Als Arabistin erforschte sie Dichter und Dogmatiker und wollte die Geschichte Syriens noch einmal schreiben. Wir trauern um Katja Brinkmann, unsere Freundin und Kollegin.
Als Teenager wollte Katja Brinkmann erst einmal Archäologin werden. Sich dem modernen Orient von der Antike aus nähern – ganz so, wie man es früher tat. Europas Proto-Orientalisten, die Vorläufer einer neuen Wissenschaft, lasen erst die Bibel, machten sich dann auf die Suche nach den Vermächtnissen der Salomes und Salomos. Sie trafen dann eher beifällig auf Handschriften des Mittelalters, begeisterten sich für das Arabische und landeten irgendwann in der modernen Zeit. Dabei mussten die großen Gelehrten einiges ertragen: Wie glorreich, grausam, glamourös schien ihne doch die ferne Vergangenheit des Orients; wie lästig, laut und liederlich das Gegenwärtige. So mancher Orientalistik-Professor riet seinen Studenten noch im ausgehenden 20. Jahrhundert, von Reisen in die arabische Welt abzusehen. Man setze sich dort dem Slang der Damaszener Straßenhändler aus und verderbe sich die mühselig erlernte, hocharabische Grammatik.
Natürlich wollten spätere Generationen von Orientwissenschaftlern alles anders machen: Die arabische Welt im Hier und Jetzt betrachten und bei ihrer Lektüre lieber Foucault als Bibel, Koran und Gilgamesch zur Hilfe nehmen. Wozu muss einer, der das Baath-Regime oder die Alltagskultur von Aleppo verstehen will, den Codex Hammurabi kennen?
Katja Brinkmann hingegen streifte durch die Zeitalter. Wer ihre – sichtbar gelesene –Bibliothek betrachtet, kann sich davon überzeugen, wie ausgeglichen verteilt ihr Interesse an den historischen Epochen war: Der Alte Orient, die byzantinische Spätantike, die vorislamische Geschichte, oder die oft zum »Goldenen Zeitalter« verklärten Jahrhunderte vor dem Mongolensturm; ebenso die Kolonialzeit, die Moderne und die Gegenwart. Und dies fachübergreifend: Archäologie, Geschichte, Historiografie, Theologie, Dogmatik, Lyrik, Prosa-Literatur. Diese »Biegsamkeit«, wie es der Universalgelehrte Friedrich Schlegel einmal formulierte, »uns in die Eigenheiten anderer Völker und Zeitalter hinein zu versetzen, sie gleichsam aus ihrem Mittelpunkt heraus zu fühlen«, konnte man Katja Brinkmann attestierten. Und nicht zuletzt in ihrer langjährigen Tätigkeit als Studiosus-Reiseleiterin kam ihr das zugute.
1989 begann sie mit dem Studium in Göttingen. Zuerst wollte sie Sanskrit studieren, von kompetenter Seite wies man sie darauf hin, dass es sich dafür ziemt, sich dem Persischen zu widmen. Und, wenn man dies seriös betreiben wolle, erst einmal Arabisch. Im Wendejahr zog Katja Brinkmann nach Berlin und studierte an der Freien Universität Berlin (FU) Arabistik. Ihre Magisterarbeit schrieb sie über einen klassischen Kommentar zur Dichtung des Antara ibn Shaddad. Wer das für trockenen Stoff hält, weiß nicht, was die Araber bis heute mit dieser vorislamischen Figur verbinden: ein arabischer Siegfried, nur klüger und gebildeter, ein Kämpfer und Draufgänger, dazu noch Liebhaber und Poet. Bis heute können junge Menschen in Syrien dessen Zeilen auswendig zitieren. Wortgewandt und wortgewaltig.
Katja Brinkmann bereiste später die arabische Welt regelmäßig, unter anderem hatten es ihr der Oman und Syrien angetan. Sie lernte Arabisch unter anderem in Kairo. 2005 heiratete sie den syrisch-stämmigen Staats- und Verfassungsrechtler Naseef Naeem, über den sie auch zum Netzwerk von zenith stieß. 2010 kam ihre gemeinsame Tochter auf die Welt.
Im Rahmen eines Forschungsprojekts an der FU begann Katja Brinkmann mit ihrer Dissertation über den Damaszener Juristen Ibn Qayyim al-Jawziyyah, der im 14. Jahrhundert wirkte. Ein zeitgemäßer Stoff, denn auf den alten Ibn Qayyim – »Sohn des Prinzips«, wie man ihn nannte – berufen sich heute zahlreiche Salafisten und Ultrakonservative. Katja Brinkmann untersuchte dessen rhetorische Argumentationsmuster und verteidigte 2016 ihre mit magna cum laude angenommene Arbeit bei ihren Gutachterinnen Renate Jacobi und Birgit Krawietz am Seminar für Arabistik der FU.
Reiseführer durch ein Land, das es so wohl nie mehr geben wird
Wer einmal eine Gruppe bildungsreisender Deutscher durch ein Land wie Syrien geführt hat, wird wissen, was es heißt, an alles zu denken und dabei das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren.
Mit ihrer Kompetenz als Arabistin, ihrer unverbrüchlichen Begeisterung für die arabische Welt und ihren Manager-Qualitäten war Katja Brinkmann eine ersehnte Ergänzung für das Gründerteam der Candid Foundation gGmbH, welche einige zenith-Herausgeber und Nahost-Spezialisten im Sommer 2014 ins Leben riefen: ein unabhängiger, gemeinnütziger Think-Tank und eine Schmiede für innovative Projekte mit den Gesellschaften südlich des Mittelmeers. Als Mitgründerin entwickelte und überwachte Katja Brinkmann Projekte der Candid Foundation sowie der ebenfalls aus dem zenith-Netzwerk hervorgegangenen Forschungs- und Beratungsgruppe zenithCouncil.
»Augen und Ohren offenhalten«, empfahl Katja Brinkmann in einem von ihr verfassten Buch, das man heute wohl bereits als zeithistorisches Dokument betrachten kann, obwohl es erst 2011 erschienen ist. Es ist nämlich der aktuellste, deutschsprachige Reiseführer zu Syrien – einem Land, das Katja Brinkmann liebte und das es in der von ihr beschriebenen Gestalt nun nicht mehr gibt.
Das Buch erschien in einem Jahr, in dem der Kulturtourismus in Syrien geboomt hätte, aber ein brutaler, inzwischen sechs Jahre währender Krieg alle Hoffnungen zunichtemachte. Die Autorin hielt unter anderem Vorträge zum syrischen Kulturerbe, das der Krieg in Mitleidenschaft zog – etwa durch Antikenplünderer – und das später auch Objekt der Zerstörungswut von Banden des sogenannten Islamischen Staates wurde. Orte, die Katja Brinkmann in vielen Details und Erinnerungen kannte und zu denen sie eines Tages mit ihrer Familie zurückzukehren hoffte.
Beobachtungen wie die folgende aus dem Vorwort ihres Buches werden die Zeiten überdauern, auch wenn man sie in Zukunft anders lesen wird: Syrien sei »ein lohnenswertes Beobachtungsfeld für das Nebeneinander von zahlreichen religiösen und ethnischen Parallelgesellschaften, für den Umgang mit dauerhafter Ein- und Auswanderung und den Umgang mit religiösem politischem Radikalismus.« Zu Unrecht sei das Land noch die »große Unbekannte« unter den Mittelmeeranrainern. In einem Interview mit zenith 2013 sagte sie, dass sie das Buch später einmal weiterschreiben wolle. Dieses Mal als eine Erfolgsgeschichte für das Land.
In der Nacht auf den vergangenen Freitag, den 1. September, ist unsere liebe Freundin, Mitgesellschafterin und Kollegin Katja überraschend gestorben. Sie wurde 48 Jahre alt.