Das Aussehen des Propheten war vermutlich nicht perfekt. Gerade dadurch konnte er als Vorbild für Jedermann dargestellt werden. Eine Besonderheit wies sein Körper aber wohl auf.
Da es keine frühen Abbildungen des Propheten Muhammad gibt, weiß niemand genau, wie er ausgesehen hat. Viele Beschreibungen des Körpers von Muhammad in den Hadithen bezweckten, ihn zu loben oder ihn mit anderen Propheten zu vergleichen – darüber habe ich in der letzten zenith-Ausgabe geschrieben (01/20: »Er glänzte stärker als ein Schwert«). Es gibt aber auch zahlreiche Beschreibungen, die das Aussehen des Propheten als ganz normal darstellen. Muhammad, ein Mensch wie du und ich, das betont ja auch der Koran.
Die Hautfarbe »weiß« kann für »strahlend, nobel, fehlerlos, untadelig« stehen. Aber oft genug wird das Wort auch für Muhammads wirkliche Hautfarbe benutzt, dann aber meistens mit einer rötlichen Beimischung. In anderen Texten wird die Haut des Propheten dagegen braun genannt, oder zu weiß tendierend braun. Könnte heißen: Er war weder hellhäutig noch dunkel – ein Mann der Mitte halt. Seine Hüften und Achseln, sichtbar beim Gebet, werden weiß genannt. Gemeint ist hier wohl die ursprüngliche Hautfarbe – Gesicht, Arme und Beine werden ja durch die Sonne gebräunt gewesen sein.
Dass dem Propheten tiefschwarzes, dichtes Kopfhaar zugeschrieben wird, lässt sich als Lob auffassen. Die Haarlänge und der Scheitel sind aber schwierig zu beurteilen; überdies können sie variabel gewesen sein. Die Texte gehen hier weit auseinander. Einem Text zufolge war er glatthaarig, aber viel häufiger ist zu lesen, dass er als »Mann der Mitte« weder kraushaarig noch glatthaarig war. Sein Haar reichte bis zur Hälfte der Ohren oder bis zu seinen Ohrläppchen; anderswo steht, es reichte bis zu seinen Schultern.
Am Körper soll der Prophet kaum behaart gewesen sein. Oder doch? Die Unterarme und die Brust werden behaart genannt, manchmal auch seine Schultern. Wieder anderen Textstellen zufolge habe sich eine feine Haarlinie von seiner Brust bis an den Nabel gezogen. Im Alter soll er nur zwanzig graue Haare gehabt haben.
Muhammads schnellen Gang deute ich als positive Eigenschaft. Seine Gangart hingegen war etwas merkwürdig. Die Überlieferung schwankt stark: »Wenn er lief, beugte er sich vornüber, als liefe er bergauf.« Oder: »Wenn er lief, beugte er sich vornüber, als liefe er bergab.«
Und: »Wenn er lief, war sein Schritt unfest, als liefe er bergab.« Auch wie er sich umdrehte, schien den Autoren der Hadithe bemerkenswert zu sein: »Wenn er sich umdrehte, drehte er sich ganz um. Er wandte sich ganz nach vorn und ganz nach hinten.« Unklar bleibt dieser Text: »Der Prophet setzte seinen linken Fuß so auf, dass man sehen konnte, dass die Außenseite schwarz war.« Eine Achsfehlstellung im Bein?
War Muhammad dick? In der Erzählung von der Schlacht bei Uhud musste jemand dem Propheten helfen, einen Felsen zu besteigen, von dem aus er die Schlacht beobachten wollte, »weil er beleibt war und überdies zwei Panzerhemden übereinander trug; als er versuchte hochzukommen, gelang ihm das nicht.« Umm Hāni’, die Tante des Propheten, bei der er zur Zeit seiner Himmelfahrt nächtigte, beobachtete Falten an seinem Bauch: »Ich packte einen Teil seines Oberkleides, sodass sein Bauch sichtbar wurde: wie ein gefaltetes koptisches Tuch.« Falten will auch eine gewisse Umm Hilāl gesehen haben: »Immer, wenn ich den Bauch des Prophetensah, musste ich an übereinander gefaltete Blätter denken.«
Ein Merkmal am Körper des Propheten war das Siegel oder der Stempel des Prophetentums (khatam an-nubuwwa). Das war eine Geschwulst auf seinem Rücken oder zwischen seinen Schultern, so groß wie ein Taubenei, angeblich dem Rest seines Körpers ähnlich. Farblich oder in der Konsistenz? Das bleibt offen. Alternativ wird es wie der Knopf eines Brautzeltes beschrieben oder wie ein Stück Kamelkot, wie ein Apfel oder wie ein Haarbüschel. Oder war es faustgroß mit Muttermalen wie Warzen darauf? Die Texte variieren.
Mehrere Gefährten des Propheten sollen das »Siegel« gesehen oder betastet haben. Der Vorschlag einiger Gefährten – alle angeblich medizinisch bewandert –, die Geschwulst zu behandeln oder auszuschneiden, wird vom Propheten abgelehnt: Der beste Arzt sei Gott, der sie erschaffen hat.
Wie kam man auf den Ausdruck khatam an-nubuwwa? Es ist unmöglich, nicht an die Koranstelle zu denken, in der die Rede ist von khatam an-nabiyyin, dem »Siegel der Propheten«. Der Ausdruck wird nicht allen Hörern vertraut gewesen sein. Ein Teil der Koranausleger hat dabei aber offensichtlich an etwas Körperliches gedacht, und siehe da: Das Siegel nahm Gestalt an.
Gewisse Beschreibungen von Muhammads Körper dienten auch als Vorlage für Verhaltensregeln. Was ist zu tun, wenn ein Imam dick ist und seine Bewegungen beim Gebet langsam sind?
Die Gläubigen möchten das Ritual vielleicht schneller zu Ende bringen als er. Ein Hadith, in dem man den Propheten selbst sagen lässt: »Ich bin dick«, war nichts anderes als die Vorlage für eine Scharia-Regel, der zufolge die Gläubigen doch bitte geduldig sein sollen: Wenn der Imam langsam ist, sollen sie im Gebet seinem Tempo folgen und nicht schneller sein als er.
Träger gewisser Frisuren können sich die Haarlänge des Propheten zudem vorgestellt haben, um die eigene zu legitimieren. Soll oder darf man sich die Haare oder den Bart färben? Es gibt etliche Hadithe, denen zufolge der Prophet sie färbte, mit Henna, Safran und Indischgelb und somit einen Brauch etablierte.
Was macht man mit einer Geschwulst; etwa auf- oder ausschneiden? Nein, unbehandelt lassen; der Prophet war selbst Vorbild. Man kann die Texte, in denen der Prophet seine Geschwulst nicht verarzten lassen wollte, auch als »prophetische Heilkunde« lesen.
Es ist manchmal schwierig, festzustellen, wann eine Eigenschaft lobenswert oder gewöhnlich war. Ein strahlendes Gesicht und breite Schultern kann man ohne Weiteres als positiv auffassen, aber eine merkwürdige Gangart? Und was bedeutet es zum Beispiel, dass er sich nur ganz umwandte? Hatte er einen steifen Nacken oder ein Rückenleiden, sodass er seinen Kopf nicht drehen konnte? Oder ist es ein Lob, weil er sich seinen Gesprächspartnern voll und ganz zuwandte? Oder hat es noch einen anderen Hintergrund?
Die etwaige Korpulenz des Propheten sollte man nicht nach modernen Maßstäben bewerten. Der Bauch könnte ein Statussymbol gewesen sein, ein Nachweis, dass er reichlich zu essen hatte.
Einen Sixpack hatte damals ja jeder Mann. Auch zusammengewachsene Augenbrauen wurden damals wohl ganz anders bewertet als bei uns, und das dürfte auch bei anderen Eigenschaften der Fall sein.
Vielleicht die Hälfte der Texte, die Muhammad beschreiben, verbergen eine Absicht, die die reine Beschreibung übersteigt; bei vielen anderen Texten ist nicht festzustellen, ob sie überhaupt etwas beabsichtigen, und wenn ja, was.Manchmal würde man fast meinen, es lägen Erinnerungen an reale körperliche Eigenschaften des Propheten vor.
Vielleicht aber auch nicht – dafür sind die beschriebenen Eigenschaften zu fragmentarisch und widersprüchlich. Lief er nun schnell oder unsicher? Quasi nach oben oder nach unten? Läuft ein bulliger Mann überhaupt schnell? Passen schlanke Fersen zu großen Füßen? Und angenommen, der Prophet hatte wirklich eine Geschwulst auf seinem Rücken, hätte man sich das jahrzehntelang weitererzählt? Eine glaubwürdige Körperbeschreibung erhalten wir aus den vielen Texten auf jeden Fall nicht.