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Russlands Comeback im Nahen Osten

Moskaus Golf-Manöver

Analyse
Russlands Comeback im Nahen Osten
Saudi-Arabiens König Salman empfing Russlands Präsidenten Wladimir Putin am 14. Oktober in Riad. Kreml

Im Oktober machten die Herrscherhäuser in Riad und Abu Dhabi dem russischen Präsidenten die Aufwartung. Moskaus Engagement am Golf sind zwar Grenzen gesteckt, doch Russland hat einen entscheidenden Vorteil.

2014 bezeichnete der ehemalige US-Präsident Barack Obama Russland als »nicht mehr als eine Regionalmacht« im Nahen Osten. Obwohl Moskau in vielerlei Hinsicht an Grenzen stößt, hat das russische Comeback viele Politiker und Analysten im Westen überrascht. Vier Jahre nachdem Moskaus für eine Kriegswende in Syrien sorgte, ist Russland einer der Schlüsselspieler im Nahen Osten und unterhält Verbindungen zu allen Seiten.

 

Regelmäßige Besuche hochrangiger Beamter der Golfstaaten in den letzten Jahren in Moskau und enge persönliche Beziehungen zwischen Wladimir Putin und den Monarchen der Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien, den VAE und Katar, sind ein Indiz für die Ausweitung und Intensivierung der Beziehungen.

 

Los ging es unter anderem mit Moskaus Paradigmenwechsel in der regionalen Energiepolitik: Seit Ende 2016 hat sich Russland vom Hauptkonkurrenten der OPEC zum engen Verbündeten entwickelt und spielt eine führende Rolle bei der Stabilisierung des Ölpreises. Das historische Abkommen zwischen Russland und Saudi-Arabien im Frühjahr 2018, das darauf abzielte, die Ölmärkte für die kommenden 20 Jahre aktiv zu gestalten, ist der bisherige Höhepunkt der zunehmend engen saudisch-russischen Beziehungen.

 

Aron Lund von der Century Foundation ist überzeugt, dass die russische Regierung durchaus daran interessiert ist, politisches Kapital aus der Stärkung der Handelsbeziehungen zu schlagen. Darüber hinaus hat Russland ein starkes Interesse daran, das Risiko eines Krieges mit Iran abzuwenden, schließlich hat Moskau in den vergangen Jahrzehnten enge, wenn auch nicht unkomplizierte Beziehungen zu Teheran aufgebaut. Sorgen Saudi-Arabiens und der VAE über die Zuverlässigkeit der Vereinigten Staaten als Verbündeter, und zwar schon seit der Präsidentschaft Obamas, in besonderem Maße aber in der Ära Trump, spielen Russland dabei in die Hände.

 

Doch die Avancen gehen nicht nur von Moskau aus. Nicht nur Russlands Einfluss auf Teheran, auch das das angespannte Verhältnis zu Katar und der Türkei haben laut Lund Saudi-Arabien und die VAE dazu veranlasst, den Draht nach Moskau auszubauen. Riad und Abu Dhabi wollen einerseits ihr Bündnisnetzwerk diversifizieren, natürlich aber auch verhindern, dass Russland allzu enge Bande mit den Rivalen in der Region knüpft.

 

»Putin will die Konflikte in der Region verwalten, anstatt sie wirklich lösen«

 

Wladimir Putin reiste im Oktober zu einem brisanten Zeitpunkt an den Golf. Die Achse Riad-Abu Dhabi zeigt insbesondere im Jemen Risse, wo beide Golfstaaten unterschiedliche Fraktionen unterstützen. Und auch in der Haltung gegenüber Iran und im Syrien-Konflikt werden Differenzen zwischen den Verbündeten offenbar. Für Moskau besteht die Herausforderung darin, sich nicht allzu eng auf einen der Staaten am Golf einzulassen.

 

Laut Anna Borschtschewskaja vom Washington Institute for the Near East Policy (WINEP) ist es Putin gelungen, Kanäle zu allen, auch den untereinander verfeindeten, Akteuren in der Region aufrechtzuerhalten, auch weil diese Moskau als zuverlässiger empfinden als Washington. »Putin wird diese Karte weiterhin ausspielen«, so Borschtschewskaja gegenüber zenith. »Was Putin letztendlich macht, ist die Konflikte in der Region zu verwalten, anstatt sie wirklich lösen zu wollen. Keine Partei soll an Moskau vorbeikommen.«

 

Sergej Suchankin von der Jamestown Foundation konstatiert, dass Russland seine diplomatischen Instrumente sowohl im Vergleich zur sowjetischen als auch zur frühen postsowjetischen Zeit grundlegend überarbeitet hat. Er sei sich nicht sicher, »ob Moskau aus strategischer Sicht überhaupt ein Interesse daran hat, die sich auftuenden Gräben zwischen den VAE und den Saudis zu überbrücken«, so Suchankin im Gespräch mit zenith. Russland sei an bilateralen Gesprächen interessiert – nicht an Gesprächen mit einem Block von Staaten. »Je mehr Differenzen in den bilateralen Beziehungen der VAE und Saudi-Arabien zutage treten, umso mehr Möglichkeiten ergeben sich für Russland.«

 

Konstruktive Beziehungen mit allen, dauerhafte Allianzen mit niemandem

 

Dennoch, gibt Lund zu bedenken, teilten die VAE, Saudi-Arabien und Russland in Bezug auf den Nahen Osten einige grundlegende Ansichten: Alle haben eine Vorliebe für autoritäre Stabilität, lehnen aus ihrer Warte chaotische demokratische Experimente ab und sind zutiefst misstrauisch gegenüber islamistischen Bewegungen wie der Muslimbruderschaft. Deutliche Differenzen sind allerdings in der Sicht auf Iran unverkennbar. »Im Allgemeinen will sich Moskau nicht in regionale Konflikte verwickeln lassen, soweit es sich vermeiden lässt. Moskaus Credo lautet: Konstruktive Beziehungen mit allen, dauerhafte Allianzen mit niemandem«, so Lund.

 

Kann Russland also eines der wenigen Länder der internationalen Gemeinschaft sein, das gute Beziehungen zu allen wichtigen Akteuren in der Region unterhält, als Vermittler zwischen den Golfmonarchien und Iran auftreten und dazu beitragen, die Spannungen am Golf zu entschärfen?

Stephen J. Blank vom American Foreign Policy Council (AFPC) glaubt, dass Russland eine Vermittlerrolle erst einnehmen würde, wenn beide Seiten diesen Wunsch an Moskau herantragen sollten. Und selbst in diesem Fall ist es gut möglich, dass sich Moskau heraushält, um nicht in Gefahr zu geraten, für eine Seite Partei zu ergreifen und sich damit Gesprächskanäle zu verbauen.

 

Lund hingegen ist überzeugt, dass Moskau, wenn möglich, einem Abbau der iranisch-arabischen – und womöglich gar der israelisch-iranischen und amerikanisch-iranischen – Spannungen zuarbeiten würde. Der Haken: Das liegt de facto größtenteils außerhalb der Kontrolle Russlands. Putin wirbt für Russland als neutralem Vermittler, doch im Großen und Ganzen blickten die Golfstaaten doch primär gen Washington, gibt Borschtschewskaja zu Bedenken. Putin mag es nicht an Ehrgeiz mangeln, dafür aber an Ressourcen.

 

Differenzen zwischen Russland und Iran könnten im Zuge des Wiederaufbaus in Syrien sichtbar werden

 

Suchankin wiederum bezweifelt, ob das russisch-iranische Bündnis so dauerhaft ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Er sieht den Iran als unabhängigen Akteur mit eigener Agenda – nirgendwo wird das so deutlich wie Syrien. Zudem sucht Teheran die Anbindung an China – nicht zuletzt, um das eigene Verhandlungsgewicht zu stärken und sich nicht allein von Russland abhängig zu machen. Handfeste Differenzen zwischen Russland und Iran eine könnten im Zuge des Wiederaufbauprozesses in Syrien sichtbar werden, prognostiziert Suchankin.

 

Es sei auch nicht zu erwarten, dass Russland seine Partner am Golf überzeugen kann, sich aktiv an gemeinsamen Sicherheitsmaßnahmen am Persischen Golf zu beteiligen, denn das bedürfe umfassender Konsultationen und einer stärkeren Beteiligung des UN-Sicherheitsrates in regionalen Sicherheitsfragen.

Doch genau diese Vision treiben sowohl Russland als auch China voran. Teheran drängt ebenfalls darauf. Suchankin kann sich allerdings nicht vorstellen, dass der Westen solch einer Machtverschiebung tatenlos zusehen würde. »Die würde ja etwa die USA in eine Juniorrolle drängen, und es ist schwer vorstellbar, dass Washington dem zustimmt«, fügt Borshchevskaya hinzu.

 

Moskau ist nicht in der Lage, die USA in der regionalen Sicherheitsarchitektur am Persischen Golf zu ersetzen

 

Putins Besuch endete mit der Unterzeichnung bilateraler Abkommen mit Saudi-Arabien im Wert von mehr als zwei Milliarden Dollar und mit den VAE im Wert von 1,4 Milliarden Dollar. Im Vergleich zu den angekündigten Geschäften während des Besuchs von Donald Trump im Wert von etwa 300 Milliarden Dollar nimmt sich das Volumen der russischen Deals bescheiden aus. Zudem beherbergt der Golf weiterhin viele amerikanische und britische Soldaten: Die fünfte Flotte der US Navy hat ihren Hauptsitz in Bahrain, der Luftwaffenstützpunkt Al-Udeid in Katar ist Hauptsitz des US Central Command (CENTCOM) sowie Einheiten der US Air Force und der britischen Royal Air Force (RAF).

 

Die Russen sind sich dieser Vormachtstellung bewusst. Moskaus Engagement in der Region sollte also eher als Bestreben verstanden werden, wo immer möglich Einfluss zu nehmen und ansonsten russische Interessen in Bezug auf Handel, Waffenexporte, Konfliktlösung und Ölpreiskontrolle zu fördern. Trotz ihrer weiterhin hegemonialen Rolle werden sich die USA an eine immer stärkere russische Präsenz in der Region gewöhnen müssen.

Von: 
Stasa Salaćanin

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