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Diplomatie und der Krieg im Sudan

Verhandeln ja – aber nicht so

Kommentar
Diplomatie und der Krieg im Sudan
Screenshot Al-Arabiya

Die USA und Saudi-Arabien drängen auf einen Waffenstillstand im Sudan. Ein sinnvoller Vorstoß, der aber zum Scheitern verurteilt ist, wenn die internationale Diplomatie nicht aus den Fehlern der vergangenen Jahre lernt.

Der Krieg im Sudan lässt sich nicht schnell beenden – und die oberflächliche und überstürzte Unterstützung bestimmter ziviler und politischer Kräfte im Land, die sich den Bemühungen der USA anschließen wollen, ist auch nicht hilfreich. Das Abkommen von Dschidda bedeutet die Fortführung des plumpen diplomatischen Ansatzes, den die US-Politik gegenüber dem Sudan seit dem Staatsstreich vom Oktober 2021 kennzeichnet.

 

Nach wiederholten Misserfolgen muss diese kopflose Strategie auf den Prüfstand gestellt werden, damit sie neu bewertet und verändert werden kann. Die Lage ist so ernst und gefährlich, dass ein weiteres Scheitern der Wiederherstellung von Frieden und Stabilität nicht zugelassen werden darf. Nur ein aufrichtiger demokratischer Übergang kann sicherstellen, dass dieses Ziel erreicht wird.

 

Die amerikanisch-saudische Initiative, die am 6. Mai in Dschidda zu ersten Gesprächen und am 11. Mai zu einer Übereinkunft zu einem Waffenstillstand führte, mag zwar auf guten Absichten beruhen. Doch gerade die werden immer wieder ad absurdum geführt. In den vergangenen Wochen seit Ausbruch der Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee (SAF) und den »Rapid Support Forces« (RSF) haben die USA und Saudi-Arabien sechs Mal eine humanitäre Waffenpause verkündet – an keine davon hielten sich die Kriegsparteien.

 

Der Kuschelkurs der US-Vertreter gegenüber Sudans Generälen stieß sogar in den eigenen Reihen auf Widerstand

 

Das sollte Beweis genug sein, dass solche Bemühungen in der Realität nur wenig ausrichten. Weder General Abdul-Fattah Al-Burhan, noch Hamad »Hemedti« Dagalo sind ernsthaft an einer Waffenpause interessiert. SAF und RSF dient die Teilnahme an Gesprächen wie jenen in Dschidda eher als Plattform, um ihre Übereinstimmung mit den beiden großen ausländischen Akteuren zu demonstrieren, um deren Rückendeckung sowohl die SAF als auch die RSF konkurrieren.

 

Die Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien halten dennoch an diesem ineffektiven Ansatz fest und scheinen zudem nicht bereit zu sein, sich mit anderen regionalen und internationalen Akteuren zu koordinieren. Offensichtlich geht es Washington und Riad mehr darum, die volle Kontrolle über den Prozess zu behalten, als einen tatsächlichen Durchbruch zu erreichen.

 

Emblematisch für diese Haltung steht die stellvertretende US-Außenministerin Mary Catherine Phee, die die Gespräche in Dschidda leitet. Ihr Kuschelkurs gegenüber Sudans Generälen stieß sogar in den eigenen Reihen auf Widerstand. Nachdem sich die nunmehr verfeindeten Parteien im Oktober 2021 zusammengetan hatten, um die zivile Regierung von Abdallah Hamdok zu stürzen, trat Jeffrey Feltman, der US-Sondergesandte für das Horn von Afrika, im Januar 2022 von seinem Amt zurück. Sein Nachfolger David Satterfield warf im April 2022 das Handtuch.

 

Als den Amerikanern diese Taktik auf die Füße fiel, gingen sie dazu über, die Lage schönzureden – und Zivilisten überhaupt nicht mehr miteinzubeziehen

 

Denn Burhan und Hemedti fühlten sich in ihrem Handeln bestätigt und wurden so darin bestärkt, ihre Stellung weiter zu festigen – Konsequenzen oder gar Rechenschaft hatten sie ja nicht zu befürchten. Damit bereitete die diplomatische Reaktion der Amerikaner dem Gewaltausbruch der letzten Wochen das Feld. Trotz dieser katastrophalen Bilanz leitet nun ausgerechnet Mary Catherine Phee wieder die Gespräche.

 

Neben diesem Ballast erschwerten weitere Faktoren die Verhandlungen in Dschidda. Das Fehlen einer zivilen Stimme am Tisch führte zu einem weiteren Deal hinter verschlossenen Türen zwischen den beiden Parteien, die den Krieg vom Zaun gebrochen haben. Im Ergebnis konnte folglich auch nur ein Machtteilungsabkommen oder eine sehr kurzfristige Übereinkunft zu erwarten sein.

 

Die US-amerikanischen Emissäre bestimmten insofern die Zielrichtung des politischen Scheiterns, indem sie bestimmte zivile Akteure und Einzelpersonen bevorzugten und ihnen das Monopol der Vertretung der Protestbewegung im Sudan überließen. Als ihnen diese Taktik auf die Füße fiel, gingen sie dazu über, die Lage schönzureden – und Zivilisten überhaupt nicht mehr miteinzubeziehen.

 

Die Definition dessen, wer als qualifizierte ziviler Akteure in den demokratischen Übergang miteinbezogen wird, sollte nicht länger auf die immer gleichen pro-westlichen institutionalisierten politischen Kräfte reduziert werden. Sie sollte eher so weit wie möglich ausgedehnt werden, um formell konstituierte Organisationen der Zivilgesellschaft, informelle Gruppen, gewählte Gewerkschaftsvertreter, Widerstandskomitees, traditionelle Notabeln – die es im Übrigen als einzige Akteure vermochten, Kampfhandlungen in Nord- und West-Darfur einzuhegen – sowie relevante Persönlichkeiten und politische Führer und Parteien miteinzubeziehen.

 

So gewährt man den Militärs das Privileg, ausschließlich über deren Kriegsziele zu verhandeln

 

Die von den USA und Saudi-Arabien vermittelten Gespräche im derzeitigen Format legitimieren die Kriegsparteien weiterhin als politische Akteure – ja sogar als die einzigen legitimen politischen Vertreter des Landes. So gewährt man den Militärs das Privileg, ausschließlich über deren Kriegsziele zu verhandeln. Ein weiteres Ergebnis: Die Garanten der Verhandlungen von Dschidda legitimieren nicht nur im Nachhinein den Staatsstreich von 2021, sondern geben Burhan und Hemedti weiter grünes Licht, ihre Machstellung im Land mit Waffengewalt zu festigen.

 

Der demokratische Übergang im Sudan ist nicht zuletzt gescheitert, weil Verantwortung und Rechenschaft nicht die notwendige Bedeutung im politischen Prozess eingeräumt wurden. Die Kosten des Scheiterns werden mit jedem neuen Misserfolg steigen und haben bereits katastrophale Ausmaße erreicht. Initiativen zur Beilegung des Konflikts dürfen künftig nicht mehr auf den bisherigen Ansätzen und Annahmen fußen.

 

Dieselbe Strategie, einschließlich der Beteiligung der immergleichen saudi-arabischen und US-amerikanischen Emissäre, die den politischen Prozess mit in den Sand gesetzt haben, wird unverändert fortgeführt. Das lässt den Eindruck entstehen, dass Washington und Riad nicht wirklich glauben, dass die Verhandlungen tatsächlich etwas verändern – selbst, wenn nach ein paar Tagen formal ein Abkommen zustande kommt.

 

Primär geht es darum, nach außen die Verhandlungsbereitschaft der Kriegsparteien unter Beweis zu stellen – unabhängig davon, wer zunächst siegreich aus der militärischen Konfrontation hervorgeht. Eine weitere diplomatische Pflichtaufgabe, die für das eigentliche Ziel des demokratischen Übergangs keinen Beitrag leistet.

 

Die fehlende Substanz in den Vereinbarungen von Dschidda sollte jeden misstrauisch machen

 

Ohnehin glauben viele Sudanesen, dass die Hinterzimmergespräche als Vorwand dienen, um die Bereitstellung humanitärer Hilfen weiter zu verzögern. Wenn wie jetzt im Abkommen von Dschidda doch eine humanitäre Waffenpause angekündigt wird, sollen solche Schritte lediglich das Gefühl der Dringlichkeit mindern, indem die Illusion erweckt wird, dass jemand etwas unternimmt, um die Situation zu verbessern.

 

Die fehlende Substanz in den Vereinbarungen von Dschidda sollte jeden misstrauisch machen. Insbesondere weil die Vereinigten Staaten schon in der Vergangenheit Druck in Bezug auf die Reform des Sicherheitssektors ausgeübt haben, um bestimmte Interessen durchzusetzen, die nicht mit den Zielen eines demokratischen Übergangs im Sudan vereinbar sind. Dazu gehört etwa die Stärkung des Geheimdienstes, der wieder nach Gutdünken Menschen verhaften darf – ein Prärogativ, das ihm nach der Revolution 2019 eigentlich entzogen worden war.

 

Ein Hinweis darauf, dass die US-amerikanische Präsenz in dieser Initiative darauf abzielt, den Weg für ein Militärregime im Sudan zu ebnen, das in erster Linie Washingtons Sicherheitsinteressen in der Region dient. Der Preis dafür: ein Ende der Revolution und des demokratischen Übergangs im Sudan.

 

Die Unterstützung der Demokratie im Sudan darf kein bloßes Lippenbekenntnis sein. Die internationale Gemeinschaft muss Positionen einnehmen, die den Bestrebungen des sudanesischen Volkes Rechnung tragen, die es seit dem Sturz des Baschir-Regimes 2019 deutlich gemacht hat. Eine begrenzte Perspektive, die nur kurzfristigen Interessen dient, wird nur zu mehr Instabilität im Sudan führen und sowohl regional als auch global negative Folgen zeitigen.


Amgad Fareid Eltayeb ist ein sudanesischer Menschen- und Bürgerrechtsaktivist. 2020/2021 arbeitete er im Stab von Ex-Premier Abdallah Hamdok. Dieser Text erschien zuerst auf Englisch beim Thintank »Fikra for Studies and Development«.

Von: 
Amgad Fareid Eltayeb

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