In jeder Ausgabe fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? In dieser Ausgabe antwortet Dunja Sadaqi, Leiterin des ARD-Studios Nordwestafrika.
Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe.
- Geboren: 1. Februar 1988
- Wohnort: Rabat, Marokko
- Ausbildung: Studium Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt, Diplom-Abschluss 2011; trimediales Volontariat beim Hessischen Rundfunk (2013–2015); Praktika bei TV, Hörfunk und online
- Karriere: Seit 2010 beim Hessischen Rundfunk, hr-Hörfunkwellen + hr-Fernseh-Wissenschaft; Junior-Landeskorrespondentin im hr-Hörfunkstudio Wiesbaden; seit 2016 Vertreterin ARD-Studio Nordwestafrika, seit Oktober 2019 Studioleitung ARD-Studio Nordwestafrika (Rabat, Marokko)
Wie kamen Sie dazu, Nahostjournalist zu werden?
Mein Vater kam in den 1970ern per Schiff und Zug nach Deutschland, ich 2016 beruflich per Flugzeug für ein halbes Jahr nach Marokko. Was sich zwischen seiner Generation und der meinen – seinem Marokko und meinem – verändert hat, faszinierte mich immer und lässt uns heute noch regelmäßig diskutieren. Als ich beim Hessischen Rundfunk anfing und vom Auslandsstudio in Marokko erfuhr, wusste ich: Ich will Auslandskorrespondentin werden!
Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Englisch ist ein must für die anglophonen Staaten. Französisch ist ganz klar unsere Haupt- und Studio-Sprache. Ich habe vor einigen Jahren in Marokko mit Hocharabisch begonnen, um lesen und schreiben zu lernen. Ich lerne Darija, das marokkanische Arabisch – es ist ausbaufähig. Danach würde ich gern Tamazight lernen.
Der Orient riecht nach ...
… in Marokko nach stark gesüßtem Minztee und Honiggebäck; verbranntem Plastik auf dem Land, weil der Müll sich stapelt; gegrillten Lamm-Köpfen während des Opferfests. Eine Geruchserinnerung aus meiner Kindheit, die ich stark mit Marokko verbinde: meine marokkanische Oma – sie roch nach Henna, Olivenöl und frischen Tomaten.
Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
Als romantisches Gedankenkonstrukt in den Köpfen vieler Europäerinnen und Europäer. Ein Klischee des Orients finden Reisende auf dem Platz Djemaa el Fna, dem Herzen Marrakeschs und Platz der Gehängten, wo vor Jahrhunderten die Köpfe getöteter Sträflinge ausgestellt wurden. Er liegt mitten in der Medina, der labyrinthartigen Altstadt. Hier wuselt es: rauchende Garküchen, Gewürzhändler, Henna- Frauen, Märchenerzähler, Verkäufer von traditionellem marokkanischem Kunsthandwerk.
Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten.
Gott, Vaterland und König – das ist der Wahlspruch in Marokko. Kritisch über Religion, Marokkos territoriale Interessen wie zum Beispiel die Westsahara oder über König Muhammad VI zu berichten birgt vor allem für marokkanische Journalistinnen und Journalisten Gefahren.
Ihr grösster journalistischer Fauxpas?
Immer noch zu glauben, dass ein kurzes Interview möglich ist. Ich war einmal in El Jadida, einer Hafenstadt Marokkos, für einen Bericht über den Anbau und Export von Rotalgen. Ich erwartete ein Interview mit einem (!) Verantwortlichen der Behörden. Sieben Männer warteten im Büro des Ministers und wollten interviewt werden.
Am meisten über den Orient gelernt habe ich...
... dass man selbst mit familiären Verbindungen nicht ohne Vorurteil ist. Mein Marokko-Bild hat sich seit meinem Jobantritt ständig verändert, obwohl ich das Land seit gut 30 Jahren kenne. Wer das moderne Marokko oder das konservative Marokko sucht, der findet es.
Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
»Sex und Lügen« von Leïla Slimani: Das Buch gibt einen guten Eindruck über die Sexualmoral in Marokko und die Zerrissenheit der Bevölkerung zwischen Realität und konservativem Moralanspruch. Empfehlenswert sind auch die Comics von Zainab Fasiki über die Kultur der »Schande« (»Hshouma«), was Körper und Sexualität betrifft, insbesondere der Frauen in Marokko.
Peter Scholl-Latour war für mich ...
... der Skeptiker über die Entwicklung nach dem Arabischen Frühling. Er hatte recht. Ich sehe aber trotz all der Schwierigkeiten gerade bei jungen Menschen in Marokko, Tunesien und Algerien Mut und Hoffnung. Das beobachte ich auch bei der jungen Hirak-Protestbewegung in Algerien.
Die Geschichte, die Sie schon immer machen wollten, zu der sie aber nie kamen.
Sex und Liebe in Nordafrika – alles von Dating, Homosexualität, Sexualaufklärung bis zu Sexarbeit in Marokko, Tunesien und Algerien.