Jede Woche fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? Diese Woche antwortet Dokumentarfilmerin Katrin Sandmann.
Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe. Diese Woche: Dokumentarfilmerin Katrin Sandmann
- Geboren: 17. April 1966 in Berlin (West)
- Wohnort: Berlin (mit längeren Pausen, gerne möglichst weit weg)
- Ausbildung: M.A. in Romanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaftenan der Pariser Sorbonne, LMU München und FU Berlin. Dann Volontariat bei den Sat1-Nachrichten in Hamburg, Washington und Jerusalem.
- Karriere: 1999–2005 Nahostkorrespondentin in Jerusalem, Amman und Bagdad für die Prosiebensat1-Gruppe. Dann Chefreporterin für N24. 2010 Wechsel zu Kobalt Productions. Seit 2015 geschäftsführende Gesellschafterin von Kobalt Documentary.
Wie kamen Sie dazu, Nahost-Journalist zu werden?
Irgendwann hat mir irgendjemand Thomas Friedmans »From Beirut to Jerusalem« in die Hand gedrückt. Ich war fasziniert. Ich wollte dahin. Unbedingt! Es hat etwas gedauert, aber irgendwann konnte ich meine Wohnorte nach Jerusalem, Amman und Bagdad verlegen. Leider nie nach Beirut. Aber das wird noch, da bin ich sicher.
Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Ich kann auf Hebräisch das Wort »Notausgang« lesen. Das gilt wahrscheinlich nicht, war aber mehrmals äußerst hilfreich.
Der Orient riecht nach ...
... Orangenblüten und Nana-Minze natürlich! (Billigem Benzin, nackter Angst und unausweichlichem Tod, haben die anderen wahrscheinlich schon gesagt!)
Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
In den Zimmern des Hotels Deira in Gaza, im Garten des Manouchehri House in Kaschan und auf der Terrasse des Old Cataract in Assuan. Der Orient liegt für mich auch in André Acimans »Damals in Alexandria« oder Alaa al-Aswanys »Automobile Club of Egypt«. In Bezug auf den Orient neige ich zur Nostalgie. Aus gutem Grund!
Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten?
Männer in Burqas. In vorauseilendem Gehorsam verschleierte Frauen. Freundlich zu lächeln, wenn der Gegenüber sagt, dass Adolf Hitler ein famoser Kerl war.
Ihr größter journalistischer Fauxpas?
Nach einem zu langen Interview mit Scheich Ahmad Yassin von der Hamas beim hektischen Ausparken vor seinem Haus in Gaza aus Versehen eine seiner Enkelinnen angefahren zu haben.
Am meisten über den Orient gelernt habe ich ...
... von meinem langjährigen jordanischen Kameramann, Mahmoud, während er mir auf einer Art Bunsenbrenner im Palestine Hotel in Bagdad Schakschuka zubereitete. Ich war und bin oft deutlich anderer Meinung, lehrreich war es trotzdem. Mahmouds Lieblingsthemen waren: die Schiiten (die er eher weniger mochte) und die Sunniten (zu denen er selbst gehörte und die bei ihm naturgemäß höher im Kurs standen).
Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
Ach kommen Sie, einen nur! Okay, dann »The Reluctant Fundamentalist« vom fabelhaften Mohsin Hamid.
Peter Scholl-Latour war für mich ...
... »Der Tod im Reisfeld« – auch wenn das thematisch und geografisch jetzt irgendwie nicht passt.
Die Geschichte, die sie schon immer machen wollten, zu der Sie aber nie kamen.
Die faszinierende Story von Ali Ahmed Elman und seiner Tochter Iman aus Mogadischu, weil sie zeigt, dass man durchgeknallten, waffenvernarrten, machthungrigen Mördern etwas entgegensetzen kann. Elman hatte im endlosen somalischen Bürgerkrieg die verrückte Idee, einen Fußballclub und eine Schule für verwaiste und verlassene Kinder zu gründen. »Pick up a pen, not a gun« war der Claim. Die Warlords waren »not amused«, da Elman ihnen die Rekruten für ihre Kinderarmeen wegschnappte, weshalb sie ihn auch Mitte der Neunziger töteten. Seine Tochter scheint die vollkommene Angstfreiheit ihres Vaters geerbt zu haben und trotzt heute der Al-Shabaab.