17 Jahre später als geplant lässt Katar seinen Schura-Rat wählen. Der Urnengang dient auch als Seitenhieb.
Was ist geschehen?
Ein Erlass vom 22. August 2021 kündigte für den 2. Oktober 2021 die langerwarteten Wahlen zur beratenden Nationalversammlung (Madschlis Al-Schura) an. Seit Bestehen des Schura-Rats sind alle Mitglieder vom Emir ernannt worden. Nun sollen die Vorgaben der katarischen Verfassung von 2003 umgesetzt werden, die die Wahl von 30 der 45 Mitglieder vorsieht.
Für Zündstoff sorgte die Frage der Wahlberechtigung. Nur erwachsene Nachkommen von Kataris, die 1930 im heutigen Katar lebten und seitdem nicht weggezogen sind, dürfen wählen – zehn Prozent der Gesamtbevölkerung von fast drei Millionen. Diese Einschränkung im Wahlrecht schließt nicht nur die ausländischen Arbeiter aus, sondern auch Angehörige des nomadischen Al-Murra-Stammes. Deren Beziehung zum katarischen Staat ist historisch angespannt und Gegenstand des Regionalkonflikts mit Saudi-Arabien.
Die Wahlen zum Schura-Rat sollten schon 2004 durchgeführt werden, wurden aber immer wieder verschoben. Mitte September standen die Kandidatenlisten fest. Die ersten landesweiten Wahlen waren ein Meilenstein in der Golfmonarchie.
Worum geht es eigentlich?
Gleichzeitig sollte die Bedeutung der Wahlen nicht überbetont werden: Katar wird keinesfalls zur Demokratie. So wird ein Drittel des Rats von Emir Tamim Al Thani ernannt und damit von ihm politisch abhängig bleiben. Die Machtfülle des Gremiums ist ebenfalls begrenzt: Auch wenn ihm die Verfassung parlamentarische Kernkompetenzen einräumt, wie eine – stark eingeschränkte – Mitsprache beim Staatshaushalt sowie die Möglichkeit, Gesetze vorzuschlagen, ist bei allen relevanten Fragen eine Zweidrittelmehrheit Voraussetzung – eine sehr hohe Hürde.
Hinzu kommt das begrenzte Interesse von Kataris an einer Demokratisierung im westlichen Sinne: So gaben 2019 in einer Umfrage des katarischen Umfrageinstituts SESRI nur zehn Prozent der Befragten an, einen gewählten Rat einem aus ernannten Repräsentanten bestehenden vorzuziehen. Andere Studien legen nahe, dass für Kataris zwar Rechenschaftspflicht eine wichtige Rolle spielt, die Mehrheit dazu aber keinen Widerspruch in einer nicht gewählten politischen Führungsschicht sieht.
Wie geht es nun weiter?
Ein Richtungswechsel ist trotz der Wahlen unwahrscheinlich. Kernbereiche wie Außen- und Investitionspolitik bleiben dem Emir vorbehalten, die politische Klasse behält ihre Rechte und Privilegien. Die katarische Bürgerschaft ist sehr homogen und wurde durch die Blockade-Krise noch weiter zusammengeschweißt.
Eine Gefahr oder auch nur Konkurrenz für die Monarchie ist dadurch, wie schon zur Hochzeit des Arabischen Frühlings 2011, nicht gegeben. Obwohl der Konflikt zwischen Katar und seinen Nachbarn Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain Anfang 2021 offiziell beigelegt wurde, schwelt er auf kleiner Flamme weiter.
Die Regionalpolitik spielt wohl auch bei der Entscheidung zur Durchführung der Wahlen eine Rolle – obwohl die meisten GCC-Staaten über eine Art Parlament verfügen, ist deren Machtfülle und Repräsentativität (mit Ausnahme von Kuwait) noch begrenzter als im künftigen katarischen Schura-Rat. Letztlich sind die Wahlen aber auch ein Signal an die Nachbarn, lässt doch Katars Reformprozess seine Hauptrivalen Saudi-Arabien und teils auch die VAE rückständiger wirken.
Dr. Anna Sunik ist Politik- und Islamwissenschaftlerin. 2020 erschien zum Thema ihr Buch »Middle Eastern Monarchies. Ingroup Identity and Foreign Policy Making«.