäglich gegenüberstehen.
Mustafa Qadri geht noch einen Schritt weiter. Kuwait müsse ein Interesse daran haben, sich mit dem Problem der Fremdenfeindlichkeit auseinanderzusetzen – allein schon, um den weiterhin hohen Bedarf an Gastarbeitern aufrechtzuerhalten. »Das Fernsehen sollte seinen Teil dazu beitragen und die Geschichten der Migranten erzählen, um Brücken zwischen den Gesellschaften zu bauen«, regt der Arbeitsrechtsexperte an.
Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Bislang gibt es kaum ernsthafte Bemühungen, um Gastarbeiter und Kuwaitis einander näher zu bringen. Zumindest auf politischer Ebene könnte der Stimmungsmache gegen Gastarbeiter der Wind aus den Segeln genommen werden – sobald der Fokus auf den hochsensiblen Finanzbereich gelenkt und die Regierenden in die Pflicht genommen werden. Ein kuwaitischer Politiker, der aufgrund der Sensibilität dieses Themas anonym bleiben möchte, erklärt zenith, dass Politiker, die sich lautstark über Gastarbeiter echauffieren, der kuwaitischen Regierung das Wort reden, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von einer Kernfrage abzulenken: »Wohin sind die Milliarden aus den Öleinnahmen versickert?«