In jeder Ausgabe fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? In dieser Ausgabe antwortet Katharina Willinger, ARD-Korrespondentin in Istanbul.
Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe.
- Geboren: 1986
- Wohnort: Istanbul
- Ausbildung: Studium der Islam- und Kommunikationswissenschaften in Bamberg; Praktika bei Print und Hörfunk, Volontariat beim Bayerischen Rundfunk
- Karriere: Reporterin und Autorin für Redaktionen des BR, überwiegend Fernsehen, darunter auch das Ressort Ausland, Autorin für die NDR-Reportagereihe »7 Tage...«,seit 2017 TV-Korrespondentin im ARD-Studio Istanbul, seit Mai 2020 Leitung des ARD-Büros Teheran
Wie kamen Sie dazu, Nahostjournalist zu werden?
Schon in der Schule wollte ich Journalistin werden. Weit weg erschien mir damals immer spannender als direkt vor der Haustür. Mein Studium lenkte das Interesse dann auf bestimmte Länder, hauptsächlich auf Iran. Einige Jahre nach meinem Volontariat beim BR traf ich die bisher wichtigste Entscheidung meiner Karriere: Ich ging im Frühjahr 2016 als freie Journalistin in die Türkei, dort hatte ich bereits in den Jahren zuvor einige Reportagen für die ARD gedreht. Ich wollte nicht warten, bis die passende Stelle frei wird, und stattdessen direkt ran an die Arbeit. Das zahlte sich aus: 2016 wurde ein wildes Jahr in der Türkei, ich hatte viel zu tun und bekam gut ein Jahr später die Chance, als feste Korrespondentin für die ARD anzufangen. Inzwischen leite ich auch das Büro in Teheran.
Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Ich spreche Türkisch und nehme seit einiger Zeit wieder Farsi-Unterricht bei einem iranischen Bekannten, weil mir die Praxis fehlte. Arabisch habe ich ein paar Basics aus dem Studium behalten.
Der Orient riecht nach ...
Ich zähle die ersten drei Düfte auf, die mir einfallen: geröstete Kastanien, Rosenwasser und Kebab. Ansonsten riecht es nach allem, was es anderswo auch gibt. Außer nach frisch gemähtem Rasen, dieser Geruch fehlt mir…
Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
Beim Begriff Orient denke ich immer an abgedroschene Klischees, an Indiana Jones, schreiende Gewürzverkäufer und bauchtanzende Damen… wo also DIESER Orient liegt, keine Ahnung.
Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten.
Schuhe anlassen in der Wohnung, Tee ablehnen, Nase putzen am Essenstisch.
Ihr grösster journalistischer Fauxpas?
Während Gefechten an der türkisch-syrischen Grenze schlugen rund 50–100 Meter von meinem Team und mir entfernt zwei Granaten ein. Wir blieben relativ ruhig, bis plötzlich ein türkischer Kameramann auf uns zu rannte und schrie: »Legt euch auf den Boden, schnell, es kommen noch mehr Granaten.« Es passierte nichts mehr. Kurz darauf bekam ich viele Anrufe und Nachrichten von besorgten Freunden. Der Kameramann hatte die von ihm herbeigeführte Situation, wie mein Team und ich in der Ecke eines Hofes Schutz suchen, gefilmt und das Material seinem Sender geschickt. Der titelte: »Angriff auf ausländische Journalisten«. Ich denke nach wie vor: Wir haben richtig reagiert, daher ist es kein wirklicher Fauxpas, aber ich habe mich sehr geärgert. Später habe ich diesem Kameramann deutlich die Meinung gegeigt.
Am meisten über den Orient gelernt habe ich...
Meist habe ich dann viel gelernt, wenn die Kamera aus oder gar nicht dabei war, etwa in Iran, wenn man Menschen auf einer privaten Feier frei und ungezwungen erlebt. Auch wenn ich diese Augenblicke gerne filmen würde, eine Kamera kann Momente auch kaputt machen – oder sie gar nicht erst entstehen lassen.
Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
Kein Roman, sondern ein Sachbuch: »Wer den Wind sät« von Michael Lüders.
Peter Scholl-Latour war für mich ...
Das ist in keinster Weise respektlos gemeint, aber: Er spielt für meine Arbeit keine Rolle. Ich stamme aus einer Journalisten-Generation, die kein Monopol auf die Berichterstattung aus dem Nahen Osten besitzt, und das ist auch gut so. Ich lasse mich eher von Leuten inspirieren, die heute im Geschäft sind – oftmals von Kolleginnen. Frauen in der Auslandsberichterstattung, das ist meine Erfahrung, geht es mehr um die Sache an sich als um Selbstdarstellung.
Die Geschichte, die Sie schon immer machen wollten, zu der sie aber nie kamen.
Zu der ich aber noch kommen will und daher: …