Das Militär in Mali übernimmt erneut die Macht. Warum Präsident Ibrahim Boubacar Keita scheiterte, was den neuen Umsturz vom Putsch 2012 unterscheidet und was der Machtwechsel für den Kampf gegen den Terror bedeutet.
Was ist geschehen?
Nach den fragwürdigen Ergebnissen der Parlamentswahl im April – viele Wähler konnten aufgrund von technischen und Sicherheitsproblemen nicht abstimmen – verlangte die Opposition Neuwahlen. Die Krise verschärfte sich nach der Entscheidung des malischen Bundesgerichtshofes, die Wahlergebnisse zu bestätigen. Daraufhin formierte sich aus den Oppositionsreihen der Zusammenschluss »Bewegung 5. Juni – Versammlung patriotischer Kräfte« (M5-RFP). An die Spitze des Protestes gegen Präsident Ibrahim Boubacar Keita (IBK) setzte sich der einflussreiche Imam Mahmoud Dicko aus Timbuktu.
Der Druck auf der Straße sowie die Reaktion internationaler Akteure wie der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), die sich ab Mitte Juni ebenfalls für Neuwahlen aussprach, zwangen Präsident Keita, eine Reform des Bundesgerichtshofes anzuordnen. Doch dieses Zugeständnis reichte den Demonstranten nicht. Vom 10. bis 12. Juli strömten abermals Zehntausende auf die Straßen der Hauptstadt Bamako, diesmal mit tragischen Konsequenzen: Sicherheitskräfte trieben den Protest mit Gewalt auseinander, dreizehn Zivilisten wurden getötet, zahlreiche weitere verletzt. Die Vorschläge einer Mediationsinitiative der ECOWAS unter Leitung des früheren nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan lehnten sowohl Opposition als auch Regierung ab.
Aus dieser politischen Sackgasse schien trotz des steigenden Drucks von innen und außen kein Weg zu führen. Am 18. August schließlich weitete sich eine Meuterei im Militärlager Kati in der Hauptstadt-Region Bamako schnell zum Putsch aus. Präsident Keita, Ministerpräsident Boubou Cissé und weitere Schlüsselfiguren der Regierung wurden festgenommen, um Mitternacht am 19. August trat Präsident Keita offiziell zurück. Das zweite Mal innerhalb von zehn Jahren erlebt das westafrikanische Land einen Putsch. Zuletzt hatte das Militär 2012 den damaligen Präsidenten Amadou Toumani Touré abgesetzt.
Worum geht es eigentlich?
Korruption, Inkompetenz, Klientelismus und eine breite Kluft zwischen Entscheidungsträgern in Bamako und dem Rest der Bevölkerung konnte die Regierung Keita nicht überwinden. Vielmehr sehen viele Bürger in ihr geradezu die Verkörperung dieser tiefsitzenden strukturellen Probleme. Arbeitslosigkeit und Armut steigen, vor allem unter der Jugend – über 50 Prozent der Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt – und viele staatliche Angestellter wie Lehrer, Ärzte oder Krankenpfleger warten seit Monaten auf ihre Löhne.
Auch die ethnischen Spannungen insbesondere zwischen den Fulbe und den Dogon nahmen in den vergangenen Jahren stetig zu und entluden sich in zahlreichen Gewalttaten. Der Mord an 160 Fulbe im März 2019 in der zentralmalischen Provinz Ogossagou, für den angeblich Dogon-Milizen und Sicherheitskräfte verantwortlich waren, hatte im vergangenen Jahr eine Demonstrationswelle ausgelöst, die den populistischen Imam Mahmoud Dicko ins Rampenlicht spülte und die Regierung zum Rücktritt zwang.
Zudem steht Mali gigantischen Sicherheitsproblemen gegenüber. Einerseits können sich dschihadistische Gruppen in Mali – wie im gesamten Sahel – immer weiter festsetzen und stellen lokale wie internationale Sicherheitskräfte vor erhebliche Probleme. Vor allem die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat sein militärisches Engagement in der Region in den letzten Jahren deutlich nach oben gefahren – mit überschaubarem Erfolg.
Andererseits sehen sich malische wie auch regionale und internationale Streitkräfte regelmäßig mit begründeten Vorwürfen konfrontiert, gegen Menschenrechte zu verstoßen. Der mangelnde Wille – oder die Fähigkeit – der Regierung, solche Verbrechen effektiv zu ahnden und zu verhindern, hat Keita viel Vertrauen gekostet.
Wohl auch, weil das Militär in Machtfragen immer ein Wort mitzureden hat und ein funktionierendes Arbeitsverhältnis zwischen Kabinett und Armee in Mali essenziell für die Regierungsführung ist. Keita hatte im Februar den Ärger der Armee auf sich gezogen, weil er die Streitkräfte zu Recht scharf für ihre Menschenrechtsverstöße kritisiert und ihnen Inkompetenz im Kampf gegen den Terror vorgeworfen hatte. Bereits damals machten Gerüchte über einen möglichen Staatsstreich des Militärs in Mali die Runde.
Dem Vertrauensverlust in der Bevölkerung sowie in den Streitkräften konnte Keita nichts entgegensetzen und besiegelte wohl so sein politisches Schicksal. Weil der Präsident sich auch für Kompromisse wenig empfänglich zeigte, stieg bei vielen Maliern die Bereitschaft, einen Staatsstreich zu unterstützen.
Wie geht es weiter?
Die Armeeführung setzte umgehend einen Übergangsrat ein. Neuwahlen sollen »so bald wie möglich« abgehalten werden, so die Ankündigung der Junta, an deren Spitze mit Assimi Goita der Leiter der Spezialkräfte im Antiterrorkampf steht. Das Gremium ließ zudem verlautbaren, alle bestehenden Abkommen und Kooperationen fortführen zu wollen. Darunter fallen etwa die Beteiligung an den Missionen MINUSMA, G5 Sahel, sowie der im März 2020 gestarteten französischen Operation »Takuba«. Auf politischer Ebene zählt dazu auch das Bekenntnis zum Abkommen von Algier, das 2015 die Krise infolge des Putsches von 2012 zunächst beigelegt und den Tuareg im Norden des Landes mehr Autonomie zugesagt hatte.
In Mali scheint der Putsch eine gewisse Unterstützung zu genießen, insbesondere unter der Jugend des Landes. Viele hochrangige Entscheidungsträger in Mali sind zudem überzeugt, dass der Staatsstreich dem festgefahrenen politischen Prozess einen neuen Impuls geben kann. Auch im Norden des Landes, wo man sich um den Bestand des Algier-Abkommens sorgt, herrscht ein gewisses Verständnis für den – in der Hoffnung, dass er zu Verbesserungen in der Ausgestaltung der regionalen Autonomie führt.
Während im Innern die Stimmungslage vergleichsweise gelassen scheint, sieht es auf internationaler Ebene komplizierter aus. Engagement und Interessen internationaler Akteure sind nicht unbedingt kompatibel mit den politischen Dynamiken vor Ort. Diese Diskrepanz könnte sich nun noch verschärfen. Nichtsdestotrotz könnte der Putsch auch die Chance für einen Neustart bieten – wenn die neue Führungsriege zu ihrem Wort steht und einer effektiven internationalen Zusammenarbeit in und mit Mali den Weg bereitet.
Malis Militär verfolgt dabei auch eigene Interessen. Die Armee will sich als Problemlöser und Hoffnungsträger inszenieren und die Bevölkerung scheint zurzeit bereit, ihr diese Chance zu geben. Zudem zeigte sich, dass Malis Bürger, unabhängig vom Putsch, eine Rückkehr zum Status Quo des Verhältnisses zwischen Militär und Regierung nicht ohne Weiteres akzeptieren wird. Das wiederum erhöht den Druck auf die Armee, einen schnellen Übergang zu einer zivilen Verwaltung zu gewährleisten.