Die Krise am Golf dreht sich nur vordergründig um Katars Unterstützung für Iran und Terroristen. Saudi-Arabien und die VAE haben vielmehr die Gunst der Stunde genutzt, alte Forderungen einzutreiben – und ihrer Sache einen Bärendienst erwiesen.
Alles begann um 0:00 Uhr in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 2017. Damals tauchte auf der Webseite der staatlichen Nachrichtenagentur Katars (QNA) ein Artikel auf, in dem von der Teilnahme des katarischen Emirs Tamim bin Hamad Al Thani an einer Abschlusszeremonie für Rekruten der katarischen Armee berichtet wurde. Die Aussagen, die darin dem Emir zugeschrieben wurden, brachen einen Sturm der Entrüstung in den Medien Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) los, der schließlich zur aktuellen Krise am Golf führte.
Laut dem Artikel habe der Emir Iran als »islamische Macht« bezeichnet, mit der man nicht in Konflikt stehen sollte, die palästinensische Hamas gelobt und die guten Beziehungen zu Israel hervorgehoben. Daraufhin blockierten Saudi-Arabien und die VAE den Empfang mehrerer katarischer Fernsehsender, darunter Al-Jazeera, obwohl die QNA ebenso wie Regierungsmitglieder umgehend erklärten, dass die QNA-Webseite Opfer eines Hacker-Angriffs geworden war. Mittlerweile deuten Berichte von US-Geheimdiensten darauf hin, dass der Hackerangriff von hochrangigen Kreisen der Regierung der VAE ausging.
Katar, Saudi-Arabien, die VAE und die Eskalation am Golf
Dieser Zwischenfall markierte den Auftakt zu einer Eskalation, deren Ausmaß viele Beobachter überrascht hat, die tatsächlich jedoch bereits seit Jahren zwischen Katar und seinen Nachbarn schwelte. Am 5. Juni 2017 folgte schließlich der endgültige Bruch zwischen den »Bruderstaaten« am Golf: Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain brachen gemeinsam mit Ägypten und anderen kleineren Staaten der Region ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar ab, wiesen alle katarischen Bürger und Bürgerinnen aus ihren Ländern aus und verhängten eine vollständige Blockade ihrer Grenzen für katarische Flugzeuge, Schiffe und Staatsangehörige.
Dieser weitreichende Schritt macht deutlich, wie groß die Angst in den Blockadestaaten ist – und damit stellt sich die Frage nach den tatsächlichen Gründen, die zu derart drastischen Maßnahmen führen. Anders als der oft gehörten These, wonach die Vormachtstellung Irans der Hauptgrund für die Blockade sei, macht der Bruch innerhalb des Golfkooperationsrats (GCC) – der angesichts der Islamischen Revolution und des Iran-Irak-Kriegs (1981-1988) vordergründig als Bündnis gegen die iranische Bedrohung gegründet wurde – vielmehr deutlich, dass die Angst am Golf eben nicht in erster Linie auf Iran zurückzuführen ist.
Deutlich wird dies unter anderem darin, dass nicht alle GCC-Staaten im Konflikt mit Iran stehen. So schlagen sich Kuwait und Oman zum Beispiel auf keine der beiden Seiten. Erst im Februar 2017 besuchte Irans Präsident Hassan Ruhani beide Länder, um die Spannungen zwischen Iran und dem Golfkooperationsrat abzubauen und über eine Öl-Pipeline zwischen dem Oman und Iran zu verhandeln, die emiratisches Territorium umgehen soll.
Auch bei den Verhandlungen um einen Nukleardeal mit Iran war Oman als Vermittler involviert. Zudem sind die VAE in Fragen ihrer Iran-Beziehungen lange nicht so geeint wie die Herrschenden in Abu Dhabi es gern hätten. Dubai, das zweitgrößte Emirat der VAE nach Abu Dhabi, unterhält enge wirtschaftliche Beziehungen zum Nachbarn auf der anderen Seite des Golfs und war und ist neben Oman ein Knotenpunkt des legalen wie illegalen Handels mit Iran. Ginge es ausschließlich um den iranisch-saudischen Regionalkonflikt, wären sicher nicht nur die Beziehungen Katars zu Iran den Saudis ein Dorn im Auge.
Keine Front im Golfkooperationsrat
Daher scheint nicht die äußere Bedrohung, sondern wie bereits im Zuge des Arabischen Frühlings, die innere Sicherheit, also die Stabilität der herrschenden Regime, im Zentrum der Katar-Krise zu stehen. Dieser Fokus zeigte sich deutlich in den 13 Forderungen, die die Herrschenden in Riad, Abu Dhabi, Manama und Kairo an Katar als Bedingung für eine Aufhebung der Blockade stellten.
Nur eine Forderung, nämlich die erste, bezieht sich auf die iranisch-katarischen Beziehungen. Zudem wird der Abbruch der Beziehungen zur libanesischen Hizbullah gefordert, die von vielen arabischen Staaten als verlängerter Arm Irans gesehen wird. Sämtliche weiteren inhaltlichen Forderungen können nicht mit dem Faktor Iran erklärt werden. Warum sollte beispielsweise die Türkei als Verteidigungsmacht Katars abziehen oder Al-Jazeera geschlossen werden, wenn doch Iran angeblich die größte Bedrohung für die arabischen Golfstaaten darstellt?
Die 13 Forderungen an Katar
- 1. Katar muss seine diplomatischen Beziehungen mit Iran einschränken.
- 2. Katar muss die sofortige Schließung der türkischen Militärbasis auf katarischem Boden anordnen, die sich derzeit im Bau befindet.
- 3. Katar muss alle Beziehungen zu »terroristischen, konfessionalistischen und ideologischen« Organisationen beenden – insbesondere zur Muslimbruderschaft, dem IS, Al-Qaida, Fatah Al-Scham (die ehemalige Nusra-Front), und Hizbullah.
- 4. Katar muss die Unterstützung aller Organisationen einstellen, die als extremistische und terroristische Organisationen von Saudi-Arabien, Bahrain, VAE, Ägypten den USA und anderen Staaten als solche klassifiziert werden.
- 5. Katar muss Terroristen, Gesetzesflüchtige und gesuchte Individuen aus Saudi-Arabien, Bahrain, den VAE und Ägypten an deren Heimatländer ausliefern.
- 6. Katar muss den Betrieb von Al-Jazeera und seinen affiliierten Sendern einstellen.
- 7. Katar muss davon ablassen, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen und soll gesuchten Gesetzesbrechern aus Saudi-Arabien, Bahrain, den VAE und Ägypten nicht mehr die Staatsbürgerschaft verleihen. Katar soll jenen Gesetzesbrechern, denen es bereits die katarische Staatsbürgerschaft verliehen hat, diese wieder aberkennen, und diese Personen ausliefern.
- 8. Katar muss Reparationszahlungen für finanzielle Verluste bereitstellen, die durch die Politik Katars in den letzten Jahren entstanden sind.
- 9. Katar muss sich an die militärischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gepflogenheiten der Golfstaaten sowie der arabischen Staaten anpassen und sich an die bereits getroffenen Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem ersten und zweiten Vertrag von Riad sowie dem Zusatzprotokoll von 2013/2014 halten.
- 10. Katar muss sämtliche Kontaktdaten zu politischen Oppositionellen in Saudi-Arabien, Bahrain, den VAE und Ägypten bekanntmachen und mitteilen, welche Aktivitäten mit wem durchgeführt wurden.
- 11. Katar muss den Betrieb von Nachrichtensendern, die direkt oder indirekt von Katar finanziert werden, inklusive Arabi21, Rasd, Al-Araby Al-Jadeed, Mkamlin und Middle East Eye, etc., einstellen.
- 12. Katar hat 10 Tage Zeit, den Punkten dieser Liste zuzustimmen – sollte dies nicht geschehen, wird diese Forderungsliste ungültig.
- 13. Katar sollte einer monatlichen Überprüfung zur Überprüfung der umzusetzenden Forderungen zustimmen. Diese monatliche Überprüfung wird im zweiten Jahr zu einer Quartalsprüfung, und dann für weitere 10 Jahre zu einer jährlichen Prüfung umgewandelt.
Die Blockade-Staaten begründen die aktuelle Eskalation vielmehr durch katarische Verletzungen »alter Versprechungen«. Hierbei beziehen sich Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain auf die beiden Verträge von Riad sowie eine geheime Zusatzvereinbarung, die Katar nach der letzten diplomatischen Krise mit seinen Nachbarn getroffen hatte.
Bereits damals sollte Katar auf die außenpolitische Linie seiner Nachbarstaaten einschwenken, indem es die Unterstützung von Akteuren, die ein vermeintliches Risiko für die innere Sicherheit der GVV-Staaten darstellen, unterbindet. Zudem sollte Katar das von Präsident Abdel-Fattah Al-Sisi regierte Ägypten unterstützen und sich nicht in innere Angelegenheiten der anderen GCC-Staaten einmischen. Zu diesem Zweck forderte man von Katar, Al-Jazeera in seiner Berichterstattung einzuschränken und die Unterstützung der Muslimbruderschaft, seit dem Sturz Hosni Mubaraks in Ägypten ein zentrales außenpolitisches Ziel Katars, einzustellen sowie deren Mitglieder aus Katar auszuweisen.
Erster Vertrag von Riad (November 2013)
- 1. Keine Einmischung in die internen Angelegenheiten der GCC-Staaten, weder direkt noch indirekt. Kein Asylstatus, oder Staatsbürgerschaftsvergabe an Oppositionelle ohne Erlaubnis des Herkunftslandes. Keine Unterstützung von regimekritischen Gruppen und feindlichen Medien.
- 2. Keine Unterstützung der Muslimbruderschaft oder andere Organisationen durch direkte sicherheitspolitische Unterstützung oder durch politischen Einfluss, die die Sicherheit und Stabilität der GKR-Staaten gefährden könnten.
- 3. Keine Unterstützung für jegliche Fraktion im Jemen-Konflikt, die eine Gefahr für die Nachbarstaaten des Jemens darstellen könnten.
Hintergrund: Treffen zwischen Saudi-Arabien, Kuwait und Katar zur Neujustierung einer gemeinsamen sicherheits- und stabilitätsstrategischen Ausrichtung des GCC.
Zweiter Vertrag von Riad (November 2014)
- 1. Das fehlende Bekenntnis zu einzelnen Artikeln des ersten Vertrages von Riad führt zum Bruch mit dem gesamten Regelwerk.
- 2. Innerhalb eines Monats sollen sämtliche Forderungen des ersten Vertrages von Riad erfüllt sein.
- 3. Die Unterstützung regimekritischer Akteure ist unter den GCC-Staaten strengstens verboten.
- 4. Alle Länder verpflichten sich dazu, Ägypten zu unterstützen: vor allem durch Beiträge zu finanzieller und sicherheitspolitischer Stabilität. Verbot jedweder Negativberichterstattung gegenüber Ägypten einschließlich durch Al-Jazeera.
Hintergrund: Treffen von Vertretern aus Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, den VAE und Katar. Ziel war es, die Einhaltung des ersten Vertrags von Riad zu überprüfen, um die Kooperation zwischen den GCC-Staaten weiter zu festigen. Der zusätzliche zweite Vertrag von Riad ist von den Geheimdiensten der beteiligten Länder unterzeichnet worden.
Zusatzvereinbarung (November 2014)
A) Konkrete Maßnahmen hinsichtlich innerer Angelegenheiten
- 1. Die Übereinkunft aller Medienstationen in sämtlichen Mitgliedsländern, staatlich und privat finanziert, nicht schädlich über andere GCC-Staaten zu berichten.
- 2. Jeder Mitgliedsstaat verpflichtet sich, keine Staatsangehörigkeit an Personen zu vergeben, von denen bekannt ist, dass sie in oppositionelle Aktivitäten der Nachbarstaaten involviert waren. In diesem Kontext wird jedes Land die Namen von inländischen Oppositionellen dokumentieren.
B) Konkrete Maßnahmen hinsichtlich von Außenpolitik
- 1. Keine Unterstützung der Muslimbruderschaft, weder finanziell noch medial
- 2. Einverständnis zur Ausweisung von Mitgliedern der Muslimbruderschaft, die nicht die Staatsbürgerschaft des Landes besitzen innerhalb eines vereinbarten Zeitraumes und entsprechend einer zuvor erstellten Personenliste.
- 3. Keine Unterstützung von fremden Gruppierungen, die die Sicherheit und Stabilität der GCC-Staaten bedrohen – weder im Jemen, in Syrien, oder in anderen Gebieten der Aufruhr.
- 4. Keine Unterstützung oder Zufluchtsangebote für diejenigen, die in oppositionellen Aktivitäten gegenüber GCC-Staaten verwickelt sind und ihnen feindlich gegenüberstehen. Dies betrifft sowohl aktuelle als auch ehemalige Offizielle.
- 5. Alle Akademien und Zentren sollen geschlossen werden, die dazu beitragen, GCC-Bürger zu befähigen, gegen ihre Regierungen zu arbeiten.
C) Konkrete Maßnahmen hinsichtlich innerer Sicherheit des GCC
- 1. Bilaterale Treffen zwischen Sicherheitsverantwortlichen wurden beschlossen, um Details der sicherheitsbezogenen Personenlisten zu diskutieren.
- 2. Allgemeiner Review-Prozess durch jährliche Treffen der Außenminister der GCC-Staaten
- 3. Die Führungen der GCC-Länder veranlassen Maßnahmen gegenüber abweichendem Verhalten von anderen Staaten
Hintergrund: Treffen der Außenminister aus Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, den VAE und Katar bezugnehmend auf den ersten Vertrag von Riad. Hierbei ging es um konkrete Umsetzungsverfahren der drei zentralen Forderungen von 2013.
Die diplomatische Krise von 2013/14 endete mit einem faulen Kompromiss: Katar stimmte den Bedingungen seiner GCC-Verbündeten auf dem Papier zu und machte kleinere Zugeständnisse. Neben der Ausweisung von circa 300 Muslimbrüdern,schloss Katar den ägyptischen Ableger von Al-Jazeera, Mubaschir Masr, der seinen Sitz in Doha hatte.
Im direkten Vergleich fällt auf, dass die Verträge von 2013/14 und die aktuellen 13 Forderungen im Kern übereinstimmen. So wird von Katar ein konformes Verhalten zum kollektiven Diskurs der GCC-Staaten seit 2013 eingefordert. Noch immer sind die beiden Hauptanliegen an Katar die Ausweisung der Muslimbruderschaft und die Abschaltung von Al-Jazeera. Beide Forderungen hängen mit der Haltung der Blockadestaaten gegenüber dem politischen Islam zusammen, die sich seit den Vereinbarungen von 2013/2014 in der aktuellen Katar-Krise verstetigt. 10 der 13 Forderungen weisen direkte oder indirekte Bezüge zum politischen Islam auf, der sich abermals als zentraler Kontextfaktor der Polarisierung im GCC herausstellt.
Die innenpolitischen Gründe der Katarkrise
Der wachsende Einfluss des politischen Islams seit dem Arabischen Frühling, der einen bedeutenden Bevölkerungsanteil in allen arabischen Staaten – einschließlich der GCC-Staaten – repräsentiert, polarisiert seither alle Gesellschaften des Nahen Ostens und wird insbesondere durch die Interessenpolitik von regionalen Mächten am Golf zum Politikum gemacht.
So verfolgt Katar, ebenso wie die Türkei, eine Politik der grundsätzlichen Unterstützung der Muslimbruderschaft und weiterer ihr nahestehender Organisationen, die trotz einer ideologischen Nähe vor allem auf regionalpolitischen und ökonomischen Interessen beruhen. Und seit dem Amtsantritt von Abdel-Fattah Al-Sisi 2014 ist Saudi-Arabien zusammen mit den VAE der wichtigste internationale Partner Ägyptens bei dessen Kampagne gegen die Muslimbruderschaft und ihr nahestehenden Organisationen.
Nur mithilfe der enormen finanziellen Unterstützung durch die beiden Golfstaaten konnte das ägyptische Regime aufrechterhalten werden. Gemeinsam versuchen sie, eine internationale Koalition gegen die Akteure des politischen Islams aufzubauen und üben gemeinsamen Druck auf Drittstaaten aus, das Sisi-Regime anzuerkennen und die Muslimbruderschaft zur Terrororganisation zu erklären.
Saudi-Arabien sieht die Muslimbrüder und muslimbrudernahe Organisationen als konkurrierende Kräfte innerhalb des islamistischen Spektrums, die die saudische Hegemonie über den sunnitischen Islam infrage stellen. Hierbei ist vor allem die Verbindung zwischen Islam und demokratischen Elementen im Diskurs dieser Akteure von großer Relevanz, da sie hiermit den saudisch-wahhabitischen Legitimationsdiskurs, dass Demokratie mit islamischen Herrschaftsordnungen nicht kompatibel sei, streitig macht.
Mit der »Sahwa Islamiyya« erwuchs in Saudi-Arabien bis Ende der 1990er Jahre eine gesellschaftliche Strömung, die ideologisch der Muslimbruderschaft nahestand und politische Reformen von der saudischen Königsfamilie verlangte. Mit den Umbrüchen in Ägypten und Tunesien begannen ab 2011 zahlreiche der früheren Sahwa-Anhänger, allen voran der prominente Kleriker Salman Al-Awda, wieder verstärkt politische Reformen zu fordern und verurteilten die saudische Unterstützung der Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mursi durch das Militär. Mitunter trug dies dazu bei, dass drei Monate nach Ägypten auch Saudi-Arabien am 7. März 2014 die Muslimbruderschaft und die ihr nahestehenden Organisationen zu Terror-Organisationen erklärte und sie damit unter anderem mit den militanten, in Syrien kämpfenden Gruppen IS und Jabhat Al-Nusra gleichstellte.
Wie Saudi-Arabien fürchten auch die VAE den Druck einer moderat-islamistischen Oppositionsbewegung innerhalb ihres nationalen Establishments. Dort entstand seit den 1970er Jahren mit der Islah eine Gruppierung, die von ägyptischen Muslimbrüdern gegründet wurde und diesen ideologisch sehr nahesteht. Die VAE reagierten angesichts der Entwicklungen in der Region seit 2011 mit einer Verhaftungswelle und erklärten die Islah im November 2014 neben weiteren Ablegern der Muslimbruderschaft zur Terrororganisation. Die Rolle des politischen Islam, insbesondere in Form von Organisationen, die der ägyptischen Muslimbruderschaft ideologisch nahestehen, beim Zusammenbruch mehrerer Regime in der MENA-Region war und ist daher zentrales Motiv der saudischen und emiratischen Politik, das sich in der Katar-Krise abermals außenpolitisch niederschlägt.
Im Gegensatz zu Saudi-Arabien und den VAE sieht Katar den politischen Islam seit jeher als integralen Bestandteil seiner gesamtstrategischen Außenpolitik und daher als Mittel, seine »Soft Power« in der Region weiter auszubauen. Mit den Wahlerfolgen der FJP – dem parteipolitischen Arm der ägyptischen Muslimbruderschaft – und Parteien der Muslimbruderschaft in anderen arabischen Ländern, manifestierte sich diese außenpolitische Ausrichtung besonders eindrücklich. Auch in Folge der Amtsenthebung Mursis unterstützte Katar die Muslimbruderschaft, allen voran als Zufluchtsort vor ägyptischer, saudischer und emiratischer Verfolgung als Terrororganisation.
Die Muslimbruderschaft und die ihr nahestehenden Organisationen werden aus katarischer Sicht nicht als Gefahr für die innere Stabilität angesehen. Denn zwar fanden auch in Katar ägyptische Muslimbrüder in den 1960er und 1970er Jahren einen Rückzugsort vor der Repression Gamal Abdel-Nassers, sie erhielten jedoch nie Einfluss auf die katarische Innenpolitik. Stattdessen richtet sich der politische Fokus der Muslimbrüder in Katar nach außen. Katar dient als Ausgangspunkt bei der Ausweitung ihrer Aktivitäten in der Region – nicht zuletzt durch die Verbreitung ihrer ideologischen Ansichten über den TV-Sender Al-Jazeera, wo der ägyptische Prediger Yusuf al-Qaradawi, der als spirituelle Leitfigur der Muslimbruderschaft gilt, eine regelmäßige Sendung produziert.
Die Forderung nach der Schließung von Al-Jazeera liegt zudem darin begründet, dass der Sender sehr ausführlich über die Aufstände gegen die Diktatoren in einigen arabischen Staaten seit 2010 sowie über die Präsidentschaft des aus der Muslimbruderschaft stammenden ägyptischen Präsidenten Muhammad Mursi berichtete. Er wird daher von den Blockade-Staaten als Sprachrohr des politischen Islams sowie der arabischen Aufstände gesehen.
Katar kann die Forderungen nicht erfüllen
Insgesamt wird deutlich, dass es den sanktionierenden Staaten in der aktuellen Katar-Krise um den Wunsch nach nationalstaatlicher Sicherheitsmaximierung geht. Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten fürchten sich in erster Linie noch immer vor innerer Destabilisierung durch einflussreiche Kräfte, die die bestehenden nationalen Ordnungen herausfordern.
Dies belegen die nahezu identischen Hauptforderungen, die seit 2013/2014 bis heute an Katar gerichtet wurden und werden. Zu den Hauptakteuren der wahrgenommenen inneren Bedrohung gehören damals wie heute maßgeblich die Akteure des politischen Islams. Dies belegen nicht nur dieselben Forderungen, die den politischen Islam tangieren, sondern zudem dieselben Bruchlinien, die in Bezug auf regionale Bündnisstrukturen seit 2011 fortbestehen.
Die Spaltung der wichtigsten regionalen Akteure in ein Lager, das in losen Strukturen Kräfte des politischen Islams wie die Muslimbruderschaft unterstützt (Katar und die Türkei) sowie ein Lager, das diese als elementare Bedrohung der inneren Sicherheit sieht (Saudi-Arabien, VAE, Bahrain und Ägypten) hält bis heute an und führte zur jüngsten Eskalation in der Katar-Krise. Die 13 Forderungen vom 23. Juni 2017 sind jedoch für Katar schlichtweg nicht erfüllbar. Die stabilen Beziehungen zu Iran sind notwendig, um das von beiden Staaten beanspruchte Gasfeld »South Pars« im Persischen Golf auszubeuten, das mit 10.000 Quadratmetern und Gasreserven von 1.300 Billionen Kubikfuß das größte bisher entdeckte Gasfeld der Welt ist.
Al-Jazeera wiederum ist Katars wichtigstes »Soft-Power«-Instrument. Ein Großteil der regionalen und internationalen Strahlkraft des Emirats beruht auf diesem Fernsehsender. Und schließlich bilden die guten Beziehungen zur Muslimbruderschaft und der Türkei einen Grundpfeiler der katarischen Außenpolitik der letzten Jahre. Eine Erfüllung der an Katar gestellten Forderungen würde die außenpolitischen Erfolge der letzten Jahre revidieren und käme daher einem außenpolitischen Selbstmord gleich.
So ist auch die Verschleppung des Konflikts in den vergangenen Wochen zu verstehen. Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten haben, mit Unterstützung des US-Präsidenten Donald Trump seit seinem Besuch in Riad im Mai 2017, enormen wirtschaftlichen und politischen Druck auf Katar ausgeübt. Eine weitere Verschärfung der Sanktionen würde sie immer stärker als Aggressor aussehen lassen. Katar hingegen sitzt den Konflikt bisher aus.
Nachdem das erste Ultimatum zur Erfüllung der 13 Forderungen nach zehn Tagen um weitere zwei Tage verlängert wurde, erteilten die Kataris ihren Kontrahenten eine Absage. Seither herrscht Stillstand. Als einzige Option, um eine einigermaßen gesichtswahrende Lösung für alle Beteiligten zu finden, erscheint ein ähnlicher Kompromiss wie bereits 2013/14. Durch eine erneute Lockerung der Affiliation mit der Muslimbruderschaft durch symbolische Ausweisungen oder Statements und eine zurückhaltendere Berichterstattung Al-Jazeeras könnte Katar in den Kreis seiner Bruderstaaten zurückkehren.
Fraglich ist jedoch, ob dies den Blockadestaaten erneut genügen würde. Doch alle übrigen Optionen würden Katar stärker in die Arme nicht-arabischer Staaten – insbesondere Irans und der Türkei –treiben, die bereits jetzt das Emirat handels- und sicherheitspolitisch stärker unterstützen als noch vor der Katar-Krise. Durch ihre Angst um die innere Sicherheit hätten sich Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain dann eine wachsende Bedrohung der äußeren Sicherheit geschaffen.