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Die EU, Wahlen und Sicherheit in Palästina

Abbas lässt keine Wahl

Analyse
Die EU, Wahlen und Sicherheit in Palästina
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Die für 2020 anberaumten Wahlen in Palästina liegen wieder einmal auf Eis – diesmal wegen der Corona-Pandemie. Dabei bestehen Zweifel, ob Präsident Mahmud Abbas an einer Belebung des demokratischen Prozesses überhaupt gelegen ist.

Im September 2019 kündigte Mahmud Abbas vor der UN-Generalversammlung an, dass er nach seiner Rückkehr nach Ramallah ein Datum für die Abhaltung von Wahlen in Palästina bekannt geben werde – es wären die ersten seit 2006. Damals ging die Hamas siegreich aus dem Urnengang hervor, die Regierungsbildung stieß auf internationale Ablehnung. Ein Jahr später putschte sich die Hamas in Gaza an die Macht. Seit 2007 hat die De-Facto-Teilung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Bestand.

 

Die Erklärung in New York löste eine Flut von Spekulationen darüber aus, wer die Nachfolge des 84-jährigen Präsidenten der PA antreten würde, einer Körperschaft, die nominell nur 17,7% Palästinas, auch bekannt als A-Gebiete, regiert, während der Rest entweder unter gemeinsamer oder direkter israelischer Kontrolle steht.

 

Die Tatsache, dass Abbas seit dem Auslaufen seines Mandats im Jahr 2009 per Dekret regiert, ist insbesondere für Berlin und Brüssel ein peinlicher Umstand. Nachdem sich die USA zurückgezogen haben, ist Deutschland der wichtigste internationale Geber für die PA. Demensprechend hatte Angela Merkel »gute Regierungsführung, demokratische Legitimierung bestehender Institutionen und die Stärkung der Zivilgesellschaft« als Prioritäten der deutschen und europäischen Palästina-Politik betont, als Abbas einen Monat vor der Wahlankündigung in New York im August bei der Bundeskanzlerin vorstellig geworden war.

 

2016 schuf Abbas mit dem Obersten Palästinensischen Verfassungsgericht ein neues Gremium, das er mit Fatah-Loyalisten besetzte.

 

Doch es bestehen Zweifel, ob Abbas sich diesen Zielen wirklich verpflichtet fühlt, oder nicht eher Pfründe sichern will. Im April 2016 schuf Abbas mit dem Obersten Palästinensischen Verfassungsgericht ein neues Gremium, das er mit Fatah-Loyalisten besetzte. Nathan Brown, Professor für Politikwissenschaft an der George-Washington-Universität, sieht darin im Gespräch mit zenith »einen sehr transparenten Versuch des Präsidenten, die Kontrolle über die verbliebenen Strukturen zu übernehmen«.

 

So etwa den Palästinensischen Legislativrat (PLC). Im Januar 2019 erklärte das Gremium die Aufhebung des Parlaments per Präsidialdekret für rechtens. Damit fehlt auch ein möglicher Interimsnachfolger, sollte Abbas im Amt versterben. Denn die Verfassung sieht für diesen Fall den Parlamentspräsidenten vor – formell hatte der Hamas-Politiker Aziz Dweik diesen Posten bekleidet.

 

Die Maßnahmen der Autonomiebehörde unter Abbas zielen nicht nur gegen die politische Konkurrenz. 2017 trat ein Gesetz zur Bekämpfung von Cyberkriminalität in Kraft, wiederum per Präsidialerlass. Im Oktober 2019 ordnete der Magistratsgerichtshof von Ramallah auf der Grundlage dieses Gesetzes die Sperrung von 59 palästinensischen Websites an, 25 davon Nachrichtenagenturen.

 

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Wahlen abgehalten werden, würde seine Partei keinen anderen Kandidaten als Abbas aufstellen, erklärt Fatah-Funktionär Rawhi Fattouh.

 

Zugleich hält der zunehmend autoritär regierende Präsident gegenüber der EU die Illusion von baldigen Wahlen aufrecht. »Lediglich als Lippenbekenntnis« sei auch die Ankündigung vor der UN-Generalversammlung zu deuten, findet Yara Hawari, vom palästinensischen Thinktank Al-Shabaka im Gespräch mit zenith. Indem er den Vorschlag periodisch in Umlauf bringt und gleichzeitig ankündigt, bei künftigen Wahlen nicht zu kandidieren, gaukelt Abbas der EU eine dünne Fassade demokratischer Legitimität vor, die die anhaltende Unterstützung für den Präsidenten der PA rechtfertigt.

 

Doch Abbas hat bisher kein Dekret erlassen, in dem ein genaues Datum für die Wahlen festgelegt wird. Die PA gibt dafür mal Wahlen in Israel, mal die Ost-Jerusalem-Frage und mal die Unnachgiebigkeit der Hamas als Begründung an. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Wahlen abgehalten werden, würde seine Partei keinen anderen Kandidaten als Abbas aufstellen, erklärt der hochrangige Fatah-Funktionär und ehemalige Interimspräsident der PA Rawhi Fattouh im Gespräch mit zenith. »Autoritäre Machthaber neigen dazu, an der Macht zu bleiben, bis sie sterben«, antwortet Politikanalystin Yara Hawari auf die Frage, welcher Mechanismus Abbas ersetzen könnte.

 

Derweil hat Deutschland als führendes EU-Mitglied die Wahlankündigung des PA-Präsidenten begrüßt und zugleich einen Kurs eingeschlagen, der eine umfassendere pluralistische Manifestation der Demokratie in Palästina nahezu unmöglich macht. Im Mittelpunkt dabei stehen Maßnahmen gegen die sogenannte BDS-Bewegung. So treffen Auftrittsverbote etwa palästinensische Aktivisten, die sich nicht nur gegen Israels Siedlungspolitik positionieren, sondern auch gegen die fehlende demokratische Legitimierung der PA.

 

Dieser Umgang mit oppositionellen Stimmen spiegelt sich im Engagement der EU für die Reform des Sicherheitssektors in den Palästinensischen Autonomiegebieten wider. Dem Auswärtigen Amt zufolge soll diese Kooperation, »die Sicherheit der Zivilbevölkerung verbessern und das Wohlergehen der Menschen fördern«, indem sie die Sicherheitsinstitutionen der Partnerländer unterstützt, die »fest in demokratische politische Institutionen eingebettet sein sollten, die von der Bevölkerung als legitim angesehen werden«. Laut einer Umfrage des »Palestinian Center for Policy and Survey Research« (PCPSR) vom September 2019 befürworten 62 Prozent der Befragten einen Abtritt des Präsidenten von der Spitze der PA.

 

Der palästinensische Sicherheitssektor beschäftigt heute rund die Hälfte aller Beamten der PA und beansprucht fast ein Drittel des Haushalts.

 

Im Juni 2008 war Berlin Gastgeber der »Sicherheitskonferenz Palästina«, auf der die Bundesrepublik 15 Millionen Euro der insgesamt zusagten 156 Millionen Euro an Hilfsgeldern übernahm. Damit war Deutschland neben der EU selbst, die 35,4 Millionen Euro beisteuerte, der größte jährliche Einzelgeber für das Programm zur Reform des Sicherheitssektors. Tatsächlich wurde ein beträchtlicher Prozentsatz der über 30 Milliarden Dollar an internationalen Hilfsgeldern, die der PA seit ihrer Gründung zur Verfügung gestellt wurden, in den Sicherheitssektor investiert.

 

Der palästinensische Sicherheitssektor beschäftigt heute rund die Hälfte aller Beamten der PA, insgesamt über 80.000, und beansprucht fast ein Drittel des Haushalts, etwa eine Milliarde Dollar. Heute sind in den Palästinensischen Autonomiegebieten mehr Sicherheitskräfte als je zuvor mit Waffen ausgerüstet. In der DDR kamen auf einen Informanten 66 Bürger. Das Verhältnis Sicherheitsbeamte auf Bürger in Palästina liegt dagegen bei eins zu 48 – eine der höchsten Überwachungsraten der Welt, wie die palästinensische Politikwissenschaftlerin Dana El Kurd in einer Ende 2019 veröffentlichten Untersuchung des Autoritarismus in Palästina darlegt. Sie argumentiert, dass der international unterstützte Aufbau des Repressionsapparates der PA in Verbindung mit der Kooptation unabhängiger demokratischer Initiativen begonnen hat, »die demokratischen Grundlagen der palästinensischen Gesellschaft auszuhöhlen«.

 

Das EU-Koordinierungsbüro für die Unterstützung der palästinensischen Polizei (EUPOL COPPS) definiert als ihr Ziel die »Verbesserung der Sicherheit und des Schutzes des palästinensischen Volkes«. Seit Juli 2019 verfügt die Mission über einen operativen Haushalt von rund 12,5 Millionen Euro. EUPOL COPPS konzentriert sich auf die Professionalisierung und bis zu einem gewissen Grad auf die Legitimierung der palästinensischen Zivilpolizei (PCP), deren Aufgabe die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in dem von der PA direkt verwalteten Teil des Westjordanlandes ist. Diese Bemühungen zur Professionalisierung werden in erster Linie durch die Ausbildung des Personals vorangetrieben, unter anderem durch die Eröffnung des mit 15 Millionen Dollar dotierten »Palestine College of Police Sciences« in Jericho.

 

Menschenrechtsorganisationen mahnen, dass die PA Weiterbildungen im Bereich Cyberkriminalität nutzt, um effektiver gegen kritische Medien zu Felde zu ziehen.

 

Die PCP untersteht dem Innenministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde, tatsächlich fällt das Ressort derzeit in das Portfolio von Premierminister Mohammed Shtayyeh. Trotz zahlreicher öffentlicher Drohungen, die Sicherheitskoordination zwischen der PCP und Israel etwa aufgrund der Siedlungspolitik einzustellen, wurde sie stets fortgesetzt und sogar vertieft. Berichte, wonach palästinensische Polizisten auf Ersuchen der Israelis zur Bewachung israelischer Siedlungen herangezogen wurden, dementiert die PCP. Das Ausmaß der israelischen Kontrolle über EUPOL COPPS ist jedoch unstrittig. Der Schwede Henrik Malmquist, der die Mission von 2010 bis 2012 leitete, hat öffentlich bestätigt, dass jegliches Equipment, das im Rahmen der Kooperation eingeführt wird, vom »Koordinator für Regierungsaktivitäten in den Territorien« genehmigt werden muss, einer Behörde, die dem israelischen Verteidigungsministerium untersteht.

 

EUPOL COPPS hat sich auf die Ausbildung einer Bereitschaftspolizeieinheit (SPF) innerhalb der PCP konzentriert. Im März 2020 führten Polizeiberater aus mehreren EU-Mitgliedstaaten in Nablus einen Workshop für SPF-Beamte durch, um »auf Massenveranstaltungen wie Unruhen, Demonstrationen und Sportveranstaltungen« zu reagieren. Daneben organisiert EUPOL COPPS zahlreiche Reisen in EU-Länder zu Lehrgängen, etwa nach Spanien und zuletzt nach Portugal. Mitglieder des SPF haben auch eine Ausbildung am »King Abdullah II Special Operations Training Centre« (KASOTC) in Amman erhalten. So wie andere Sicherheitskräfte der PA, die von EUPOL COPPS ausgebildet werden, bringen die SPF die neu erlernten Taktiken zur Anwendung – etwa um Proteste aufzulösen, die sich gegen die PA richten.

 

Über die polizeiliche Ausbildung hinaus arbeitet EUPOL COPPS mit dem Justizministerium der PA zusammen, um Rechtsvorschriften für den Sicherheitssektor auszuarbeiten. Eine Gesetzgebung, die aufgrund der derzeitigen fehlenden Aufsichtsfunktion des Konsultativrats nicht überprüft werden kann. Die Mission bildet auch Richter und Anwälte in verschiedenen Aspekten der Rechtsverwaltung aus, darunter auch im Bereich der Internetkriminalität. Im Jahr 2013 reisten drei palästinensische Juristen zur Europäischen Rechtsakademie (ERA) nach Trier, wo sie an einer Grundausbildung zu »rechtlichen und technischen Aspekten der Cyberkriminalität« teilnahmen. Palästinensische Richter nahmen im Februar 2020 an einem von EUPOL COPPS veranstalteten Workshop über Kryptowährungen und Cyberkriminalität teil – trotz der Vorbehalte internationaler Menschenrechtsorganisationen, die anmahnen, dass die PA weniger gegen Kriminelle, als gegen kritische Medien im Netz zu Felde ziehe.

 

EUPOL COPPS hilft, Gefängniskapazitäten für eine Regierung aufzubauen, die für eine Vielzahl von Misshandlungen in ihren Haftanstalten verantwortlich ist.

 

EUPOL COPPS ist auch in das Strafvollzugssystem der PA eingebunden. In einem Bericht der Mission aus dem Jahr 2008 heißt es, dass »Palästina nicht über Gefängnisse westlicher Bauart verfügt.« Die Palästinensische Autonomiebehörde schlug auf der Berliner Konferenz 2008 vor, sieben neue Gefängnisse in Jericho, Dschenin, Hebron, Nablus und drei weitere in Gaza für fast 28 Millionen Dollar sowie weitere zehn Haftanstalten zu bauen. Der Bericht von EUPOL COPPS argumentiert, dass solche Gefängnisse notwendig seien, »um Israel und der internationalen Gemeinschaft zu zeigen, dass man Sicherheit ernst nehme«.

 

Im September 2011 gab EUPOL COPPS bekannt, dass die PCP im Rahmen eines von den Niederlanden finanzierten 6-Millionen-Dollar-Projekts in Jericho »ein modernes Strafvollzugs- und Rehabilitationszentrum« eröffnet, in dem über 150 Häftlinge untergebracht werden können. Das Gefängnispersonal wird sowohl in der zentralen Akademie in Jericho als auch in Jordanien und Ägypten ausgebildet – beide Länder sind keine Vorbilder in Bezug auf die humane Behandlung von Gefangenen.

 

EUPOL COPPS hilft, Gefängniskapazitäten für eine Regierung aufzubauen, die für eine Vielzahl von Misshandlungen in ihren Haftanstalten, einschließlich Folter, verantwortlich ist. Im Oktober 2018 konstatierte Human Rights Watch in einem Bericht, dass sowohl die PA im Westjordanland als auch die Hamas in Gaza, Oppositionelle, Journalisten und Kritiker »systematisch« verhaften lasse und gegen Proteste vorgehe. Die in Ramallah ansässige Menschenrechtsorganisation Al-Haq dokumentierte 2019 fast 200 Fälle willkürlicher Inhaftierung. Federführend dabei war der »Sicherheitsdienst der Palästinensischen Autonomiebehörde« (PPS).

 

»Alle Sicherheitsstrukturen sollten der Kontrolle der gewählten politischen Struktur unterworfen werden«, fordert Mustafa Barghuthi von der »Palästinensischen Nationalen Initiative« (Al-Mubadara) im Gespräch mit zenith, und gibt dabei zu bedenken, dass »weder die PPS noch ihre Gefangenenlager direkte Unterstützung von EUPOL COPPS im Besonderen oder der EU im Allgemeinen erhalten«, so der Politiker, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2005 auf dem zweiten Platz gelandet war. »Doch durch die Unterstützung der PCP legitimiert die EU indirekt die Politik und das Handeln von Abbas und der PPS«, so Barghuthi.

 

Die besten Chancen auf die Nachfolge von Abbas haben Figuren aus dem Sicherheitsestablishment.

 

Darüber hinaus zeitigt die Unterstützung im Sicherheitssektor politische Konsequenzen: Denn die besten Chancen auf die Nachfolge haben Figuren aus dem Sicherheitsestablishment. Sie konnten kein institutionelles Gewaltmonopol etablieren. Stattdessen bauten sie personalisierte Sicherheitsnetzwerke auf – »Oligopole der Gewalt«, wie sie Tahani Mustafa von der London School of Economics (LSE) nennt. Zu deren prominentesten Vertretern zählen der langjährige PPS-Chef (und Fatah-Führer in Gaza) Muhammed Dahlan, sein Nachfolger Jibril Rajoub oder der Chef des PA-Geheimdienstes Majid Faraj.

 

Doch auch die vermeintlichen Technokraten haben die Logik der Sicherheitskooperation verinnerlicht: Im November 2019 eröffnete der neue Premierminister der PA, der Ökonom Mohammed Shtayyeh, höchstpersönlich das elf Millionen Euro teure Sicherheitszentrum in Dschenin, eines von vielen, das dank der EU-Investitionen wieder aufgebaut wurde. Unabhängig davon, ob Abbas im Amt verbleibt, Wahlen anberaumt werden oder nicht, werden die Befürworter der Sicherheitskooperation, die in erster Linie der Sicherung der Fatah-Dominanz dient, auf kurz oder lang an der Spitze der PA stehen.

 

Am Tag, an dem Abbas vor der UN-Generalversammlung stand, gingen Tausende Frauen an einem Aktionstag in ganz Palästina und in den Diasporagemeinden, darunter auch Berlin, auf die Straße. Sie fordern den politischen Prozess von jenem erstarrenden Patriarchat, das die PA definiert, zurück. Diese neue feministische Bewegung, deren Name auf die feminine Pluralform des arabischen Partizips »tal'at« oder »aufsteigend« anspielt, entstand als direkte Reaktion auf die Ermordung der 21-jährigen Israa Gharib, einer palästinensischen Maskenbildnerin aus der Stadt Beit Sahur, durch Familienmitglieder im August letzten Jahres. Tal'at definiert seine Position unter dem Slogan »Es gibt keine freie Heimat ohne freie Frauen«. Die Bewegung steht auch dem Oslo-Prozess kritisch gegenüber, der 1994 zur Gründung der PA führte, auf die die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) – und insbesondere die Fatah – bis heute einen Besitzanspruch erhebt.

 

Die ständige Ankündigung von Wahlen ist nicht gleichbedeutend mit einem aufrichtigen Bekenntnis zur Demokratie.

 

Auch EUPOL COPPS hat erkannt, wie wichtig es ist, dieses Problem anzugehen, und verkündet, dass »die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt einer der Bereiche ist, in denen die Mission ihre palästinensischen Partner berät«. Die Empfehlungen gipfelten 2017 in der Bildung einer Einheit zur Förderung der Gleichstellung innerhalb der PCP unter der Leitung von Majorin Wafaa Alhussein. Der derzeitige Missionsleiter Kauko Aaltomaa hat jedoch kürzlich eingeräumt, dass nur fünf Prozent der im palästinensischen Sicherheitssektor Angestellten Frauen sind. Dabei geht es auch um den Zusammenhang von Sicherheitspolitik und häuslicher Gewalt. Ein UN-Bericht vom Dezember 2019 gibt an, dass 29 Prozent der palästinensischen Frauen in den letzten zwölf Monaten in irgendeiner Form von ihren Partnern misshandelt wurden.

 

Im Gegensatz zu Tal'at entkoppelt EUPOL COPPS ihren technokratischen Ansatz von der Realität vor Ort: der anhaltenden israelischen Besatzung. In einem im Februar erschienenen Artikel geißeln zwei Mitglieder von Tal'at, Hala Marshood und Riya Alsanah, sowohl die PA als auch die israelischen Polizeikräfte als »Teil einer kolonialen Struktur, die sich mit den Palästinensern als Subjekten beschäftigt, die überwacht und kontrolliert werden sollen«. In der Tat kann man die PCP genau dabei beobachten, wie sie Demonstrationen von Tal'at in Ramallah im Hintergrund per Video überwachen. EUPOL COPPS scheint versucht, Frauenrechte zu entpolitisieren, lässt dabei aber außer Acht, dass die israelische Besatzung einer der größten Faktoren ist, der zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Femiziden in den Palästinensischen Gebieten beiträgt.

 

Obwohl sowohl Abbas als auch seine Gesprächspartner auf europäischer Seite regelmäßig Wahlen ins Spiel bringen, wäre es falsch, solche Äußerungen von Seiten der PA oder der EU-Beamten mit einem aufrichtigen Bekenntnis zu Demokratie in den Palästinensischen Gebieten gleichzusetzen. So gibt es weder eine demokratische Grundlage für die andauernde israelische Besatzung, noch stellen Wahlen die Gesamtheit der demokratischen Mittel dar, auf die die Menschen in den palästinensischen Gebieten tagtäglich zurückgreifen. Zudem schränkt die von Abbas geführte und international unterstützte Palästinensische Autonomiebehörde immer wieder die Meinungsfreiheit ein.

 

»Die Bemühungen der EU sind verhältnismäßig teuer, dafür, dass sie keinen Sinn ergeben«, resümiert Nathan Brown bezüglich der Reform des Sicherheitssektors und anderer Unterstützung der PA durch die EU. Durch die Förderung der Professionalisierung der Polizei ermutigt die EU Israel jedoch weiterhin, Sicherheitserfordernisse an die Streitkräfte der PA auszulagern. Dana El Kurd kommt in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass der international unterstützte Kapazitätsaufbau des Repressionsapparates der PA in Verbindung mit der Kooptation unabhängiger demokratischer Initiativen begonnen hat, »die demokratischen Grundlagen der palästinensischen Gesellschaft auszuhöhlen«.

Von: 
Calum Humphreys

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