Assad geht es nicht darum, den Anschein freier und fairer Wahlen vorzugaukeln. Das Regime will stattdessen eine klare Botschaft senden – an Unterstützer wie Gegner.
Ein Soldat piekst sich in die Brust und presst seinen Wahlzettel an die Stichwunde. Währenddessen, davor und danach skandieren er und seine Kameraden »Mit Geist, mit Blut, verteidigen wir dich, Baschar!«. Das martialische Schauspiel ist Teil der Inszenierung, bei der es nur vordergründig um die Wahlen in Syrien geht, die das Regime Ende Mai in den Gebieten unter seiner Kontrolle abhalten ließ.
In anderen Videos füllen die Wahlleiter recht ungeniert die Wahlzettel für die anwesenden Wählerinnen und Wähler aus, singen und skandieren dabei, im Hintergrund werden Fahnen geschwenkt. Den Anwesenden bleibt natürlich kaum eine Wahl – Syriens Staatsbetriebe etwa karrten ihre Beschäftigen geschlossen in die Wahllokale mit der eindeutigen Aufforderung, das Kreuz bitte an der richtigen Stelle zu setzen (oder es am besten den Funktionären vor Ort zu überlassen).
Beim Anblick dieser Bilder wird klar: Hier geht es nicht darum, den Anschein freier und fairer Wahlen vorzugaukeln, sondern eine klare Botschaft zu senden – an Unterstützer wie Gegner des Assad-Regimes, in Syrien und außerhalb des Landes: An Baschar Al-Assad führt kein Weg vorbei, die Zukunft des Landes liegt allein in den Händen seines Regimes – und das ist nicht an Kompromissen interessiert und schert sich kein bisschen um Kritik oder Druck von außen wie innen.
Der Ort, an dem Baschar Al-Assad und seine Frau Assad ihre Stimme abgaben, war bewusst gewählt, eine kalkulierte Provokation: Denn schließlich war die Stadt im Umland von Damaskus 2013 das Ziel der ersten Chemieangriffe, der Aushungerungstaktik und der großangelegten Vertreibungen des Regimes. Die Botschaft richtet sich also an jene, die nicht mehr in Douma sind – ein Großteil der überlebenden Bewohner musste fliehen, wurde enteignet oder zwangsumgesiedelt. Assads Auftritt dort richtet sich also an die Angehörigen der Opfer und die früheren Einwohner Doumas, aber stellvertretend eben auch an die Diaspora, die genau weiß, wofür Douma steht.
Assad will die syrische Diaspora weiter psychologisch zermürben und brechen
Eine Rückkehr nach Syrien, so die Botschaft, ist nur unter der Maßgabe bedingungsloser Loyalität möglich – aber dessen ungeachtet behält sich das Regime vor, mit jedem Mittel, das es für angebracht hält, auch gegen Rückkehrer vorzugehen. Es ist eine schmerzhafte Erinnerung für Millionen Syrerinnen und Syrer im Ausland, warum sie auf absehbare Zeit nicht in ihr Heimatland zurückkehren können.
Das Werben des Assad-Regimes gerade bei westlichen Staaten für die Sicherheit der Rückkehr für Geflüchtete war und ist nicht nur unaufrichtig, sondern auch zynisch. Es bedient einerseits die rechtspopulistischen Ressentiments, das zeitigte etwa im Falle Dänemarks Erfolg, das weiter unbeirrt Geflüchtete aus Syrien abschieben will, vor allem aber soll es die syrische Diaspora weiter psychologisch zermürben und brechen. Diesem Zweck dient auch die kontinuierliche Enteignung geflüchteter Syrerinnen und Syrer sowie die demografische Umgestaltung ganzer Viertel und Landstriche in Syrien.
Gleichzeitig demonstriert Assad mit dem Auftritt in Douma Stärke und Entschlossenheit gegenüber seinen Anhängern, insbesondere den ihm loyalen Armee- und Milizenverbänden. Einerseits ist Douma für Assad Symbol für die seinen Anspruch, ganz Syrien wieder unter seine Kontrolle zu bringen, andererseits erteilt die Wahl des symbolträchtigen Ortes seinen Schergen die Absolution, dafür mit aller während des Krieges bereits unter Beweis gestellten Brutalität weiter vorzugehen.
Legitimität ist an Loyalität geknüpft – diese Botschaft richtet sich auch an jene Gruppen in Assads Unterstützerkreis, die zuweilen auf eigene Rechnung handeln und sich nicht immer so kontrollieren lassen, wie es dem Regime recht wäre. Dazu zählen etwa die neureichen Warlords, Kriegsgewinnler, die auf Kosten der Zivilbevölkerung zu Wohlstand und Einfluss gelangt sind (oder ausbauen konnten), aber auch in Konkurrenz zueinanderstehen.
Assads Auftritt ist durchaus auch als Machtprobe gegenüber Russland zu verstehen
Figuren wie Samer Foz und Muhammad Labin Al-Ikhwan, zwei Geschäftsleute, die wir bei zenith schon eingehender beleuchtet haben. Aber auch Rami Makhlouf, Baschars Cousin, der zuletzt in Ungnade gefallen war und sich recht öffentlich mit dem Regime angelegt hatte. Assad ist auf diese Klasse angewiesen, aber bedacht darauf, niemanden zu mächtig werden zu lassen. Die Fokussierung auf die Stärke seiner Person soll ihnen signalisieren, dass ein Platz an der Sonne in seinem Syrien weiterhin nur über ihn führt.
Das ist auch durchaus als Machtprobe etwa gegenüber Russland zu verstehen, denn Moskau operiert im Prinzip mit ähnlichem Kalkül in der Region. So verpflichtet sich die russische Außenpolitik nicht auf eine Partei oder eine Person, sondern hält idealerweise mehrere Karten in der Hand. Das gilt auch für das Verhältnis zu Iran und Syrien. Russische Geschäftsleute, die auch oft genug auf eigene Rechnung in Syrien operieren, gerieten in den vergangenen Jahren öfter mit syrischen Kollegen aneinander.
Doch auch im Kreml mehrt sich der Unmut: Russland hat weder Interesse noch die Ressourcen, um Assad den Wiederaufbau Syriens zu finanzieren. Auch aus diesem Grund drängte Moskau Assad zuletzt, sich an diplomatischen Initiativen auf lokaler wie internationaler Ebene zu beteiligen.
So etwa das Komitee, das in der Schweiz eine neue Verfassung ausarbeiten soll. Anfang des Jahres startete die offiziell fünfte Runde der Genfer Gespräche. Der absolute Machtanspruch, den die Inszenierung der Wahlen in Syrien untermauert, negiert nun jegliche Legitimität, die das Regime bereit ist, solchen Initiativen zuzugestehen.
Ebenso wie die Alawiten verpflichtet Assad nun die gesamte Bevölkerung auf Loyalität und stellt die Optionen klar zur Schau
Vielmehr offenbart es, was seit Beginn des Krieges als taktische Linie konsequent durchgezogen hat: Verhandlungen dienen in erster Linie dazu, Zeit zu gewinnen, um im Land Fakten zu schaffen. Diese Linie untergräbt im Übrigen auch jene Akteure auf Seiten des Regimes, die auf lokaler Ebene versuchen, wieder Vertrauen zu schaffen und ein Zusammenleben zu ermöglichen.
Sie trifft im Land vor allem jene Gruppe, die mitunter als das »graue Syrien« bezeichnet wird – mithin ein Großteil der Bevölkerung, der es in erster Linie um ökonomisches Überleben und physische Unversehrtheit geht. Dazu zählen im Übrigen auch große Teile der Alawiten. Die Religionsgemeinschaft, der der Assad-Clan entstammt, gehört mitnichten zu den Kriegsgewinnlern. In der aktuellen zenith-Ausgabe 1/21 schildert ein Alawit, wie die Gemeinschaft in die Loyalität gepresst wird, aber ebenso unter den Versorgungsengpässen und der Willkür der Warlords und Neureichen leidet.
Ebenso wie die Alawiten verpflichtet Assad nun also die gesamte Bevölkerung auf Loyalität und stellt die Optionen klar zur Schau: »Assad oder wir brennen das Land nieder«, skandierten seine Schergen, die Schabiha, schon zu Beginn des Aufstands in Syrien.
So unaufrichtig die Wahlen in Syrien waren, so deutlich legte ihre Inszenierung Assads Karten offen: Das Regime hat keinen überzeugenden Plan zum Wiederaufbau, erst recht kein Interesse an einer gesellschaftlichen Versöhnung oder Aufarbeitung. Sein primäres Ziel ist der Machterhalt, geknüpft an die Person Baschar Al-Assad, der im Innern bedingungslose Gefolgschaft einfordert und sich jegliche Einmischung von außen verbittet.