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Interview mit ehemaligem Mossad-Chef Meir Amit

»Wenn Du nichts hörst, geht es mir gut«

Interview
Ariel Sharon mit Meir Amit
Ariel Sharon mit Meir Amit Israeli National Archive

Aus dem zenith-Archiv: Fünf Jahre lang war Meir Amit († 2009) Chef des Mossad. Mit zenith sprach er 2006 über Spionage, das Rekrutieren von Agenten und mehr Kundenfreundlichkeit im Dienst.

zenith: Herr Amit, von 1963 bis 1968 waren Sie Israels dienstoberster Agent. Damals entstand weltweit ein beinahe mythisches Bild des Mossad. Ist er, wie immer noch behauptet wird, der beste Geheimdienst der Welt?

Meir Amit: Nun, der Mossad gilt nach wie vor als einer der besten. Und das ist kein Zufall. Israel ist klein und hat kein Hinterland wie andere Staaten. Wir können es uns nicht leisten, so wie die Sowjets im Zweiten Weltkrieg erst einmal bis Stalingrad zurückzuweichen, um dann irgendwann zurückzuschlagen. Von Beginn an mussten wir viele unserer Leute hinter die Front schicken, vor allem zu unseren arabischen Nachbarstaaten, um gar nicht erst in die Defensive zu geraten.

 

Kann man die damaligen Herausforderungen für den Mossad überhaupt mit den heutigen vergleichen? Die Welt hat sich verändert.

Ich sehe gar keinen so großen Unterschied zwischen damals und heute. Flexibilität ist noch immer die größte Anforderung an den Dienst. Schnell für neue Probleme neue Lösungen zu finden.

 

Geheimdienste operieren nun einmal im Verborgenen. Dennoch haben Politik und Öffentlichkeit einen gewissen Anspruch, über ihre Arbeit informiert zu werden. Wird heute anders mit Geheimnissen verfahren?

Ich glaube, dass wir Geheimhaltung etwas ernster genommen haben, als es heute der Fall ist. Als ich Mossad-Chef war, wurde meine Identität nicht öffentlich gemacht. Heute weiß jeder, wer den Dienst leitet, und ich halte nichts davon. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Als Kommandeur sollte man seinen Leuten mit gutem Beispiel vorangehen. Als ich als leitender Offizier bei der Armee war, wollte ich immer in der ersten Reihe dabei sein. Natürlich bin ich ein paar Mal verletzt worden. Das ist der Preis. Auch im Geheimdienst sollte man als Chef vorne mit dabei sein und über die Details Bescheid wissen.

 

Sie saßen also weniger in Büros und Konferenzen herum als zum Beispiel der jetzige Direktor Meir Dagan?

Ich habe mich als Mossad-Chef viel in Ländern herumgetrieben, zu denen wir keine offiziellen Beziehungen unterhielten. Muslimische Länder wie Indonesien, Jordanien, Iran. Ich bin auch oft im irakischen Kurdistan gewesen. Wir halfen einander. So wurden der jordanische König und der iranische Schah unsere Freunde. Das wäre wohl nicht möglich gewesen, wenn mein Name und mein Bild in jeder Illustrierten gestanden hätten.

 

Als Sie 1963 zum Mossad kamen, hatten Sie einige Schwierigkeiten mit den alten Kadern. Was haben Sie verändert?

Bevor ich zum Mossad stieß, war ich sozusagen sein Kunde. Ich hatte das Kommando über Sondereinsatztruppen der Armee und brauchte ständig Aufklärung vom Geheimdienst. Mit dem, was wir vom Mossad bekamen, war ich nicht immer sehr zufrieden. Folglich war das erste, was ich als Direktor durchsetzte, eine Umstrukturierung unserer Informationsleistung.

 

Also mehr Kundenfreundlichkeit. Was war ihr größter Erfolge als Mossad-Chef?

1966 ist es uns gelungen, die erste MiG-21 . . .

 

. . . damals ein neues Kampfflugzeug, mit dem die Sowjets ihre arabischen Partner ausrüsteten . . .

. . . nach Israel und damit in den Westen zu schaffen. Und zwar aus dem Irak. Das war ein großer Erfolg. Die Analyse der Maschine hat uns im Sechstagekrieg 1967 sehr geholfen. Wirklich eine schöne Operation. Es gelang uns damals, einen irakischen Piloten zu rekrutieren. Wir wussten noch nicht einmal, ob der Sprit für einen Flug vom Irak nach Israel reichen würde. Deshalb hatten wir ursprünglich nach einer MiG in Syrien oder Ägypten Ausschau gehalten. Dann aber fanden wir heraus, dass wir es auch von Bagdad aus tun konnten. Eine komplizierte Sache, denn der Pilot musste eine Maschine fliegen, die er kaum kannte. Er war ein irakischer Maronit, ein Christ. Ein guter Kontakt, er ist übrigens vor einiger Zeit gestorben. Wirklich ein sehr beeindruckender Mann.

 

»Als Chef sollte man vorn mit dabei sein«

 

Ist es im Laufe der Jahre schwieriger geworden, Leute zu finden, die die Überzeugung haben, Israel brauche Hilfe, und die dabei bereit sind, Risiken einzugehen?

Natürlich ist es oft auch eine Frage des Geldes. Es ist meist eine Kombination von Mitteln erforderlich. In diesem Fall war es so, dass der Pilot mit seiner Situation im Irak sehr unglücklich war. Es gab Kämpfe zwischen der irakischen Armee und den Kurden im Norden, und damit wollte er nichts zu tun haben. Nun, das war ein Fall unter vielen. Natürlich suchen wir immer nach Leuten, die in ihren Ländern Probleme haben und raus wollen. Dann sind sie bereit uns zu helfen.

 

Wie rekrutiert man einen Spion?

Das ist eine sehr persönliche Sache. Die erste Regel: Wenn man einen Mann gefunden hat, muss man etwas über sein Umfeld und seine Familie herausbekommen. Da hat jeder seine eigene Technik.

 

Einzigartig ist wohl, dass der Mossad sich nicht nur um Israels Sicherheit kümmern soll, sondern auch um die jüdischen Gemeinschaften in anderen Staaten.

Dafür gibt und gab es spezielle Abteilungen. Zum Beispiel sollen wir Leute dazu ermutigen, nach Israel auszuwandern.

 

Laufen Sie nicht Gefahr, den Juden im Ausland damit auch zu schaden? Der Mossad hat ja gezielt versucht, unter ihnen Mitarbeiter zu rekrutieren.

Das kam vor, natürlich. Aber ich sage Ihnen: Wir haben niemals einen ausländischen Staatsbürger in seinem eigenen Land aktiviert. Dafür haben wir sie immer erst herausgeholt. So etwas wie die Affäre Pollard hätte uns damals nicht passieren können.

 

Sie spielen auf den amerikanischen Offizier Jonathan J. Pollard an, der 1986 in den USA zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil er für Israel spionierte. Warum sollte man einen Agenten nicht gegen sein eigenes Land einsetzen? Um Loyalitätskonflikte zu vermeiden?

Um ihn nicht noch zusätzlichen Gefahren auszusetzen.

 

Weil Landesverrat in vielen Staaten härter bestraft wird als Spionage?

Ich sage Ihnen: Das war eine strategische Dummheit. Die Einheit, die ihn betreute, hat große Fehler gemacht. Ich hoffe, dass so etwas nie mehr vorkommt.

 

Hört denn der Chef des Mossad auf Ihre Ratschläge?

Wir ehemaligen Direktoren treffen uns alle zwei Monate. Aber wir mischen uns natürlich nicht in die aktuelle Arbeit des Dienstes ein. Sehr selten bittet uns mal ein Nachfolger, ihm bei einem besonders komplizierten Fall zu helfen.

 

Hat der Einfluss der Politik auf den Dienst im Vergleich zu damals zugenommen?

Das hängt sehr davon ab, wer gerade den Mossad leitet. Ich war selbst mal Politiker, aber das war nichts für mich. Natürlich mussten wir als Geheimdienstler der Politik Rechenschaft für unsere Arbeit ablegen – was das operative Geschäft anbelangt. Doch in die politischen Grabenkämpfe zwischen Linken, Rechten und Extremisten haben wir uns damals nicht hineinziehen lassen.

 

Ich gehöre der Arbeiterpartei an. Aber Parteibücher haben mich damals nicht interessiert.

 

Beobachter und Ex-Geheimdienstler sagen, dass der Mossad der israelischen Arbeiterpartei immer etwas näher stand als dem Likud. So etwas muss doch zu Konflikten führen, wenn zum Beispiel die Rechte an der Regierung ist.

Ich gehöre der Arbeiterpartei an. Aber Parteibücher haben mich damals nicht interessiert. Natürlich machte jeder seine Privatpolitik. Mein Vorgänger . . .

 

. . . Isser Harel . . .

. . . musste den Posten räumen, weil Premierminister Ben Gurion ihn nicht mehr leiden konnte. Aber das hatte nichts mit irgendeiner Partei zu tun.

 

Wer waren Ihre Alliierten, auf die Sie sich immer verlassen konnten?

Der Militärgeheimdienst Aman war immer mein natürlicher Verbündeter – ich hatte ihn selbst neun Monate lang geleitet. Meine damalige Nummer Zwei hat nach meinem Wechsel zum Mossad den Militärgeheimdienst übernommen. In meiner Zeit war die Zusammenarbeit gut, weil wir, die beiden Chefs, gute Freunde waren. Der Militärgeheimdienst operiert nicht außerhalb Israels, trotzdem hat er uns sehr viel bei der Arbeit helfen können.

 

Und wie steht es mit der Zusammenarbeit zwischen dem Mossad und dem Inlandsdienst Shin Bet? Eintracht oder Konkurrenz?

Das hängt immer sehr von denjenigen ab, die gerade das Sagen haben. Ich hatte keinen Grund zur Klage.

 

Und welche ausländischen Geheimdienste waren Ihre besten Partner?

Wir haben mit vielen zusammengearbeitet. Mit den Deutschen, anderen europäischen Diensten, Skandinaviern und natürlich den USA. Man war damals recht offen zueinander.

 

»Wir haben Kochrezepte ausgetauscht« 

 

In Deutschland gibt es gerade eine große Debatte über den Bundesnachrichtendienst BND und seine geheime Zusammenarbeit mit den Amerikanern im Irak-Krieg. Machen Geheimdienste auch gerne einmal Parallelpolitik, wenn sich die Regierungen nicht gut verstehen?

Das sollte man lassen. Ein Konkurrenzprogramm zur Regierung zu entwickeln, ist keine Aufgabe für den Dienst. Sicher, theoretisch ist das möglich, aber ich weiß nicht, wie das momentan im Einzelnen aussieht.

 

Hat man beim Mossad eigentlich Freunde?

Natürlich. Wir Kollegen hatten damals sehr freundschaftliche Beziehungen. Zum Beispiel haben wir immer untereinander Kochrezepte ausgetauscht. Auch in der Freizeit haben wir uns oft gesehen, sogar unsere Frauen mitgebracht. Fast wie eine große Familie.

 

Das sind ja merkwürdige Voraussetzungen für ein Grillfest unter Kollegen. Die Frauen kannten sich untereinander, aber Sie durften ihnen noch nicht einmal von Ihrer Arbeit erzählen.

Wie ich sagte, war ich immer sehr viel unterwegs für den Mossad. Meiner Frau habe ich immer gesagt: Mach dir keine Sorgen. Wenn mir etwas passiert, wirst du es sehr bald aus der Zeitung erfahren. Wenn du nichts hörst, geht es mir gut.

 

Nach dem Ausscheiden aus dem Mossad haben Sie einen Wechsel in die Industrie vollzogen.

Ich war neun Jahre lang Leiter von Koor Industries, dem größten Industriekomplex in Israel mit über 150 Fabriken. Dann bin ich als Minister für Kommunikation und Transportwesen in die Politik gegangen, was ich bis heute sehr bereue. Später hatte ich ein anderes Baby: AMOS, den ersten israelischen Satelliten. Ich besitze heute eine Hightech-Firma und sitze in ein paar Aufsichtsräten. Ich bin 85 Jahre alt und arbeite wie ein junger Bursche.

 

Kann man einen Geheimdienst so managen wie eine Firma?

Da gibt es Unterschiede. Aber die Organisation ist ähnlich. Man lernt, vorausschauend zu planen und sich Gedanken über die Folgen des eigenen Handelns zu machen.

 

Einer meiner Agenten, Eli Cohen, wurde 1965 in Syrien enttarnt. Wir konnten ihn nicht retten.

 

Ihre Goldene Regel?

Die Beziehungen zu deinen Mitarbeitern – darauf kommt es an. Neun Jahre Koor lndustries und kein einziger Streik. Ich habe mit den Leuten geredet und einen Arbeiter mit ins Management geholt. Er sollte seinen Kollegen erzählen, dass wir da oben keine Idioten sind und die Arbeit ernst nehmen. Wenn man ein Feuer gleich bekämpft, kann man es mit einem Löscher erledigen. Tut man das nicht, braucht man einen ganzen Löschzug. Das Menschliche ist das Wichtigste.

 

Trotzdem hat man Geheimnisse vor seinen Mitarbeitern.

Als ich in den Mossad kam, gab es zu viel Geheimhaltung innerhalb des Dienstes. Das habe ich geändert. Nichts sollte an die Öffentlichkeit durchsickern, daran lag mir viel, aber wir untereinander sollten uns doch darüber auf dem Laufenden halten, was wir gerade taten – abgesehen von besonderen Fällen.

 

Ihr schwärzester Tag als Mossad-Chef?

Ich will nicht aufschneiden, aber als ich den Dienst übernahm, gab es eine Menge Probleme zu lösen. Und ich habe das ganz gut hingekriegt. Doch den schwarzen Tag gab es. Einer meiner Agenten, Eli Cohen, wurde 1965 in Syrien enttarnt. Wir konnten ihn nicht retten. Es ist uns oft gelungen, einen Agenten rauszuholen. Aber für Cohen konnten wir nichts tun.


Meir Amit und der Mossad

Am 13. Dezember 1949 verfügte Israels Staatschef David Ben Gurion die Gründung eines zentralen Geheimdienstes. Zwei Jahre später nahm das »Institut für Aufklärung und Spezialeinsätze« seine Arbeit auf. Das hebräische »Mossad« bedeutet »Institut«. 1963 wurde Meir Amit Direktor der Agentur. Unter seiner Leitung wurden zwei unabhängige Dienste aufgeteilt: der Mossad kümmerte sich um dasd Ausland, die »Allgemeinen Sicherheitsdienste« (Shin-Bet) ermittelten in Israel und, nach 1967, auch in den palästinensischen Gebieten. Amit hatte anfänglich mit Strukturproblemen zu kämpfen. Unter seiner Führung gelang dem Mossad jedoch unter anderem die Entführung einer sowjetischen MiG-21 der irakischen Luftwaffe, anhand derer Israel und die USA die gegnerische Waffentechnik analysieren konnten. Für Amit einer der größten Erfolge während seiner Zeit als »Memuneh« (Mossad-Direktor). Amits größte Niederlage ereignete sich 1965. Der israelische Top-Agent Eli Cohen, dem es gelungen war, die syrischen Militäranlagen auf dem Golan auszuspionieren, wurde enttarnt. Sowjetische Militärberater hatten ihn beim Absetzen eines Funkspruchs aufgespürt. Für Cohen gab es kein Erbarmen: Er wurde am 18. Mai 1965 in Damaskus öffentlich gehängt.

Von: 
Daniel Gerlach

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