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Scholl-Latours-Erben: Paul-Anton Krüger

»Das eigene Gedächtnis ist die zuverlässigste Fehlerquelle«

Portrait
Scholl-Latours-Erben: Paul-Anton-Krüger

Jede Woche fragen wir einen Nahost-Korrespondenten: Wie halten Sie es mit Scholl-Latour, dem großen Erklärer der arabischen Welt? Diese Woche antwortet SZ-Korrespondent Paul-Anton Krüger.

Ein halbes Jahrhundert lang berichtete der Fernsehjournalist Peter Scholl-Latour von Krisenherden in Afrika und Asien, erzählte vom islamischen Wesen und ärgerte damit Wissenschaftler. Im Sommer 2014 verstarb der Bestsellerautor mit 90 Jahren. Wer erklärt den Deutschen nun den Orient? zenith nimmt Kandidaten unter die Lupe. Diese Woche: SZ-Korrespondent Paul-Anton Krüger


 

  • Geboren: 27.09.1977
  • Wohnort: Kairo
  • Ausbildung: Jura an der FU Berlin für drei Semester, die gut fürs analytische Denken waren, dann Diplom-Studium Journalistik an der LMU München, das einem große Freiheiten ließ. Ich habe sie genutzt, um mich mit internationaler Politik zu beschäftigen. In meiner Diplomarbeit ging es um das iranische Atomprogramm, das Thema hängt mir bis heute nach. Das Handwerk habe ich an der Deutschen Journalisten-Schule in München gelernt und von einigen geduldigen Kollegen bei der Süddeutschen Zeitung.
  • Karriere: Seit 2005 bei der SZ, im Ressort Außenpolitik zunächst zuständig für internationale Sicherheitspolitik, 2011 dann Chef vom Dienst des Ressorts, auch wenn ich damals schon lieber in den Nahen Osten gegangen wäre. So erlebte ich den Arabischen Frühling vor allem am Fernseher mit und am Telefon mit Sonja Zekri und Tomas Avenarius, den damaligen Korrespondenten der SZ. Im September 2014 dann die Entsendung nach Kairo.

 


 

Wie kamen Sie dazu, Nahost-Journalist zu werden?

Ich bin gewissermaßen Quereinsteiger, habe weder Arabistik noch Islamwissenschaft studiert und auch keine familiäre Verbindung. Der journalistische Zugang kam über die Sicherheitspolitik. Vom iranischen Nuklearprogramm zum Nahen Osten mit all seinen Spannungen, Umbrüchen, Krisen und Kriegen ist es nicht so weit. Mich hat die Region aber schon früher fasziniert wegen ihrer Menschen, ihrer Kultur, wegen ihrer Geschichte und Landschaften. Als Student bin ich 1999 mit einem T-2 VW-Bulli von Berlin bis in den Hohen Atlas und nach Agadir gefahren.

 

Welche nahöstlichen Sprachen beherrschen Sie?
Ich habe zwar schon während des Studiums in München versucht, Arabisch zu lernen, halte es bis heute für eine schöne, aber schwere Sprache. Ich komme klar, aber für komplexere Interviews zu politischen Themen bin ich leider nach wie vor auf Übersetzer angewiesen.

 

Der Orient riecht nach ...
Im besten Fall nach Zaatar, Falafel und Minztee, häufig nach Wunderbaum, aber nicht nur in Kairo eben auch nach Müll, nach Smog. Und an zu vielen Orten leider auch charakteristisch dumpf nach pulverisiertem Beton.

 

Apropos: Wo liegt er eigentlich, dieser Orient?
Gibt es den Orient? Ich würde sagen, als politischer Raum grob zwischen Nouakchott und Kabul, zwischen Istanbul und Mogadischu.

 

Drei No-Gos für westliche Reporter im Nahen Osten?
Die Menschen in der Region zu wortlosen Statisten im Ränkespiel der Großmächte zu degradieren. Unkritisch die Narrative der mehr oder weniger autoritären Regime in der Region nachplappern. Sich in vermeintliche Gewissheiten zu versteigen und sich der Widersprüchlichkeit und Komplexität der Region zu verweigern – sie hat mehr Facetten und Perspektiven als Kairos Fassaden an Grau- und Brauntönen aufweisen.

 

Ihr größter journalistischer Fauxpas?
Ist mir in München am Tisch passiert, nicht im Nahen Osten. In einem Text über ein nördliches Bundesland gingen ein paar Namen und Amtsbezeichnungen durcheinander. Hätte ich das nochmal gegengecheckt, wäre klar geworden, dass die Geschichte nur aufgrund der Vertauschung eine Geschichte war. Daraus gelernt, dass das eigene Gedächtnis die zuverlässigste Fehlerquelle ist…

 

Am meisten über den Orient gelernt habe ich ...
Von den Menschen, die ich auf meinen Reisen durch die Region und in vier Jahren in Kairo kennenlernen durfte. Vor allem, dass es den Orient nicht gibt…

 

Ein Roman über die Region, den jeder gelesen haben sollte.
Kein Roman, aber den Kurzgeschichten-Band »Taxi« von Khaled al Khamissi, der nach dem Arabischen Frühling als Weissagung gepriesen wurde. Das heißt nicht, dass man laufend Taxi-Fahrer interviewen sollte, aber man sollte den Menschen zuhören, und zwar nicht nur solchen, die hinter schweren Holzschreibtischen oder in barocken Kunstlederfauteuils sitzen.

 

Peter Scholl-Latour war für mich ...
Erst einmal eine faszinierende Person, die durch fremde Welten reiste – mein Vater las seine Bücher, also musste er was zu sagen haben. Ich durfte als Kind seine Fernsehreportagen schauen, die ich dann später in den Büchern aus dem Schrank meines Vaters nachlesen konnte. Der späte Scholl-Latour redete allerdings immer mehr über sich und was er meint – und dafür immer weniger mit den Menschen in den Ländern, die er bereiste. Sie wirkten oft nur noch wie eine Staffage.

 

Die Geschichte, die sie schon immer machen wollten, zu der Sie aber nie kamen.
Ich habe eine Idee für eine Reportage in Algerien im Kopf, die seit drei Jahren trotz mehrmaliger Versuche bislang am Visum scheitert.

Von: 
zenith-Redaktion

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