Die EU droht Libanon mit Sanktionen – und lässt ein Schlupfloch. Kommen die Verantwortlichen für die Krise wieder davon?
Was ist geschehen?
Am 30. Juli 2021 verabschiedete der Europäische Rat mit der »Verordnung über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Libanon (EU 2021/1275)« einen Rahmen für die Verhängung von Sanktionen gegen politische Entscheidungsträger im Libanon, die für die Untergrabung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verantwortlich gemacht werden.
Zu den zu sanktionierenden Handlungen gehören unter anderem Behinderung des Prozesses der Regierungsbildung und des demokratischen politischen Prozesses, Behinderung von Reformen im Wirtschafts- und Bankensektor, Korruption und illegale Kapitalausfuhr. Der Beschluss kam erst nach langwierigen innereuropäischen Beratungen zustande, da einige EU-Mitglieder, darunter Ungarn, Sanktionen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen.
Mithilfe der Sanktionen können Vermögenswerte eingefroren und Einreiseverbote in die EU verhängt werden. Weiterhin dürfen den gelisteten Personen und Organisationen keine finanziellen Mittel aus der EU zur Verfügung gestellt werden. Bis Redaktionsschluss ist nicht klar, welche Namen auf der Liste stehen.
Worum geht es eigentlich?
Das Libanesische Pfund hat über 90 Prozent seines Wertes verloren, mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, dazu kommen Versorgungsengpässe bei Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff sowie Stromausfälle, die Trinkwasserversorgung ist in Gefahr. Das Übergangskabinett von Hassan Diab trat nach der Explosion im Beiruter Hafen zurück, seither hat das Land de facto keine handlungsfähige Regierung – damit fehlt die Voraussetzung zur Durchführung der geforderten Reformen, an die wiederum international zugesicherte Finanzhilfen gekoppelt sind.
Die politischen Eliten im Libanon behindern die Regierungsbildung jedoch aus Eigeninteresse. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron brachte als erster Sanktionen gegen die Eliten ins Spiel, um eine schnelle Einigung zur Regierungsbildung, eine Bestandsaufnahme der Staatsfinanzen und ein Vorgehen gegen die Korruption zu erzwingen. Das Einfrieren von Finanzmitteln und die Reisebeschränkungen gelten als probates Mittel, Druck auszuüben, ohne die Lage der Bürger weiter zu verschärfen.
Wie geht es nun weiter?
Dass der EU-Beschluss überhaupt zustande kam, hat viele Politiker im Libanon überrascht. Sie hatten darauf gesetzt, dass sich die Europäer nicht einigen würden. Die Nervosität möglicher Adressaten der Sanktionen scheint sich jedoch in Grenzen zu halten – zumindest nach außen hin. Solange die Listung nicht erfolgt ist, bleibt die Entscheidung des Europäischen Rates tatsächlich nur eine Drohgebärde.
Ohnehin würden die Sanktionen nur die nach Europa ausgerichteten libanesischen Eliten treffen, aber etwa kaum die Hizbullah und deren Anhänger. Durch den starken Impetus auf die Regierungsbildung hat die EU den politischen Akteuren im Libanon zudem die Möglichkeit gegeben, sich auf diesen Punkt zu konzentrieren – und der Debatte um Sanktionen so zunächst den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Deren Androhung ist daher kein Ersatz für eine europäische Strategie gegenüber dem Libanon, die Machtkonstellationen innerhalb des Landes sowie regionale Rahmenbedingungen und andere im Land involvierte Akteure in den Blick nehmen muss. Sie kann jedoch Bestandteil einer solchen Strategie sein.
Christina Baade ist Länderreferentin bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Michael Bauer leitet das Auslandsbüro Beirut der Konrad-Adenauer-Stiftung.