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Schwangerschaft und Entbindungen und in Algerien
Eine Frau erholt sich auf der Entbindungsstation des Mustapha-Pacha-Krankenhauses in Algier.Foto: Djamila Ould Khettab
Schwangerschaft und Entbindungen und in Algerien

Schwere Geburt

Reportage
von Djamila Ould Khettab
11.12.2020
Gesellschaft

Die einst hervorragenden Krankenhäuser in Algerien sind marode, Hebammen arbeiten am Rande des Zusammenbruchs. Eine Lebensgefahr für werdende Mütter.

Zehn Monate nach der Geburt ihrer Zwillinge ist Saadia immer noch schwer gezeichnet von ihren schmerzhaften Erfahrungen. Was einer der freudigsten Tage ihres Lebens hätte sein sollen, wurde zum Albtraum. »Ich war davon überzeugt, dass ich sterben würde.«

 

Als Saadias Fruchtblase platzte, eilten die 30-jährige Hausfrau und ihr Mann in das staatliche Krankenhaus Zeralda, gelegen in einem der Vororte im Westen der algerischen Hauptstadt Algier. Nachdem sie bereits Stunden in der überfüllten Notaufnahme verbracht hatte, musste sie weiter auf dem Flur der Entbindungsstation warten – so wie zahlreiche weitere werdende Mütter. »Ich fühlte mich schwach, ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Auf dem Gang gab es keine Sitzplätze. Ich musste mich auf den Boden setzen, um mich auszuruhen«, erinnert sie sich.

 

Nach der Untersuchung schickte ein Arzt Saadia nach Hause, obwohl deutliche Anzeichen für Komplikationen vorlagen. Es war ein Samstag und während des Wochenendes sind die Entbindungsstationen noch stärker unterbesetzt als unter der Woche. »Der Arzt versuchte, mich loszuwerden. Aber ich brauchte dringend einen Kaiserschnitt, da das Leben meiner Babys in Gefahr schwebte.« Erst als sie am nächsten Tag wiederkam, nahmen die Ärzte sie in der Entbindungsstation auf und brachten ihre Zwillinge per Kaiserschnitt auf die Welt.

 

Mit 3,5 Kindern pro Frau verzeichnet Algerien eine der weltweit höchsten Geburtenraten. Unterbesetzung und unzureichende Ausstattung bringen das System an seine Grenzen. Seit 2014 sind jedes Jahr mehr als eine Million Kinder in Algerien geboren worden. In einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung unter 30 Jahre alt und die Mehrheit der Frauen im gebärfähigen Alter ist, wird sich die Krise in der Geburts- und Mütterbetreuung wahrscheinlich noch verschärfen.

 

Wie Saadia begegnen Tausende von werdenden Müttern in ganz Algerien täglich ähnlichen Schwierigkeiten. Auch aufgrund des chronischen Fachkräftemangels erhalten sie oft keinen Zugang zu öffentlicher und kostenloser Gesundheitsversorgung. »Nachts standen keine Krankenschwestern zur Verfügung, um Fortschritte bei meiner Heilung zu verfolgen oder mir eine postoperative Schmerzbehandlung zukommen zu lassen«, sagt Saadia, die nach dem Eingriff drei Tage im Krankenhaus von Zeralda verbrachte.

 

Nach Angaben der Gewerkschaft der Gesundheitsdienstleister arbeiten 75 Prozent der Gynäkologen in Algerien im privaten Sektor, während mehr als 80 Prozent der schwangeren Frauen in staatlichen Krankenhäusern behandelt werden. »Geburtshilfe und Gynäkologie sind zu einem florierenden Geschäft geworden und zählen daher zu den begehrtesten Studienspezialisierungen an den Universitäten«, sagt die Kinderpsychologin Karima Araoui. »Die Studenten arbeiten lieber in einer Privatklinik oder gleich im Ausland, statt in öffentlichen Einrichtungen.«

 

»Wir gingen schweren Herzens«

 

Kein neues Phänomen in Algerien. Seit Mitte der 1990er Jahre beschleunigte sich die Abwanderung des medizinischen Personals vom öffentlichen Sektor in die Privatwirtschaft. Um die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen, hatte die Regierung die Ausgaben drastisch gekürzt und die Liberalisierung des Gesundheitssystems angestoßen.

 

Zu dieser Zeit öffneten viele Privatkliniken und auch kleine Privatpraxen ihre Türen. »Wir gingen schweren Herzens«, sagt der Arzt Ghaouti Benabadji, der seit Anfang der 2000er Jahre eine Privatpraxis führt, nachdem er jahrelang in einem staatlichen Krankenhaus in der westalgerischen Küstenstadt Oran angestellt war.

 

Der Privatarzt Benabadji macht die ausufernde Bürokratie, Missmanagement und die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit staatlichen Sparmaßnahmen für seine Entscheidung verantwortlich. »Wir waren überfordert und konnten unsere Patienten nicht mehr richtig behandeln. Ich war nicht mehr nur Gynäkologe; ich spielte oft auch noch die Rolle einer Krankenschwester oder eines Verwalters. Das war zu viel.«

 

In der Privatwirtschaft finden Geburtshelfer und Gynäkologen, was im öffentlichen Sektor oft fehlt: »Sowohl persönliche als auch berufliche Erfüllung«, glaubt Mohamed Mebtoul. »Dort profitieren sie von besseren Arbeitsbedingungen, mehr Autonomie und werden zudem viel besser bezahlt«, fügt der Gesundheitsanthropologe vom Soziologischen Institut der Universität Oran hinzu. »Sie werden Teil einer Elite.«

 

Auch die Hebammen befinden sich in einer Krise, insbesondere nachdem sich Tausende qualifizierter Pflegekräfte nach der Reform des algerischen Rentensystems im Jahr 2017 in die Frührente verabschiedeten. Die Zahl der praktizierenden Hebammen ist nach Angaben der Gewerkschaft der Geburtshelfer um die Hälfte gesunken, von 8.000 im Jahr 2014 auf 4.000 im Jahr 2020.

 

Die Corona-Pandemie hat die Personalkrise noch einmal verschärft. In der Provinz Tissemsilt im Atlasgebirge, südwestlich der Hauptstadt Algier, streikte im Juni eine Gruppe von Hebammen, die sich mit dem Covid-19-Virus infiziert hatten. Die Frauen weigerten sich, weiter zu arbeiten. »Sie protestierten, um ihre Patientinnen vor einer Ansteckung zu schützen«, sagt Akila Guerrouche, die Präsidentin der Hebammen-Gewerkschaft.

 

Die Gesundheitsbehörden haben außerdem Schwierigkeiten, genügend qualifizierte Hebammen einzustellen. Das neu gestaltete Ausbildungsprogramm dauert fünf statt wie bisher drei Jahre. Viele Studentinnen brechen die Ausbildung ab und entscheiden sich für besser bezahlte medizinische Berufe.

 

Schwangerschaft und Entbindungen und in Algerien
Die Renovierung der Entbindungsabteilung des Mustapha-Pacha-Krankenhauses soll 2021 abgeschlossen werden.Foto: Djamila Ould Khettab

 

»Sie werden entmutigt, weil ihre Arbeit anstrengend und unterbezahlt ist. Wir tragen viel Verantwortung, aber bekommen wenig Anerkennung«, kritisiert Guerrouche von der Gewerkschaft und weist auf die gesundheitlichen Langzeitfolgen der Arbeit hin. »Am Ende ihrer beruflichen Laufbahn leiden viele Hebammen unter chronischen Sehnenentzündungen und Arthrose. Doch diese Leiden werden nicht als arbeitsbedingte Erkrankungen anerkannt.«

 

Lyes Merabet ruft die Regierung in Algier auf, aktiv zu werden. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Gesundheitsdienstleister fordert, das die Behörden gegen den Personalmangel und den regionalen Ungleichheiten im Gesundheitswesen vorgehen.

 

»Es geht nicht nur um Gehaltserhöhungen. Die Regierung sollte das Arbeitsumfeld verbessern«, sagt er und bringt mögliche Verbesserungen ins Spiel. »Entspannungsbereiche innerhalb der Krankenhäuser sowie kostenlose Kindergärten und Transportmöglichkeiten sollten für das Gesundheitspersonal zur Verfügung gestellt werden, um sie zu ermutigen, weiterhin im öffentlichen Sektor zu arbeiten«.

 

Viele Frauen berichten von körperlicher und seelischer Gewalt

 

Die Überlastung des Personals ist mitverantwortlich für Fehlverhalten gegenüber Patienten. »Wir arbeiten in einer sehr unruhigen Umgebung. In der Hektik sind wir manchmal so gereizt, dass wir die Beherrschung verlieren«, gibt Hakima Cheriet zu. Sie leitet die Entbindungsabteilung des Mustapha-Pacha-Krankenhauses, der größten Klinik Algeriens. Viele Frauen berichten von körperlicher und seelischer Gewalt, von Schlägen, Schreien und Spott.

 

So auch Saadias Zimmernachbarin. »Die Hebamme drückte mit ihrem Knie auf ihren Bauch, damit das Kind schneller kommt, während der Arzt sie anschrie, weil sie sich angeblich zu viel beschwerte. Erst als sie sich körperlich zur Wehr setzte, konnte sie verhindern, dass sie ihr weiter wehtun«, erinnert sich Saadia, die Zeugin der Tortur wurde.

 

Miserable Arbeitsbedingungen lassen das medizinische Personal »viel weniger einfühlsam« sein, glaubt auch die Ärztin Nadia Chouitem. »Angesichts des Mangels an Mitarbeitern, Betten und medizinischer Versorgung fühlen sie sich hilflos und finden manchmal keine Antworten, die sie den Patienten geben können«, erklärt die ehemalige Parlamentsabgeordnete, die im Zuge der algerischen Protestbewegung »Hirak« ihr politisches Mandat niederlegte.

 

Ein großer Teil des medizinischen Personals, einschließlich der Sicherheitskräfte und des Reinigungspersonals, ist schlecht ausgebildet und unterbezahlt.

 

»Für Sicherheitspersonal ist der Job in einem Krankenhaus wie jeder andere. Ihnen wird etwa nicht beigebracht, wie man Patienten angemessen empfängt. Auch das Reinigungs- und Technikpersonal wird nicht ausreichend zu Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen geschult«, bemängelt Chouitem, die Mitglied der oppositionellen Arbeiterpartei ist. Sie glaubt: »Wir können nicht mehr von Menschen erwarten, die weniger als 10.000 Dinar pro Monat (umgerechnet etwa 65 Euro, Anm. d. Rd.) Lohn erhalten.«

 

Das algerische Gesundheitsministerium räumt ein, dass das Verhältnis zwischen Gesundheitspersonal und werdenden Müttern Verbesserungen bedarf. »An medizinischen Fakultäten werden keine Kurs für Kommunikationsfähigkeiten angeboten, und das sollte sich ändern«, fordert Lamia Yassef, die im Ministerium für das Thema Geburtshilfe zuständig ist.

 

Hunderte Kilometer mit dem Auto für eine einfache Untersuchung

 

Noch schlimmer ist die Situation für werdende Mütter allerdings in ländlichen und Wüstenregionen Algeriens. Hebammen schätzen, dass fast ein Drittel der in den Krankenhäusern von Algier aufgenommenen schwangeren Frauen aus dem Rest des Landes anreisen, weil sie dort nicht die medizinische Hilfe finden, die sie benötigen. Um lange und beschwerliche Wege zu vermeiden, ziehen es Schwangere mitunter vor, trotz des Risikos auf pränatale Untersuchungen zu verzichten.

 

Das Gesundheitsministerium empfiehlt mindestens fünf Ultraschalluntersuchungen während der gesamten Schwangerschaft, aber »einige werdende Mütter, die in abgelegenen Gegenden leben, nehmen überhaupt nicht an den Vorsorgeuntersuchungen teil. Sie wohnen zu weit von öffentlichen Einrichtungen entfernt und die Fahrt mit dem Taxi ist zu teuer«, sagt Mohamed Harcha, der als privat praktizierender Geburtshelfer in Adrar arbeitet, einer Stadt in der Sahara-Wüste, fast 1.400 Kilometer südlich der Hauptstadt.

 

Harcha gehört zu den wenigen Gynäkologen, die aus einer Region im südlichen Algerien stammen und nach ihrem Studium in der Hauptstadt in die Heimat zurückgekehrt sind. Selbst während der Sommerferien klingelt sein Telefon ständig. »Wenn ich Urlaub machen will, muss ich Adrar verlassen. Ansonsten bleibt mir aufgrund der hohen Nachfrage nichts anderes übrig, als weiter zu arbeiten«, sagt er.

 

Zusätzlich zu der Arbeit in seiner eigenen Praxis, hilft Harcha im staatlichen Krankenhaus aus, wo er zuvor jahrelang gearbeitet hatte. Er bietet dort kostenlose Behandlungen an und sprang im Sommer sogar für Gynäkologen ein, die mit COVID-19 infiziert waren.

 

Und so bleibt im größten Land Afrikas einigen werdenden Eltern keine andere Wahl, als stundenlang über schlecht asphaltierte Pisten in ein städtisches Zentrum zu fahren, um ihr Baby sicher zur Welt zu bringen. »Wir empfangen im Krankenhaus hochschwangere Frauen, die von weit entfernt mit dem eigenen Auto hier ankommen. Etwa aus Bordj Badji Mokhtar, 750 Kilometer südlich von Adrar«, berichtet Harcha.

 

Derartige Verzögerungen bei der Betreuung verringern die Chancen auf eine komplikationsfreie Geburt, warnt Kinderpsychologin Karima Araoui. »Lange Anreise und Wartezeiten sind ein ernstes Problem. Zudem bekommen Patientinnen mit guten Kontakten vor Ort oft den Vorzug. Das kann zu dramatischen Traumaschäden des Fötus führen – oder schlimmer noch, zum Tod der werdenden Mutter.«

 

Wer es sich leisten kann, nimmt deshalb die Kosten von umgerechnet 650 Euro in Kauf, um in einem besser ausgestatteten Privatkrankenhaus zu entbinden. Doch für die Mehrheit der Bevölkerung ist das keine Option. »Einige algerische Familien fangen gleich nach der Hochzeit an, Geld zu sparen oder gar ihren Schmuck zu verkaufen, um in einer Privatklinik behandelt zu werden«, sagt Amel Hachem, Professorin für Demografie an der Universität Oran und Expertin für das Geburtshilfewesen im Land.

 

Obwohl das Budget des algerischen Gesundheitsministeriums seit 2009 um das Doppelte auf umgerechnet vier Milliarden Euro aufgestockt wurde, haben sich die Umstände für Entbindungen im Land kaum verbessert. Die meisten Universitätskliniken des Landes sind in Gebäuden aus der französischen Kolonialzeit untergebracht, die nie dafür ausgelegt waren, so viele Menschen aufzunehmen, und mit Wasserschäden, Stromausfällen und veralteter Ausstattung kämpfen.

 

Viele schwangerschaftsbedingte Todesfälle sind vermeidbar

 

Doch in Algerien ist die Geburt nicht nur ein Kampf um ein neues Leben, sondern auch einer um die Würde der Patientinnen. »Keine Tür, sondern ein einfacher Vorhang umschließt den Kreißsaal eines Krankenhauses in Adrar«, beschreibt Amel Hachem die Zustände in ländlichen Kliniken und zählt weitere Missstände auf, die sie selbst in größeren Städten beobachtet hat. »In Constantine sah ich eine in den Wehen liegende Frau vom Entbindungstisch fallen.

 

Im Januar 2020 sorgten schockierende Aufnahmen für eine öffentliche Debatte. Darauf zu sehen: Frauen, die gerade entbunden hatten, auf dem Boden des Kouba-Krankenhauses in Algier liegend und darauf wartend, dass ein Bett frei wird. Solche Zustände seien keine Seltenheit, gibt Hakima Cheriet zu. »Es kommt häufig vor, dass sich Frauen aufgrund des Mangels an Platz und Ausstattung ein Bett teilen müssen«, konstatiert die Leiterin der Entbindungsstation des Mustapha-Pacha-Krankenhauses.

 

Nach der Geburt ihres ersten Kindes war auch Saadia in einem nicht ordnungsgemäß gereinigten und desinfizierten Zimmer untergebracht, in dem sie sich ihr Bett teilen musste. »Es war von Kakerlaken befallen, an den Wänden waren überall feuchte Stellen«, erinnert sie sich.

 

Trotz aller Missstände hat Algerien auch positive Entwicklungen zu verzeichnen. So hat der Staat bei der Senkung der Müttersterblichkeitsrate große Fortschritte gemacht. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums verringerte sich dieser Wert zwischen 1999 und 2016 um mehr als die Hälfte, von 117,4 pro 100.000 Lebendgeburten auf 57,7 – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erfüllung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung im Bereich Gesundheit.

 

Schwangerschaft und Entbindungen und in Algerien
Der Eingang zum Kreißsaal des Mustapha-Pacha-Krankenhauses, in dem an Covid-19 erkrankte Frauen entbinden.Foto: Djamila Ould Khettab

 

Dennoch weist Algerien bei der Müttersterblichkeit nach wie vor höhere Werte auf als die nordafrikanischen Nachbarn, viele der schwangerschaftsbedingten Todesfälle sind vermeidbar.

 

»Die frühzeitige Erkennung und angemessene Behandlung von Müttern, bei denen das Risiko einer Nachgeburtsblutung, einer Präeklampsie oder anderer Komplikationen besteht, kann dazu beitragen, die Müttersterblichkeitsrate noch weiter zu senken. Das ist unsere oberste Priorität«, sagt Lamia Yassef vom Gesundheitsministerium und wirbt für eine bessere Koordination zwischen den staatlichen Einrichtungen.

 

»Wir müssen Wege finden, um schwangere Frauen zu ermutigen, lokale Polikliniken aufzusuchen, wenn sie keine Komplikationen haben, anstatt systematisch in die überfüllten Krankenhäuser zu eilen, die in erster Linie Risikoschwangerschaften vorbehalten sein sollten«, schlägt sie vor.

 

Die algerische Regierung hat sich zudem verpflichtet, die Entbindungsstationen in alten Krankenhausgebäuden zu modernisieren. Inzwischen ist die Renovierung des heruntergekommen Kreißsaals im Universitätskrankenhaus von Constantine abgeschlossen, die Umbauarbeiten in der Entbindungsabteilung des historischen Mustapha-Pacha-Krankenhauses in Algier sind im Sommer angelaufen.

 

Um die Überlastung der öffentlichen Krankenhäuser zu verringern, hat die Regierung im Frühjahr 2019 ein Programm zur Rückerstattung der Kosten für medizinische Versorgung ins Leben gerufen. Es ermöglicht versicherten Frauen, in einer der offiziell designierten Privatkliniken kostenlos zu entbinden. Für Kritiker lediglich eine kosmetische Verbesserung. »Millionen von Frauen sind überhaupt nicht versichert und die Privatkliniken nehmen keine Frauen mit Risikoschwangerschaften auf«, gibt etwa die Ärztin Nadia Chouitem zu bedenken.

 

»Alle müssen gehorchen«

 

Lyes Merabet von der Gewerkschaft der Gesundheitsdienstleiste hält das gesamte algerische Gesundheitssystem für veraltet, ineffizient und reformbedürftig. Er schlägt eine stärkere Dezentralisierung vor, damit von Verbesserungen Menschen in allen Ecken des Landes profitieren können. »Was in Algier funktioniert, funktioniert nicht zwingend auch in den südlichen Regionen. Gesundheitsmanager vor Ort sollten mehr Einfluss auf den Entscheidungsprozess und Ärzte mehr Autonomie haben«, fordert Merabet. »Wir warten seit 1985 auf die Einrichtung regionaler Gesundheitsämter.«

 

Die Demografin Amel Hachem schlägt in eine ähnliche Kerbe und nimmt dabei die Leitung öffentlicher Einrichtungen, einschließlich der Entbindungsstationen, ins Visier. Das Gesundheitsmanagement sei »dysfunktional«, vor allem weil die Kultur der Rechenschaftspflicht nicht vorhanden sei.

 

»Algeriens Gesundheitswesen ist starr. Die Leiter sowohl der Krankenhäuser als auch der Abteilungen werden von der Regierung auf unbestimmte Zeit ernannt. Stattdessen sollten sie für eine feste Amtszeit gewählt und rechenschaftspflichtig gemacht werden«, fordert die Gesundheitsexpertin von der Universität Oran.

 

Dennoch könnten weitreichende Gesundheitsreformen nicht verabschiedet werden, solange es keinen Raum für politische Veränderungen gibt, glaubt Gesundheitsanthropologe Mohamed Mebtoul und schließt sich damit der Forderung der algerischen Hirak-Bewegung nach einer vollständigen Überarbeitung der politischen Struktur des Landes an.

 

Seit Februar 2019 drängen Anti-Establishment-Aktivisten auf einen demokratischen Übergang und ein Ende des undurchsichtigen, nicht rechenschaftspflichtigen autoritären Systems, das in dem nordafrikanischen Land seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1962 vorherrscht.

 

In diesem System werde dem algerischen Volk das Recht auf eine qualitativ hochwertige und sichere Versorgung verweigert, sagt Mebtoul. »Algeriens Gesundheitssystem ist extrem vertikal und hochgradig zentralisiert. Es stützt sich ausschließlich auf politische und administrative Anordnungen und gibt weder dem medizinischen Personal noch den Patienten und ihren Familien eine Stimme. Alle sind Subjekte und müssen gehorchen«, analysiert der Anthropologe.

 

»Dieses System kennt nur anonyme Patienten auf der einen und privilegierte Patienten auf der anderen Seite. Solange nicht alle Algerier als Bürger mit Recht auf Zugang zu Gesundheitsversorgung betrachtet werden, werden schwangere Frauen weiter potenziell traumatische Erfahrungen bei der Entbindung durchmachen müssen.«

 

Saadia ist inzwischen glückliche Mutter von drei kleinen Jungen. Eigentlich wünscht sie sich, eine kleine Schwester für die Söhne in ihrer Familie willkommen zu heißen. »Aber ich habe nicht die Energie, das alles noch einmal durchzumachen. Vielleicht in ein paar Jahren. Ich brauche mehr Zeit, um mich zu erholen.«

 

Diese Reportage wurde durch den Candid Journalism Grant gefördert.

By: 
Djamila Ould Khettab
Algerien
Gesundheit
Frauen
Schwangerschaft
Geburt
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