Tschads Langzeit-Präsident Idriss Dèby ist tot. Während die internationale Gemeinschaft dessen Sohn auf einen demokratischen Übergang verpflichtet, bangt Frankreich um die Stabilität seines wichtigsten Verbündeten im Sahel.
Nach dreißig Jahren an der Spitze des Landes und nur einen Tag, nachdem er zum sechsten Mal in Folge zum Präsidenten gewählt worden war, wurde Präsident Idriss Dèby Itno am 20. April 2021 von Rebellen getötet, die im Norden des Landes gegen die Streitkräfte des Tschad kämpfen. Einst war er selbst Teil einer Rebellengruppe und wurde tschadischer Präsident, nachdem er 1990 eine Offensive angeführt hatte, die den damaligen Präsidenten Hissene Habre stürzte.
Obwohl Dèby 1996 den Übergang vom Militärherrscher zum gewählten Präsidenten schaffte, war der Tschad unter seiner Regierung alles andere als demokratisch: Wahlen waren weder frei noch fair. Seine Gegner beklagten regelmäßig Schikanen und Einschüchterungen, Oppositionelle verschwanden. Um die Menschenrechte im Land stand es schlecht, die Pressefreiheit war nur garantiert, solange Dèbys Regierung nicht kritisiert wurde. Das Internet wurde routinemäßig abgeschaltet, einmal sogar für 16 Monate.
Dèbys Herrschaft war außerdem von Korruption geprägt, vor allem nachdem das Land ab 2003 zur Ölexportnation wurde. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte er zwanzig seiner öffentlich bekannten Kinder in hohe Positionen berufen: sechs machte er zu Armeeobersten, eines zum Geheimdienstchef; fünf wurden Generäle, darunter Mahamat Kaka, der nun als Chef des Militärischen Übergangsrates nachrückt, der bis Oktober 2022 die Macht inne haben soll.
Mindestens sechs Umsturzversuche überstand das Dèby-Regime – nicht zuletzt dank Rückendeckung aus Paris
Dazu kommen noch seine Brüder, von denen einer Postminister und ein anderer Zollchef des Landes ist, sowie sein Neffe, Chef des militärischen Geheimdienstes. Dann gibt es noch die Geschwister einer seiner Ehefrauen und der First Lady Hinda Acyl, die er zu Ministern für Luftfahrt und Bildung ernannte. Der Tschad unter Idriss Dèby war ein Familienunternehmen.
Doch trotz allem war Dèby treuer Verbündeter Frankreichs und der USA, insbesondere im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus in der Region. Das tschadische Militär ist durch Auseinandersetzungen gegen eine Vielzahl von Rebellengruppen kampferprobt und im Vergleich zu anderen Armeen in der Region relativ effizient.
Dazu hat Dèby auch Geld in die Verbesserung der Armee inverstiert, welches laut einer Vereinbarung mit der Weltbank und einem Konsortium von Ölfirmen, die die Ölexportpipeline des Landes finanziert haben, eigentlich für Gesundheits-, Bildungs- und Infrastrukturprojekte ausgegeben werden sollte. Aber ein starkes Militär war unabdingbar für Dèbys politisches Überleben.
Mindestens sechs Putschversuche überstand das Dèby-Regime – nicht zuletzt dank Rückendeckung aus Paris. So auch 2019, als französische Kampfflugzeuge Luftangriffe auf eine Kolonne von Rebellen-LKWs flogen, die direkt auf die Hauptstadt N'Djamena zusteuerten.
Die 5.000 Mann starke französische Militäroperation Barkhane hat ihr Hauptquartier in N'Djamena
Im Gegenzug stellte Dèby tschadische Truppen für die von Frankreich geführte Friedensmission der Vereinten Nationen im Norden Malis (MINUSMA) und im Dreiländereck von Mali, der Republik Niger und Burkina Faso, in der eine wachsende Zahl dschihadistischer Gruppen operieren. Der Tschad hat auch Einheiten zur Multinational Joint Task Force (MNJTF) beigesteuert, die zusammen mit Nigeria, Niger, Kamerun und Benin die in der Tschadsee-Region aktive Terrorgruppe Boko Haram bekämpft.
Zudem hat die 5.000 Mann starke französische Militäroperation Barkhane gegen islamistische Gruppen in der Sahelzone ihr Hauptquartier in N'Djamena. Die tschadische Hauptstadt beherbergt seit 2014 auch eine US-amerikanische Drohnenbasis, die im Kampf gegen islamistische Gruppen wie Boko Haram dient.
Mahamat Kaka, Sohn des verstorbenen Präsidenten, hat seinen Halbbruder Abdelkerim zum Vorsitzenden des Kabinetts und zum Gesandten des Präsidenten ernannt. Gemeinsam haben sie einen Militärischen Übergangsrat gebildet, der sich aus ihnen und 14 weiteren Generälen zusammensetzt. Zudem wurde ein Kabinett geformt, dem auch Oppositionspolitiker angehören, darunter einige politische Gegner Idriss Dèbys. Das gewährleistet ein gewisses Maß an politischer Stabilität im Tschad.
Allerdings wird Mahamat Kakas Autorität von nicht-staatlichen Akteuren herausgefordert: Etwa die Rebellengruppe Front pour l’alternance et la concorde au Tchad (FACT), die für Dèbys Tod am 20. April verantwortlich gemacht wird. Obwohl zahlreiche FACT-Mitglieder nach einem Gefecht Anfang Mai gefangen genommen wurden, besteht die Bedrohung durch die Rebellengruppe weiterhin. Sie könnte den Süden Libyens als Aufmarschgebiet nutzen, um zu versuchen, ihr Versprechen einzulösen und nach N'djamena vorzudringen.
Mit dem Tod von Boko-Haram-Führer Abubaker Shekau Mitte Mai konsolidiert ISWAP seine Stellung in Westafrika und dem Sahel
Von den vier Ländern, in denen Boko Haram operiert, hatte der Tschad den größten Erfolg gegen die Aufständischen und hat sie aus dem Land vertrieben. Durch Unterstützung des nigerianischen Militärs hat der Tschad sich auch an Angriffen gegen Boko-Haram-Milizen auf nigerianischem Gebiet beteiligt.
Der Tschad zog jedoch im Januar 2020 seine Truppen aus Nigeria ab und war erst vier Monate später wieder an Angriffen auf Boko Haram beteiligt. Tschadische Streitkräfte zerstörten im Frühling fünf Stützpunkte der Terrorgruppe in Nigeria und im Niger – als Vergeltung dafür, dass Boko Haram eine tschadische Militärbasis angegriffen und fast 100 Soldaten getötet hatte.
Sollten die FACT-Rebellen ihre Drohung wahr machen, würden wohl tschadische Militäreinheiten in den Norden des Landes verlegt werden. Das könnte bedeuten, dass die 1.200 Soldaten aus dem Dreiländereck zurückgerufen oder die Truppen aus der Tschadsee-Region innerhalb tschadischen Territoriums verlegt werden. Die erste Option würde die Sicherheit im Dreiländereck nicht wesentlich beeinträchtigen. Sollte die Entscheidung jedoch auf die zweite Option fallen, entstünde ein Sicherheitsvakuum.
Das könnte es dem IS-Ableger »Islamic State West Africa Province« (ISWAP) erlauben, allmählich wieder in tschadisches Gebiet einzudringen. ISWAP hat im Kampf um die Hegemonie innerhalb des dschihadistischen Spektrums in der Region mittlerweile den Großteil der Boko-Haram-Milizen absorbiert. Mit dem Tod von Boko-Haram-Führer Abubaker Shekau Mitte Mai konsolidiert ISWAP seine Stellung in Westafrika und dem Sahel.
Das nigerianische Militär könnte dazu gezwungen sein, in tschadisches Gebiet einzudringen
Die Tschadsee-Region würde ISWAP als Rückzugsgebiet dienen, um Angriffe auf Militärbasen in Nigeria zu starten. Das nigerianische Militär könnte dann dazu gezwungen sein, in tschadisches Gebiet einzudringen – genau dann, wenn das tschadische Militär mit dringenderen Angelegenheiten in N'Djamena und im Norden des Landes beschäftigt ist. Das bedeutet, dass die verbleibenden Länder, insbesondere Nigeria, in die Bresche springen müssen, die entsteht, wenn die tschadischen Truppen die Region verlassen.
Nigeria ließ bisher verlauten, dass man dazu in der Lage sei. Tatsächlich befindet sich das nigerianische Militär in seinem Kampf gegen die Terroristen im Nordosten derzeit in einer Patt-Situation. Die Umstände von Shekaus Tod deuten allerdings darauf hin, dass ISWAP die Ufer des Tschadsees, an denen die Gruppe ständig Luftangriffen ausgesetzt ist, gegen die relative Deckung der Sambisa-Sümpfe im nigerianischen Bundesstaat Borno eintauscht, in der die Verbände von Boko Haram operierten. In diesem Fall hätte der Tschad noch weniger Bedarf.
Nichtsdestotrotz steht der Tschad noch vor weiteren sicherheitspolitischen Herausforderungen: Der Nachbar im Süden, die Zentralafrikanische Republik, wirft dem Tschad vor, Rebellengruppen zu unterstützen, die zeitweise bis zu zwei Drittel des Landes kontrollierten und Präsident Faustin Archange Touadera zu Fall bringen wollen. Erst Ende Mai beschuldigte der Tschad seinen südlichen Nachbarn, sechs tschadische Soldaten getötet zu haben und sprach in einer offiziellen Stellungnahme von einem »Kriegsverbrechen, das nicht ungestraft bleiben wird«.
Es ist unwahrscheinlich, dass beide Länder sich auf einen offenen Krieg einlassen. Das bedeutet, dass der Tschad voraussichtlich weiterhin Rebellengruppen unterstützen wird, um Instabilität in der Zentralafrikanischen Republik zu schaffen. Es ist schwer vorherzusagen, ob Mahamat Kaka wie sein Vater versuchen wird, auf eine N'Djamena freundlich gesinnte Regierung in Bangui zu drängen, um die südliche Grenze vor möglichen Rebellenangriffen zu schützen.
Die sudanesische Übergangsregierung konzentriert sich auf die Befriedung der zahlreichen bewaffneten und unbewaffneten Oppositionsgruppen im Land
Ein sicherheitspolitischer Lichtblick bleibt dem Tschad: An der Ostgrenze ist es vergleichsweise ruhig. Über Jahrzehnte waren sowohl Territorien des Tschad als auch des Sudan Schauplatz gegenseitiger Angriffe. Während des Darfur-Konflikts im Westsudan (2005-2010) erreichte diese Auseinandersetzung ihren Höhepunkt. N'Djamena hatte damals Khartum vorgeworfen, die Rebellen zu untertützen, die 2006 fast das Dèby-Regime zu Fall brachten. Sudan wiederum beschuldigte den Tschad der Unterstützung darfurischer Rebellen.
Seit 2010 haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern jedoch normalisiert, nachdem der Tschad die darfurische Rebellengruppe »Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit« (JEM) aus dem Land warf. Beide Länder einigten sich auch auf den Einsatz gemeinsamer Grenzpatrouillen.
Seit dem Sturz des Regimes von Omar Al-Baschir im Jahr 2019 konzentriert sich die sudanesische Übergangsregierung auf die Befriedung der zahlreichen bewaffneten und unbewaffneten Oppositionsgruppen im Land und die Rückkehr in die internationale Gemeinschaft. Für Khartum bestehen keine Anreize, eine Rebellengruppe zu unterstützen, die die Absicht hat, die tschadische Regierung zu stürzen.
Die internationale Gemeinschaft wird genau beobachten, ob Mahamat Kaka und seine Übergangsregierung ihr Versprechen einhalten wird, innerhalb von 18 Monaten einer demokratisch gewählten Regierung die Macht zu übergeben.
Sollte sie dieses Versprechen nicht einlösen, könnten Rebellengruppen wie FACT wieder mit Zulauf rechnen und sich möglicherweise neue Widerstandsgruppen bilden. Die werden wahrscheinlich auf Nachbarländer wie Libyen, Niger und die Zentralafrikanische Republik ausweichen, um von den Grenzregionen aus die Führung in N'Djamena zu schwächen.