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Assad, Putin, Deutschland und die Geheimdienste

Brutalstmögliche Aufklärung

Kommentar
Kolumne Daniel Gerlach

Keine militärische Lösung für Syrien? Das haben Russland und das Regime arbeitsteilig widerlegt. Sie wetten nun, dass Deutschland sich nicht lange weigern wird, mit Damaskus wieder ins Geschäft zu kommen.

Neulich saß ich mit einem syrischen Freund zusammen, dem nichts Menschliches fremd ist. Wir sprachen über kriminelle arabische Großfamilien, was in diesem Sommer ja ein großes Thema in der Hauptstadt war. Polizisten klagen, dass die Araber respektlos seien, die wiederum fühlen sich bei dieser zartfühlenden Behandlung durch die Behörden nicht einmal als Kriminelle ernst genommen.

 

Mein syrischer Freund scherzte, dass man vielleicht mal über eine deutsch-syrische Justizkooperation nachdenken könne: kultursensible Verhörmethoden, die arabischen Gewohnheiten entsprächen. Vielleicht werde es schon reichen, wenn bei der Vernehmung zukünftig ein syrischer Verbindungsbeamter in der Ecke sitzt, um die verdächtigen Clan-Mitglieder leutselig zu machen.

 

Nun gehören sich Späße über die Folter durch die syrischen Geheimdienste eigentlich nicht. Zehntausende sind in den Gefängnissen und Verhörzentren des Regimes verschwunden. Erstickt, verhungert oder hingerichtet. Viele Syrer, auch in Deutschland, haben Verwandte verloren oder gar selbst Bekanntschaft mit der institutionellen Brutalität syrischer Geheimdienstler gemacht.

 

Der Humor schert sich allerdings nicht darum, was sich gehört und was nicht. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob er damit alleine ist: Ist es tatsächlich so unvorstellbar, dass europäische Staaten in naher oder ferner Zukunft wieder mit dem Sicherheitsapparat dieses Regimes kooperieren? Im Kampf gegen den Terrorismus oder die organisierte Kriminalität?

 

Wie lange kennen wir uns jetzt schon?

 

Die Bekämpfung von Al-Qaida und anderer dschihadistischer Netzwerke stand im Mittelpunkt der Beziehungen zum syrischen Regime und seinen Geheimdiensten, besonders während des Jahrzehnts zwischen 9/11 und dem Arabischen Frühling, 2001-2011. Die Syrer empfahlen sich nicht nur als nachdrückliche Verhör-Experten. Sie wussten auch so schon eine Menge, denn sie waren in der Lage, dschihadistische Netzwerke selbst zu formen und führen. Die Verhältnisse waren zwar andere, dennoch musste das Prinzip so manchem Beamten beim Verfassungsschutz vertraut vorkommen: Untergrundarmeen, die nicht von V-Leuten infiltriert waren, sondern die fast ausschließlich aus V-Leuten bestanden.

 

Der Aufstand und seine brutale Niederschlagung haben die Beziehungen zerrüttet, aber nie vollends abbrechen lassen. Und Damaskus käme, wie zu vernehmen ist, gerne wieder zügig ins Geschäft. Als Gesprächsthemen bieten sich deutsche Staatsbürger an, die man beim IS oder aber bei den Kurden aufgegriffen hat.

 

Und um die Beziehungen zu den europäischen Partnern von einst etwas enger zu knüpfen, bedient man sich dreierlei Methoden: Hin und wieder in europäischen Hauptstädten aufkreuzende Mittler und Geschäftsleute mit Regime-Kontakten bringen systematisch Halbwahrheiten oder Gerüchte unters Diplomatenvolk: Der eine oder andere europäische Staat habe längst schon Memoranden für neue Geschäfte unterzeichnet, weshalb es Zeit sei, nachzuziehen. Die Investoren stünden Schlange. Und bald werde es wieder viele Botschafter in Damaskus geben.

 

Dass das Regime politisch keinen Veränderungsbedarf in Syrien sieht, ist hinlänglich bekannt und wird täglich neu unter Beweis gestellt. Gleichzeitig knüpfen viele europäische Staaten aber ihre Bereitschaft zu einer Verbesserung der Beziehungen an Signale eines glaubwürdigen Wandels. Wenn schon kein politischer Prozess, dann wenigstens die Verbesserung der humanitären Zustände.

 

Jede Geste, die hoffen ließe, dass das Regime wieder Anschluss an die menschliche Zivilisation sucht, würde man ebenfalls begrüßen. Und vielleicht kommt sie sogar bald: Im Sicherheits- und Geheimdienstapparat von Damaskus stehen ein paar Personalrochaden an. Der eine oder andere Spitzenbeamte soll – nach sechs Jahren kämpfen, ausspähen und foltern im Akkord – seinen verdienten Ruhestand antreten. Und man könnte es ja so aussehen lassen, als wolle das Regime sich der verhasstesten Geheimdienstler entledigen. Ganz weg sind die ohnehin nie und deshalb jederzeit wieder verfügbar, wenn man ihre Hilfe braucht.

 

Insofern kann es Präsident Baschar Al-Assad und seinem engeren Kreis zupass kommen, wenn derzeit etwas mehr Wut und Aufmerksamkeit auf diese alte Garde fällt. Etwa auf den als besonders fanatisch geltenden Chef des Luftwaffengeheimdienstes Jamil Hassan, über den arabische Medien neulich einige Zitate zugespielt bekamen. Er hatte angeblich auf einer Sitzung mit Offizieren angekündigt, dass man Rückkehrer in großem Stil verhaften oder liquidieren wolle. Wer so einen in Rente schickt, macht sich doch – so die bewährte Logik des Regimes – um die Versöhnung und das syrische Volk verdient.

 

In Europa, auch in Deutschland, sind Hassans Äußerungen, so sie denn tatsächlich von ihm stammen, nicht gut angekommen. Fast so schlecht wie das sogenannte Gesetz Nummer 10, mit dem das syrische Regime nach Lesart deutscher Medien und wohl auch der Bundesregierung die Flüchtlinge enteignet und ihre Rückkehr absichtlich erschwert (De facto steht das so gar nicht im Gesetz, welches die Syrer lediglich mit Frist dazu auffordert, Besitzansprüche zu melden oder jemanden dazu zu bevollmächtigten. Aber wenn man will, und das Regime würde wollen, kann man es als Enteignungsinstrument benutzen).

 

Bei diesem Problem wollen die Russen Abhilfe schaffen. In Vorbereitung auf den gemeinsamen Syrien-Gipfel Anfang September lassen sie bei ihren europäischen Gesprächspartnern bereits eine Broschüre zirkulieren: Darin steht, wie die Bevölkerungsverhältnisse in den jeweiligen Gebieten Syriens aussehen. Wie viele Menschen man dort jeweils wieder ansiedeln könnte, wie viel Zement und Stahl man braucht, um ihnen ein Dach über dem Kopf zu bauen. Zur Illustration sind darauf auch gleich mögliche Flugverbindungen zu sehen. Aus verschiedenen europäischen Hauptstädten führen sie zum Militärflughafen bei Damaskus. Ohne Umsteigen, versteht sich. Ticketpreise gibt es noch nicht.

 

Potemkinsche Dörfer? Auf jeden Fall ein interessantes Dokument, das die deutschen Behörden schnellstens prüfen und mit der Wirklichkeit vor Ort abgleichen sollten. Nicht auszuschließen, dass diese Broschüre nämlich demnächst in 600-facher Ausführung in der Poststelle des Bundestages landet. Und dass man die Karten und Daten dann wenig später ein zu eins auf einem Wahlkampf-Flyer der AfD findet. Eins muss man den Russen und dem syrischen Regime schon lassen: Strategien hatten sie vielleicht nicht immer. Aber ständig irgendeinen Plan.

Von: 
Daniel Gerlach

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