Seit den Angriffen der Huthis im Roten Meer sorgen sich Länder wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate nicht nur um ihre Energieexporte – die Kriege in der Region bedrohen vor allem eine Zukunftsindustrie am Golf.
Die Angriffe der Huthi-Miliz auf Frachtschiffe unter westlichen Flaggen lenken den Blick auf das Rote Meer und seine zentrale ökonomische und geopolitische Bedeutung für die Anrainerstaaten. Ungefähr 15 Prozent des Welthandels führen durch die Meerenge Bab Al-Mandab im Süden und den Suezkanal im Norden, sie verbinden Asien, Afrika und Europa. Am Golf von Oman liegt die Straße von Hormus – hier wurden im letzten Jahr durchschnittlich mehr als 20 Millionen Barrel Rohöl und verarbeitete Ölprodukte täglich transportiert. Durchschnittlich 300 Millionen Kubikmeter Flüssiggas aus Katar werden über die Straße von Hormus in europäische Länder wie Italien, Frankreich oder Großbritannien verschifft. Die Gaslieferungen aus Katar nach Deutschland sollen zur Energiesicherheit der Bundesrepublik beitragen. Andersherum sind die Golfstaaten von Lebensmittelimporten abhängig, die häufig über die Seehäfen abgewickelt werden.
Somit ist das Rote Meer eine zentrale Lebensader der Öl- und Gasexporteure auf der Arabischen Halbinsel, gleiches gilt für den Irak und Iran. Zugleich gefährden der Krieg im Jemen und Piraterie am Horn von Afrika die Sicherheit im Golf von Aden. Um die Verwundbarkeit der beiden Meerengen zu umgehen, eröffnete Abu Dhabi 2012 eine 360 Kilometer lange Pipeline zwischen Habschan und Fudschaira am Golf von Oman. Saudi-Arabien nahm bereits 1982 eine Ölleitung von der ölreichen Ostprovinz zum Roten Meer in Betrieb und plant eine knapp 2.000 Kilometer lange Schienenverbindung zwischen Ost- und Westküste. Bauzeit und Fertigstellung der sogenannten Landbrücke sind noch ungewiss.
Saudi-Arabien: Luxustourismus und Handelszentrum gehen Hand in Hand
Für Saudi-Arabien hat der Zugang zum Roten Meer in zweierlei Hinsicht strategische Bedeutung: Im Rahmen der »Vision 2030« wird der Ausbau der Tourismusbranche vorangetrieben und das Potential von Industrie- und Logistikhubs beschworen – die strategische Lage zwischen drei Kontinenten soll ausgebaut werden. Das Megaprojekt Neom and der Nordwestküste des Roten Meers soll als Leuchtturmprojekt dafür dienen. Schenkt man den Hochglanzprospekten Glauben, können Touristen schon bald aus den Bergen Tabuks in hochmodernen Ski-Ressorts auf die schwimmende Industriestadt Oxagon am Ufer blicken. Ganz in der Nähe des anvisierten Forschungs- und Handelszentrums entsteht das derzeit größte Projekt für Grünen Wasserstoff – erste Lieferungen sind bereits für 2026 geplant.
Zum Megaprojekt Neom gehört auch »The Line«. Zwischen zwei 500 Meter hohen Spiegelwänden soll sich eine nur 200 Meter breite, klimaneutrale Stadt über knapp 170 Kilometer ins Landesinnere erstrecken. Unmittelbar an der Stelle, wo das futuristische Bauwerk eines Tages aus der Wüste ins Rote Meer ragen soll, liegen die unbewohnten Inseln Tiran und Sanafir. Bereits 2016 wurden sie von Ägypten an Saudi-Arabien übertragen. Auf der einen Seite bezweckt Riad, insbesondere Tauchgebiete zu fördern. Einige Meilen südlich von Neom hat das Großprojekt »Red Sea Global« bereits seine Pforten für Touristen geöffnet. In den nagelneuen Hotels nordwestlich von Medina kostet eine Übernachtung mehrere tausend Euro. Von offizieller Seite heißt es, man begrenze die Besucherzahlen auf eine Million jährlich, um die Korallenriffe und das marine Ökosystem zu schonen.
Andererseits sichert sich Riad mit den beiden Inseln die Kontrolle über den Seefrachtverkehr am Eingang des Golfs von Aqaba. An dessen Ende liegen die Häfen Aqaba (Jordanien) und Eilat (Israel). Die ersten inoffiziellen diplomatischen Annäherungen mit Israel liegen seit dem Krieg in Gaza auf Eis. Dennoch setzt Saudi-Arabien zunehmend auf regionale Stabilität, um sich als zentraler geopolitscher Partner zu etablieren und die notwendigen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Diversifizierung zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund initiierte das Königshaus die Rotes-Meer-Allianz, um die Kooperationen der Anrainerstaaten zu fördern. Sieben weitere Länder sind dem losen Verbund beigetreten: Jordanien, Dschibuti, Sudan, Somalia, Eritrea, Ägypten und Jemen. Ausgeschlossen wurden regionale Rivalen, etwa die VAE und Katar oder umstrittene Kandidaten wie Somaliland. Auch wenn das Konstrukt auf tönernen Füßen steht, unterstreicht es den Kooperationswillen und das Sicherheitskalkül der saudischen Regierung. Die Eskalation durch die Huthi-Angriffe auf Seefrachter im Roten Meer kommt den Saudis dabei besonders ungelegen. Nicht zuletzt, weil sich die saudische Regierung gerne aus dem Krieg im Jemen zurückziehen möchte. Der Einsatz an der südlichsten Landesgrenze strapaziert die militärische und finanzielle Durchschlagskraft des Königreichs.
VAE: Schritt für Schritt zum maritimen Imperium
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) wiederum liegen am Persischen Golf und haben keinen direkten Zugang zum Roten Meer, allerdings mindert dies nicht die strategische Bedeutung. Schließlich haben die Emirate in den letzten fünfzig Jahren massiv in Häfen und maritime Infrastruktur investiert und globale Warenumschlagplätze für den Handel zwischen Ost und West etabliert: Heute verteilen sich zwölf Handelsknoten entlang der Küste, mit Jebel Ali als wichtigstem Hafen in der Region und neuntgrößtem weltweit. Mit einer Kapazität von 22,4 Millionen Zwanzig-Fuß-Standardcontainer (TEU) gilt er als zentraler Umschlagplatz für den Warenhandel zwischen Asien und Europa.
Die Ambitionen Abu Dhabis reichen jedoch über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre erweiterten die VAE ihre Kontrolle auf benachbarte Häfen im Jemen und Ostafrika. Federführend dabei war das Konsortium Dubai Ports World (DP World), das Infrastruktur und Nutzungsrechte in umliegenden Häfen aufkauft und anhäuft. Nicht nur ökonomische Interessen stehen dahinter, sondern auch das Bestreben, sicherheitspolitische Ziele weiträumig zu verfolgen. Militärische Infrastruktur und kommerzielle Interessen gehen dabei Hand in Hand.
Auf dem Weg zum maritimen Imperium erschlossen die VAE über DP World über 78 Terminals in vierzig Ländern auf sechs Kontinenten. Mit einer Mischung aus soft power und hard power versuchen die Emirate auf diese Weise, das geopolitische Risiko ihrer geografischen Lage zu minimieren. Ähnlich wie Saudi-Arabien strebt Abu Dhabi eine diplomatische Führungsrolle in der Region an und konkurriert um die Vormachtstellung mit dem benachbarten »großen Bruder«. Vor der eigenen Haustür teilt man das Sicherheitsbestreben der Saudis, anders als in den Bürgerkriegen im Jemen und im Sudan. Dort überwiegen die kommerziellen Interessen der Emiratis über die langfristige Befriedung der beiden Konfliktherde.
Oman: Traditioneller Vermittler im Wandel
Nachbar Oman gilt ebenfalls als beliebtes Urlaubsziel, wenn auch ohne groß angelegte Influencer-Marketingstrategie und Luxushotelkomplexe. Stattdessen lockt die lange Küste Touristen mit einsamen Stränden, beeindruckenden Korallenriffen und verwinkelten Suqs. Aufgrund der vielfältigen und spektakulären Landschaften erfreut sich insbesondere der Öko-Tourismus immer größerer Beliebtheit. Laut des Weltrats für Reisen und Tourismus (WTTC) könnte der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr auf knapp acht Prozent steigen. Zudem wird ein Wachstum von über drei Prozent wird prognostiziert.
Zurzeit exportiert Oman in erster Linie Gas und Öl, doch das Sultanat hat sich aufgrund schwindender Ressourcen einer ehrgeizigen Energiestrategie verschrieben: Im Jahr 2030 sollen bis zu 1,25 Millionen Tonnen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien produziert werden, die anvisierten Mengen steigen bis auf acht Millionen Tonnen im Jahr 2050 an. Ein Teil davon soll nach Europa und Asien exportiert werden – am schnellsten und kostengünstigsten geht das über den Seeweg.
Somit liegen die geplanten Großprojekte für die Wasserstoffproduktion ausschließlich in Küstennähe, etwa in den Häfen und Freihandelszonen Duqm, Sohar oder Salalah. Zu Beginn des Jahres stoppten viele Frachter im Hafen von Salalah, um die risikoreiche Route zu vermeiden. Ein Großteil der Lieferungen blieb jedoch aufgrund der Umleitung zum Kap der Guten Hoffnung ganz aus. Das verdeutlicht die zweischneidige Position Omans: weit genug weg vom Roten Meer, aber nah genug, um die Auswirkungen der Huthi-Angriffe zu spüren.
Generell befinden sich Omans Häfen an einer strategisch günstigen Lage, zwischen den Meerengen Bab Al-Mandab und der Straße von Hormus. Sie liegen damit nicht nur am Eingang des Roten Meeres, sondern auch auf halber Strecke zwischen dem Indischen Ozean und der ostafrikanischen Küste. Auch in diplomatischer Hinsicht nimmt der Oman eine Mittlerposition ein und wird als neutraler, dialogorientierter Partner geschätzt. So beteiligte sich das Sultanat zum Beispiel 2017 bis 2021 nicht an der Blockade von Saudi-Arabien, VAE, Ägypten und Bahrain gegen Katar, sondern bemühte sich erfolgreich um deren Aufhebung.
Letztlich haben die Golfstaaten ein hohes Interesse an einer nachhaltig sicheren Passage durchs Rote Meer und benachbarte Meerengen. Bewaffnete Konflikte vor der eigenen Haustür passen nicht zum geteilten Konsens, dass die ambitionierten wirtschaftlichen Ziele Handel und Frieden bedürfen. Auch wenn die kommerzielle Bedeutung der Häfen nicht zu unterschätzen ist, wächst die Bedeutung des Tourismus an den Küsten von Jahr zu Jahr.