Viele Araber lieben koreanische Boy- und Girl-Groups. Nun versucht Südkorea mit Hilfe von K-Pop auch wirtschaftlich in der Region weiter Fuß zu fassen.
Zwei Jahre hat die Libanesin Daniella gespart. Zwei Jahre voller Überstunden in einem Kleidungsgeschäft in Al-Matn. 2020 kann sie endlich ihren Traum verwirklichen: Daniella packt ihren Koffer, fliegt nach London und erlebt dort die K-Pop-Band DAY6 live auf der Bühne. »Sie haben sogar besser geklungen als auf ihren Alben. All die harte Arbeit hat sich ausgezahlt«, schwärmt die 23-Jährige. Am Ende des Konzerts darf sie sogar auf die Bühne. Lächelnd klatscht sie mit den Bandmitgliedern ab.
Musik aus Südkorea hat die Region im Sturm erobert. Laut dem südkoreanischen Regierungsinstitut KOFICE entfällt rund ein Viertel des gesamten Medienkonsums im Nahen Osten auf Musik und Filme aus Südkorea. K-Pop ist Teil von Hallyu, eine ursprünglich chinesische Bezeichnung für die »koreanische Welle«. Sie beschränkt sich nicht auf den Erfolg von K-Pop, sondern umfasst auch Filme, Serien oder Kosmetik. Neben K-Pop flimmern auch besonders oft K-Dramen, koreanische Telenovelas, über die Bildschirme arabischer Haushalte.
Die Drama-Serien sind der Ursprung der Südkorea-Obsession vieler junger Araberinnen und Araber – so auch bei Fatma. Die Sonderpädagogin aus Ägypten entdeckt 2013 südkoreanische Serien. »Die Kultur hat mich fasziniert und ich habed ann nach den Schauspielern im Internet gesucht. Von dort bin ich weiter zu K-Pop und bin auf die Boyband BTS aufmerksam geworden«, erzählt die 28-Jährige.
Fatma ist Teil von »Bangtan Egypt«, einer BTS-Fangruppe
Fatmas Weg zur koreanischen Kultur steht exemplarisch dafür, wie Hallyu um 2010 in den Nahen Osten schwappt. Schon davor waren asiatische Filme im Nahen Osten beliebt: In den Kinos kämpfte sich e Lee bereits in den 1970er Jahren durch Martial-Arts-Filme, seit den 1980er Jahren kleben Kinder vor den Fernsehbildschirmen und schauen japanische Trickfilme. Mit der Zeit reihten sich K-Dramen hier ein und befeuern seither das Interesse an koreanischer Kultur. Aber erst 2012 lässt der Song »Gangam Style« des koreanischen Rappers Psy auch den K-Pop im Nahen Osten durchstarten. Parodien des Songs auf YouTube, wie »Hobba Egyptian Style«, gehen viral. Angetrieben durch das Internet werden die arabische Halbinsel, aber auch Ägypten und Algerien, bald zu K-Pop-Hotspots.
Die Libanesin Daniella hört erstmals beim Shoppen in einem Kleidungsgeschäft K-Pop. Die Musikrichtung lässt sie nicht los. Als sie später ein Musikvideo der Boyband BTS sieht, wird sie zum Fan. »Ich bin da reingestolpert, wie Alice ins Wunderland«, sagt sie. Ein bis zwei Stunden täglich hört sie heute K-Pop.
Fans wie Daniella oder Fatma schließen sich zu Fangruppen zusammen – und die wachsen zu Jugendtreffs für die junge Fan-Gemeinde. Online diskutieren Ägypterinnen und Libanesinnen über ihre Lieblings-Stars, offline organisiert man Partys und Filmabende. Fatma ist Teil von »Bangtan Egypt«, einer BTS-Fangruppe. »Für uns ist das eine Möglichkeit, gemeinsam etwas über eine andere Kultur zu lernen«, erzählt Fatma.
Der große Unterschied von arabischen K-Pop-Fans zu denen in Europa oder den USA? Arabische K-Pop-Fans seien viel engagierter, meint Daniella. Nur die wenigsten K-Pop-Gruppen geben Konzerte im Nahen Osten. Fans wie Daniella müssen deshalb für viel Geld nach Europa reisen, um ihre Idole live zu sehen. »Wenn wir K-Pop-Bands erleben wollen, müssen wir uns viel mehr anstrengen«, sagt sie. Sogar Platten zu kaufen, ist für sie als Libanesin schwer. »Ein Album kostet so viel wie eine Tankfüllung.« Die CDs seien in Zeiten einer kollabierenden Wirtschaft fast zu einer Luxusware geworden, erzählt Daniella.
Montaha diente K-Pop als Ablenkung, als ihr Land im Krieg versank. »Ich habe vor kurzem eine Freundin gefragt, warum sie so von K-Pop fasziniert ist. Sie hat gemeint, wir verwenden die Musik als Zuflucht. Wir hören K-Pop, weil es etwas Neues ist, etwas Ungewöhnliches – etwas, das uns zum Lachen bringt«, erzählt die 26-jährige Syrerin, die in Damaskus lebt. K-Pop half, trotz Krieg weiterzuleben. »Es war wirklich schwer. Aber wir haben in den Songtexten von BTS einen Weg nach vorne gefunden«, sagt Montaha. Fans wie sie heben die positiven Botschaften im K-Pop hervor. Die Musik würde ihr ermöglichen, wieder das Gute im Leben zu sehen. »Viele von uns haben unsere Familie und unsere Häuser verloren. Die Musik hat uns gezeigt, dass wir unsere Trauer und Verzweiflung loslassen und weitermachen müssen.«
K-Pop erreicht Fans wie Fatma, Daniella und Montaha auch, weil das Genre wichtige Themen mit der arabischen Kultur teilt. Familien- und nicht-sexuelle Liebesbeziehungen spielen eine große Rolle. K-Pop wird als Alternative zu sexualisierter Musik aus dem Westen wahrgenommen. In K-Dramen zum Beispiel spielt Liebe nur auf romantischer Ebene eine Rolle, Sex wird nicht gezeigt. Charaktere halten Zigaretten in der Hand, sie werden aber nie angezündet. Besonders das Fehlen von provokanten Thematiken ließ K-Dramen, aber auch viele Boygroups im Nahen Osten populär werden.
Aber K-Pop kann auch anders. Bands wie Everglow treten in Lack und Leder auf, die Girlgroup Blackpink hat mit »Ice Cream« einen ganzen Song dem Oralsex gewidmet. Um das Jahr 2000 herum wurden K-Pop-Girlgroups sexualisierter inszeniert, um mit westlichen Musikern mithalten zu können. Im Nahen Osten stört das nur die wenigsten. »Im Libanon gäbe es vermutlich Probleme, wenn man diese Outfits auf der Straße tragen würde, aber in Musikvideos ist das kein Problem«, erklärt Daniella. Das Bild von südkoreanischen Medien wird noch immer durch relativ konservative K-Dramen geprägt. Trotz Miniröcken gilt K-Pop als harmlos.
Das hat aber auch zur Folge, dass besonders Girlbands nur eine kleine Rolle spielen. Groß hingegen sind Boybands wie BTS geworden, die sich besonders an Frauen richten. Die Konsequenz: Ungefähr drei Viertel der arabischen K-Pop-Fans sind weiblich. Meist zwischen 18 bis 24 Jahre alt. Boybands finden nur wenige männliche Fans. Auch weil es in konservativen Ländern wie Syrien oder Algerien als Tabu gilt, als Mann Fan der feminin erscheinenden Boybands zu sein. »K-Pop verringert deine Maskulinität und macht dich auf Dauer schwul«, schreibt ein Syrer in einem Reddit-Forum im Internet. »Wenn Männer K-Pop-Bands wie BTS hören, fragen ihre Freunde: Warum hörst du Musik von geschminkten Kerlen? Männer finden sowas seltsam«, erklärt Montaha die kulturellen Vorbehalte, die aber bislang kaum eingehend untersucht worden sind.
K-Pop beschränkt sich in seiner Wirkung aber nicht auf arabische Jugendkultur. »Südkorea sieht K-Pop als Chance, seinen Einfluss in der Region auszubauen«, glaubt Donya Saberi. Sie ist Dozentin am Campus der Middlesex-Universität in Dubai und hat zu Südkoreas kulturellem Einfluss am Golf geforscht. Seoul fördert die Popularität des K-Pop und seiner Fan-Gemeinden. Das wichtigste Instrument dafür sind Kulturzentren. »Drei der weltweit 33 staatlichen Kulturzentren liegen im Nahen Osten. In den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Türkei und Ägypten«, sagt Saberi. Sie organisieren Filmfestivals, Fan-Treffen, aber auch koreanische Kochkurse – und das meist umsonst. Von den Fans wird das bereitwillig angenommen. »Das Kulturzentrum in Kairo veranstaltet regelmäßig Tanzwettbewerbe. Und die Betreiber haben auch Gemälde von uns beim Staatsbesuch des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in ausgestellt. Für uns war das eine große Ehre«, erzählt Fatma.
Das staatliche King-Sejong-Institut bietet in vielen Ländern des Nahen Ostens Sprachkurse an, darunter in Algerien, den Palästinensischen Autonomiegebieten oder Bahrain. »Kostenlose Koreanisch-Sprachkurse sind ein wichtiger Bestandteil, um arabische Jugendliche an Südkorea zu binden. Wer koreanisch spricht, macht eher Urlaub in Südkorea oder konsumiert weiter K-Pop und K-Dramen«, erklärt Donya Saberi. Sie erklärt, dass besonders die Einstiegsfreundlichkeit der Kurse viele junge Araber anzieht. »Das King-Sejong-Institut taucht in Suchmaschinen immer wieder sehr prominent auf. Die Kurse laufen das ganze Jahr über und sind kostenlos. Die Hürde ist niedrig, die Sprache zu lernen.«
Bei Gesprächen mit arabischen K-Pop-Fans stellt sich heraus, dass kaum ein Fan nicht Koreanisch lernt oder es zumindest einmal probiert hat. »Meist kennt man schon ein paar Wörter aus den Liedern. In Kairo kann man Kurse im Kulturzentrum belegen, man bekommt sogar die Lehrbücher umsonst. Aber es bewerben sich so viele, dass man nur schwer einen Platz bekommt«, erzählt Fatma.
Und was erhofft sich Südkorea im Gegenzug? »Seoul hat hinter den Kulissen seine wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen vertiefen können«, sagt Donya Saberi. Südkorea hat Interesse an guten Beziehungen zum Nahen Osten, immerhin stammen 70 Prozent der Öllieferungen aus der Region. K-Pop hat schlussendlich den Absatz anderer Produkte angekurbelt: Insbesondere koreanische Kosmetik verkauft sich auf der arabischen Halbinsel gut.
»K-Pop und K-Dramen sind die perfekte Werbung für koreanische Produkte«
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind ein Beispiel dafür, wie der wirtschaftliche Vormarsch Südkoreas im Nahen Osten in Zukunft aussehen könnte. Die VAE sind ein Brennpunkt für K-Pop-Fans: Zusammen mit Saudi-Arabien wird hier am meisten K-Pop bei dem Musikanbieter Spotify abgerufen.
Aber nicht nur im Musikstreaming nähern sich die VAE und Südkorea einander an: 2009 begann das staatliche Energieunternehmen KEPCO, das Kernkraftwerk Barakah in den VAE zu bauen. Ein Megaprojekt, politisch unterstützt von der südkoreanischen Regierung. »Ungefähr 4,3 Milliarden Euro macht der Handel zwischen Südkorea und den VAE aus – und da ist der Ölexport noch nicht mal miteinberechnet«, erklärt Donya Saberi.
Um den Absatz von Lebensmitteln in die von Nahrungsimporten abhängigen VAE zu steigern, verwendet Südkorea mittlerweile Halal-Zertifikate. In Dubai findet man in Lebensmittelgeschäften Korea-Abteilungen, auf den Straßen wird Korean Fried Chicken angeboten. »K-Pop und K-Dramen sind die perfekte Werbung für koreanische Produkte. Man sieht in einem K-Drama etwa die Charaktere Nudeln essen und möchte sie dann selbst probieren«, sagt Saberi.
So wie heute schon in den VAE, könnte es Südkorea auch in anderen Ländern der arabischen Halbinsel gelingen, zu einem wichtigen Handelspartner zu werden. Die koreanische Kultur in Form von Essen, Film und Musik, wären dann der Türöffner in einen lukrativen Markt.