Im Schatten möglicher Friedensgespräche festigen bewaffnete Gruppen ihre Herrschaft im Jemen. Der Spielraum für zivilgesellschaftliche Aktivitäten wird kleiner und gefährlicher. Wer sich engagiert, muss mitunter Kompromisse mit den Milizen eingehen.
Schockierende Bilder von unterernährten Kindern, wachsender öffentlicher Druck, auch seitens westlicher Politiker: Es scheint, als hätte die internationale Gemeinschaft endlich die brutale Realität des Konflikts im Jemen erkannt. 85.000 Kinder sollen seit Kriegsbeginn im Jemen verhungert sein. Die humanitäre Situation ist verheerend, aber nicht der einzige Grund für die weit verbreitete Verzweiflung im Land.
Eine ganze Generation von Jugendlichen, die sich während der Aufstände 2011 politisiert hat, leidet heute unter Gewalt, politischer Unterdrückung, psychischen Traumata und fehlenden Zukunftsperspektiven. Trotz der hoffnungslosen Situation setzen die jungen Aktivisten ihren Kampf für Frieden und Stabilität fort. Es sind vor allem Gruppen von Jugendlichen, die heute um ihr Überleben kämpfen, um morgen am Aufbau eines neuen Jemens mitzuarbeiten. Der Mangel an Sicherheit, die immer schlechtere wirtschaftliche Lage sowie das Ausbleiben von finanzieller Unterstützung aus dem Ausland führen jedoch dazu, dass immer mehr Organisationen ihre Arbeit aufgeben.
Die Hoffnung auf einen neuen, besseren Jemen motivierte 2011 zehntausende jemenitische Jugendliche, sich politisch zu engagieren. Sie sehnten sich nicht nur nach einer besseren Regierungspolitik, sondern hofften darüber hinaus, sich einen Platz in einem neuem Jemen sichern zu können. Sie bildeten Diskussionsgruppen, initiierten Entscheidungsprozesse innerhalb von Jugendorganisationen, gründeten politische Parteien und Interessengruppen, arbeiteten ehrenamtlich für Nichtregierungsorganisationen und versuchten so, die Lage innerhalb ihrer Gemeinschaften zu verbessern. Viele Jugendliche hofften, dass dieses Engagement ihre Chancen auf einen Job verbessern würde.
Ende November verboten die Huthis de facto jegliches unabhängige zivilgesellschaftliche Engagement
Die Übernahme der Hauptstadt Sanaa durch die Huthi-Rebellen im September 2014 und die anschließende militärische Intervention des von Saudi-Arabien geführten Bündnisses im März 2015 änderten alles. Sie zerstörten nicht nur die Hoffnungen auf einen besseren Jemen, sie zerstörten die persönliche und berufliche Zukunft der Jugendlichen.
Die vielfältigen Folgen des Krieges, wie Preiserhöhungen, Mangel an Nahrungsmitteln, Treibstoff und Medikamenten, ausbleibende Gehaltszahlungen, Geldentwertung und fehlende Jobs treffen vor allem Familien. In einer Umfrage des »Yemen Polling Center« (YPC) gaben zwei Drittel der Befragten an, dass ihre Familien in Teilen des Jahres 2016 hungern mussten. Viele Jugendliche sind dadurch gezwungen, die Schule zu verlassen, um stattdessen zu arbeiten und zum Einkommen ihrer Familie beizutragen. Die begrenzten Möglichkeiten, Geld zu verdienen, zwingen viele junge Männer dazu, sich am Ende doch den Milizen anzuschließen.
Die politische Unterdrückung der Zivilgesellschaft zeigt sich in den von Huthis kontrollierten Gebieten am stärksten. Dort haben die Rebellen eine umfassende Überwachung eingeführt. Sie gehen hart gegen jeglichen gesellschaftlichen Aktivismus vor und nehmen Wissenschaftler, Menschenrechtsorganisationen und Medien ins Visier. Ende November 2018 erklärten die Huthis, dass sie sämtliche Zulassungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften sowie karitativen Organisationen aufkündigen werden – de facto ein Verbot von zivilgesellschaftlichem Engagement.
Der Großteil der Medien und NGOs war gezwungen, ihre Büros in Sanaa zu schließen und in andere, nicht von Huthis kontrollierte Städte umzuziehen
Seit ihrem Putsch im September 2014 konnten die Huthis ihre Macht im Nordwesten des Landes festigen. Seit der Machtübernahme fragmentierten staatliche Strukturen; von der Bevölkerung wird der Staat für vollkommen abwesend gehalten. 93 Prozent der Jugendlichen in der Stadt Sanaa und 96 Prozent der Jugendlichen, die im Gouvernement Sanaa leben, bestätigen diese Ansicht. Die Huthis nutzen staatliche Strukturen sowie eine Reihe neuer Institutionen hauptsächlich dafür, die Bevölkerung zu kontrollieren.
Sie richteten so genannte »Aufsichtsbehörden« in staatlichen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und der gesamten Nachbarschaft ein. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sämtliche zivilgesellschaftliche Aktivitäten im Einklang mit den Interessen und der Ideologie der Huthi-Rebellen stehen.
Aktivisten mit Sitz in Sanaa sagen in Interviews mit dem YPC, dass sie sich nicht politisch engagieren, weil sie Mord oder Verhaftung fürchten. Laut Human Rights Watch sind diese Befürchtungen begründet. Die Organisation hat mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen, Entführungen und Folter auf Seiten der Huthis dokumentiert. Der Großteil der Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen war dadurch gezwungen, ihre Büros in der Hauptstadt zu schließen und in andere, nicht von Huthis kontrollierte Städte umzuziehen.
Aktivisten, die in Sanaa blieben, raten den Menschen vor Ort, »zu Hause zu bleiben und die Türen geschlossen zu halten«. Die Huthi-Regierung regiere mit eiserner Hand. Aktivisten beklagten in den Interviews zudem das willkürliche und pseudoreligiöse Auftreten der Huthi-Polizei.
Der jemenitische Staat löst sich mehr und mehr auf. Politisches Engagement ist auch außerhalb der von Huthis kontrollierten Gebiete nicht ungefährlich. Auch hier schränkt die hohe Anzahl bewaffneter Gruppen, von denen einige extremen islamistischen Ansichten folgen, die Freiheit der Bewohner ein. Immer wieder werden junge Männer von unbekannten Bewaffneten getötet, weil sie Meinungen verbreitet haben, die Extremisten als anti-islamisch ansehen.
Neben radikalen Islamisten sorgen auch ultra-nationalistische Gruppen, vor allem im Süden des Landes, für Angst und Schrecken
Neben radikalen Islamisten sorgen auch ultra-nationalistische Gruppen, vor allem im Süden des Landes, für Angst und Schrecken. Laut Medienexperten in Aden ist es Aktivisten dort verboten, die saudisch geführte Koalition zu kritisieren oder sich gegen eine Unabhängigkeit des Südens auszusprechen. Der Straßenkünstler Murad Subay sprach in einem Interview mit dem YPC über die Zensur, der er in Aden ausgesetzt ist. Aufgrund der Inhalte seiner Werke hätten sich verschiedene Druckereien geweigert, seine Kunst zu drucken.
Umstände wie diese zwangen viele Aktivisten dazu, ihre Arbeit einzustellen. In YPC-Interviews beklagten sie, dass es unmöglich sei aktiv zu bleiben. Dabei ist ihre Arbeit besonders für die junge Generation des Landes enorm wichtig. Durch ihren Einsatz wollen sie Jugendliche dazu ermutigen, ihre Ausbildung abzuschließen und sich in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Entwicklung zu engagieren.
Dadurch ermöglichen sie es jungen Menschen nicht nur, einen Beitrag innerhalb ihrer Gemeinschaft zu leisten, sondern geben ihnen auch das Gefühl, gebraucht zu werden. Viele Jugendliche fühlen sich in ihren Gemeinschaften marginalisiert: Oftmals werden sie nicht als gleichwertige Mitglieder anerkannt, weil ihnen Verbindungen zu einflussreichen Personen, Zugang zu Arbeitsplätzen und finanziellen Ressourcen fehlen.
Im gesamten Jemen sind Jugendliche aktiv geworden, um das vom Staat hinterlassene Vakuum zu füllen
Trotz dieser Hindernisse haben jemenitische Aktivisten im Land, aber auch in der Diaspora in den letzten Jahren intensiv daran gearbeitet, die Situation zu verbessern, der Bevölkerung zu helfen und auf Frieden und Stabilität hinzuarbeiten. Im gesamten Jemen sind Jugendliche aktiv geworden, um das vom Staat hinterlassene Vakuum zu füllen. Sie begannen, ihrem Umfeld Sicherheit zu bieten, indem sie mit bewaffneten Gruppen zusammenarbeiteten. Dabei nahmen sie in Kauf, von diesen in ihrer Arbeit zum Teil auch eingeschränkt zu werden. Die Initiativen »Aden Security Alliance« und »Aden without Arms« haben so zur Verbesserung der lokalen Sicherheit beigetragen.
Einige Organisationen versuchen, Gefahren aus dem Weg zu gehen, indem sie politische Themen meiden. In Aden gründete beispielsweise eine Gruppe von Jugendlichen einen Buchclub und veranstaltete Buch- und Kulturmessen, um die Menschen in der Stadt wieder zum Lesen zu animieren. Außerdem wurden zahlreiche studentische Initiativen gestartet, die sich für Bedürftige einsetzen. Andere sind im Wissenstransfer oder in den Bereichen Theater, Comedy, Medien und Film tätig.
Junge Jemeniten, die aufgrund des Krieges gezwungen waren, den Jemen zu verlassen, haben ihre Ausbildung im Ausland fortgesetzt und helfen gleichzeitig ihrer eigenen Generation im Heimatland. Sie organisieren Wohltätigkeitsprojekte und sammeln Spenden für humanitäre Hilfsprojekte, gründen Forschungs- und Politikorganisationen und engagieren sich in den Medien. Initiativen wie die Peace-Track-Initiative, die jemenitische Frauen und zivilgesellschaftliche Organisationen in den Friedensprozess einbeziehen möchte, machen jemenitische Stimmen auf der internationalen Bühne hörbar. Ihr Einfluss ist im Zusammenhang der internationalen wirtschaftlichen und politischen Interessen im Rahmen eines Stellvertreterkriegs jedoch immer noch gering.