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Nahost-Experten, Islam-Debatte, Golfkritik

Vokabeln für Eingeweihte: Après-Schia, Saraszene, osmanisch-depressiv

Feature
Kolumne Daniel Gerlach

Anstelle einer Kolumne: Der zweite Teil unseres großen Glossars. Für Nahost-Experten und alle anderen, die trotzdem mitreden wollen.

Après-Schia
Gegenstand einer in Fachkreisen und Geheimdienstzirkeln heiß geführten Diskussion über die Frage, wer den betagten schiitischen Großayatollah Ali al-Sistani beerben wird und welche Rolle die Iraner dabei spielen.

 

Bouteflickr
Von staatlichen und halbstaatlichen Stellen in Algerien regelmäßig ins Netz gestellte Digital-Fotos, die beweisen sollen, dass der greise, schwer kranke, seit 1999 im Amt befindliche Präsident Abdelaziz Bouteflika noch am Leben ist. (Die allerdings manchmal eher den Eindruck verstärken, es sei das Gegenteil der Fall.)

 

Homo Koranicus
Auf den Frankfurter Kulturwissenschaftler Bekim Agai zurückgehende Bezeichnung für das seltsame Bild, das man von Muslimen bekommt, wenn man zu viel Sarrazin liest, was bei Sarrazin selbst passiert zu sein scheint. Siehe auch Saraszene.

 

IS-Girl
In Sicherheitskreisen bekanntes Profil junger, spontaner, zum Islam konvertierter, Frauen, die sich einfach so, eher wegen des Event-Charakters, beim Islamischen Staat einfanden, die ihre neue Rolle als Putzfrau irgendeines gehirnamputierten, zauseligen Dschihadisten dann aber schnell ziemlich scheiße fanden.

 

Katar-Stimmung
Mit latenter Übelkeit verbundener chronischer Gemütszustand, der nach über einem Jahr eines insgesamt enttäuschend verlaufenden Boykotts vor allem in Saudi-Arabien und den Emiraten auftritt. Wie wird man diesen Wurmfortsatz nur unauffällig los?

 

Maz-Jeck
Szene-Bezeichnung für einen rheinischen Muslim, der – lieber noch als in Paradies einzukehren – einmal im Leben Karnevalsprinz werden und die Jungfrau küssen will. Und das alles nur, um »Pro Köln« eins auszuwischen. (Lieblingstitel: »Der Sultan hat Durst«).

 

MBS
Abkürzung für einen demnächst wahrscheinlich an der Trump-Universität Riad zu erwerbenden, wenngleich sauteuren akademischen Abschluss im Fach Middle East Beace Studies.

 

osmanisch-depressiv
Bipolarer Politikstil, besonders häufig bei türkischen Regierungsmitgliedern der AK-Partei diagnostiziert. Symptome: Patient wird schlagartig ausfällig, dann wieder sehr zutraulich, neigt zu Anflügen von Größenwahn, mitunter aber auch einem stark ausgeprägten Mangel an Selbstwertgefühl. Wird seit jeher mit einer nicht näher definierten Mischung aus therapeutischen Gesprächen, demütigenden Sanktionen und festlichen Empfängen behandelt. Allerdings mit recht durchwachsenem Erfolg.

 

Said-Seeing
Nach dem Autor des Buches »Orientalism«, der die in Europa verbreitete klischeehafte Wahrnehmung und missbräuchliche Behandlung des Orients anklagte. Als S. bezeichnet man sowohl die mitunter paranoide Neigung mancher Menschen, hinter jedem Islamwissenschaftler einen Agenten des Kolonialismus zu vermuten. Aber auch die die unter Studentinnen und Studenten verbreitete Praxis, in Seminaren ständig oberflächliche Orientalismus-Diskussionen vom Zaun zu brechen, um zu kaschieren, dass sie auf den eigentlichen Stoff nicht vorbereitet sind. (Der Begriff S. erscheint unter anderem in den digitalen Niederschriften des Hallenser Islamkundlers B. Bentlage).

 

Salon-Regimisten
Im anti-imperialistischen Diskurs verhaftete Mitglieder der Partei Die Linke, die Menschenrechte grundsätzlich klasse finden. Bei der Aufzählung von Fluchtursachen im Nahen Osten sind sie schnell bei E wie Erdogan, vergessen A wie Assad aber meistens.

 

Saraszene
Zusammenfassend für überwiegend anständige, dem linksliberalen Spektrum zuzuordnende Journalisten und Blogger, die sich schon ein bisschen darauf gefreut haben, nach acht Jahren mal wieder einen echten deutschen Islamhasser zur Sau zu machen, die nun seit einigen Tagen über nichts Anderes schreiben, posten, tweeten, dabei aber stets betonen, dass man den Verkaufserfolg derart unseriöser Werke nicht noch durch erhöhte Aufmerksamkeit in Sozialen Medien fördern darf.

 

vererbeln
Insider-Begriff für die Gründung einer orientalistischen Dynastie (also wenn sämtliche Kinder eines Nahost-Experten sowie deren Ehepartner selbst Nahost-Experten sind oder noch werden wollen). Benannt nach dem Arabisten, Juristen und Botschafter a.D. Bernd Erbel (*1947 in Simmern, Hunsrück).

Von: 
zenith-Redaktion

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