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Kolumne von zenith-Chefredakteur Daniel Gerlach: Trump und die Entrückung

Wie Donald Trump verschwinden könnte

Essay
Kolumne von zenith-Chefredakteur Daniel Gerlach: Entrückung, Islam, Judentum und Trump
Bald weg von der Bildfläche? Drei historische Präzedenzfälle für eine stilvolle Entrückung The White House

Für den US-Präsidenten wird es eng. Ein Kalif, ein Rabbi und ein Wunderheiler könnten ihm jetzt als Vorbild dienen.

Es rückt der erste Dienstag im November näher. Man prophezeit uns, dass es danach rund gehen wird in Washington, wenn Donald J. Trump wider Erwarten die Wahl für sich entscheiden sollte. Erst recht aber, wenn er sie verliert, die Niederlage nicht anerkennt und sich weigert, das Weiße Haus zu räumen.

 

Trump müsste selbst am besten wissen, was ihm in beiden Fällen droht. Er könnte der erste US-amerikanische Ex-Präsident werden, der seinen Lebensabend entweder im Gefängnis oder aber in einer Nervenheilanstalt verbringt. Um dem zuvorzukommen, böte sich ein goldener Ausweg aus der Klemme: Er muss nur verschwinden. Genauer gesagt: sich entrücken lassen.

 

Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer sich nämlich auf mysteriöse Art und Weise entrücken lässt oder verschwindet, muss keine ladungsfähige Anschrift hinterlassen. Also kann er keine Steuerschulden mehr begleichen. Besser noch: Wer offiziell nicht mehr auf Erden wandelt, in andere Sphären oder parallele Universen umgezogen ist, den kann man strafrechtlich nicht mehr belangen.

 

Habeas Corpus ad subjiciendum – um eine Person anzuklagen, muss man ihres Leibes habhaft werden. Für einfache Menschen würde es schwierig, sich dem zu entziehen. Aber für Lichtgestalten, Kunstfiguren und Erlösertypen, von denen Trump jeweils gewisse Eigenschaften hat, bieten sich andere Optionen. Die Geschichte des Nahen Ostens hat einige Vorbilder im Angebot, von denen man sich inspirieren lassen könnte.

 

Vor einigen Wochen schrieb ich über den Fatimiden Al-Hakim bi-amr Allah (985-1020 oder 1021), den Exzentriker unter den Kalifen. Hakims historisches Bild wurde maßgeblich von seinen Kritikern gezeichnet, die an Hakims Person und Politik kein gutes Haar gelassen haben. Ähnlich wird es Trump wohl gehen.

 

Der Kalif fühlte sich ständig missverstanden. Alle um ihn herum waren Loser und Verräter. Er hielt sich für wissend in allen möglichen Belangen, feuerte aus einer Laune heraus seine fähigsten Berater und brachte den Fatimidenstaat mit den abenteuerlichsten und allem Anschein nach auch sinnlosesten Gesetzen gegen sich auf. Nur manche waren überzeugt, dass dahinter ein geheimer Sinn zu suchen sei.

 

Irgendwann war Hakims Herrschaft nicht mehr tragbar. Entweder wurde er diskret aus dem Weg geräumt – womöglich sogar von seiner Halbschwester, der Regentin Sitt al-Mulk. Oder er hatte selbst die Nase voll und suchte einen Ausweg aus dem politischen Schlamassel, das er zum großen Teil selbst angerichtet hatte. Auf einem Esel soll Hakim eines Tages aus der Stadt hinausgeritten sein. Und ward nie mehr gesehen.

 

Um Hakims Verschwinden ranken sich bis heute Legenden und Verschwörungstheorien. Wichtig ist aber, dass es im Nahen Osten bis heute Religionsgemeinschaften gibt, die ihn verehren oder in ihm gar ihren Begründer sehen. Und vielleicht war ja auch alles ganz anders als uns die Fake-News der Abbasiden, Ayyubiden und Seldschuken glauben machen wollen (Das nämlich waren die Gegenspieler der Fatimiden).

 

Da Trump nicht das beste Verhältnis zum Islam zu haben scheint – schon gar nicht dem schiitischen Spektrum, welchem Hakim zuzurechnen ist – probieren wir vielleicht mal ein jüdisches Modell. Hier empfiehlt sich der Rabbiner Schabbtai Zwi, der im 17. Jahrhundert im Osmanischen Reich lebte und eine chiliastische Sekte gründete, weil er sich offenbar für den Messias hielt.

 

Rabbi Schabbtai bereiste den Nahen Osten und ließ sich in Gaza, was seinerzeit einmal ein Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit war, in Mystik unterweisen. Um es dem Propheten Hosea gleichzutun, ehelichte Rabbi Schabbtai eine italienische Prostituierte. Diese Frau sah ihren Beruf Berichten zufolge nicht nur als religiöse Pflichterfüllung an, sondern fungierte gelegentlich auch als spiritistisches Medium (Vielleicht hätten wir mit dieser Personalie ja Trumps Interesse geweckt).

 

Einigen jüdischen Gemeinden im Osmanischen Reich wurde es zu bunt, den Behörden sowieso. Vor einem Gericht in Adrianopel (Edirne) sollte Rabbi Schabbtai sich von einem Bogenschützen beschießen lassen, um zu beweisen, dass er der Messias sei: Der wäre nämlich unverwundbar.

 

Es wurde ernst. Was sollte Rabbi Schabbtai da den Helden spielen? Er dankte ab, konvertierte der Form halber zum Islam, setzte einen Turban auf und zog sich auf den westlichen Balkan ins Exil zurück. Er hinterließ eine etwas ratlose Gefolgschaft und die Legende von seiner Wiederkehr am Ende aller Tage.

 

Ein Sünder, ein Spieler, durch den sich Gottes Gnade offenbart

 

Da Donald Trump ja, wie die Covid-Krise offenbart hat, besondere medizinische und diagnostische Fähigkeiten zu besitzen glaubt, hätten wir noch eine Figur aus der Welt der Thaumaturgen, der Wunderheiler, anzubieten. Apollonius von Tyana. Der gelehrte Mann aus Kappadokien (40-120 n.Chr.) betrieb allerhand Experimente und konnte angeblich sogar die Lehre des Aristoteles aushebeln, der zufolge ein- und dieselbe Sache nicht an zwei Orten zugleich sein kann. Um sein Leben ranken sich Legenden und Mysterien. Angeblich reiste er nach Indien.

 

Aber er zog eben auch Kritik und Zorn auf sich. Da lohnt es sich manchmal, auf dem Gipfel des eigenen Ruhms einen diskreten Abgang hinzulegen. Wo das Grab des Apollonius von Tyana liegt, weiß man nicht. Laut seinem ihm freilich in Verehrung zugewandten Biografen Flavius Philostratos macht es auch keinen Sinn, danach zu suchen. Denn Apollonius wurde – wohl als Dank für seine herausragenden Verdienste – eine Himmelfahrt zuteil.

 

Apollonius verzauberte die Nachwelt, begeisterte die Alchemisten und wurde als »Balinas al-Hakim« oder »Balinas der Arzt« auch arabischen und persischen Autoren bekannt. Die Schriften der Bahai-Bewegung aus dem 19. Jahrhundert kennen seinen Namen. Und in theosophischen und esoterischen Kreisen hat er bis heute eine kleine, aber stabile Fangemeinde.

 

Trump könnte seinen Abschied von der Politik inszenieren wie eine Lichtgestalt und seinen gläubigen Fans unter dem US-amerikanischen Wahlvolk die Hoffnung hinterlassen, dass er eines Tages wiederkehren wird. Trump hat das Covid-Virus überstanden, die Öffentlichkeit mit seinen Auftritten behext und dabei das Hochstaplertum zu immer höherer Perfektion getrieben. Nun aber rückt für ihn gewissermaßen das Gericht von Adrianopel näher. Will er aus purer Eitelkeit beweisen, dass er unverwundbar ist, könnte es schmerzhaft für ihn werden.

 

Insofern scheint der Ausweg der Entrückung, den wir hier in einigen Szenarien skizziert haben, für ihn durchaus opportun. Es ist letztendlich alles eine Frage der Logistik. Und Trump kennt sicher noch ein paar Leute, die ihm helfen könnten, weil sie ihm einen Gefallen schuldig sind. Auch im Nahen Osten, wo die Kunst der stilvollen Entrückung seit jeher erfolgreich angewendet wird.

 

Auch die für einen inszenierten Abgang zwingend nötige Verklärung Trumps könnte klappen, wenn sie gut geplant ist. Neben diversen postmodernen Verschwörungskulten hat der US-Präsident ja viele evangelikale Christen für sich eingenommen. Sie würden ihm die Treue halten, wenn er mysteriös verschwindet. Als ein Sünder, ein Spieler, ein falscher Magier, durch den sich Gottes Gnade offenbarte.

 

Ich möchte wetten, dass man die Aktion später einmal als Erfolg betrachten würde. Historiker könnten in 500 Jahren kritisch anmerken, es stimme wohl nicht alles, was CNN und die anderen zeitgenössischen Quellen über Trump in Umlauf gebracht hätten. Die Geschichte werde von Siegern geschrieben. Und vielleicht sei Donald J. Trump ja wirklich ein Genie gewesen.

Von: 
Daniel Gerlach

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