Politisch kreativ sein, heißt Widersprüche zu ertragen. Wer wie sie von allen Seiten des Verrats bezichtigt wurde, machte wahrscheinlich etwas richtig.
Wenn sowohl der französische Präsident als auch der Nahost-Beauftragte des Auswärtigen Amts über Twitter kondolieren, zeigt das, dass sie mehr war als eine Nahost-Wissenschaftlerin mit guten Analysen. Bassma Kodmani war eine politische Intellektuelle. Eine Pariser Weltbürgerin aus der Damaszener Bildungsbourgeoisie – bestens vernetzt, dabei aber doch unabhängig. Ihr Engagement galt seit 2011 vor allem ihrer Heimat Syrien, die sie gleichwohl nur als junges Mädchen kennengelernt hatte.
Kodmani wurde 1958 in Damaskus geboren – in einem Frühling, der bald zum Herbst einer freien syrischen Republik werden sollte. Kurz zuvor war Syrien eine Union mit dem Ägypten der »Freien Offiziere« zu einer revolutionären, vom arabischen Nationalismus beseelten Vereinigten Arabischen Republik eingegangen. Das glücklose Unterfangen, welches de facto nur drei Jahre währte, trug nicht zur Stabilisierung des syrischen Staates bei – wohl aber zur Ausbreitung eines militärisch-geheimdienstlichen Machtdenkens, welches später zum Markenzeichen der Arabischen Republik Syrien geriet. Es folgten zwei Putsche, in deren Verlauf sich zuerst die Baath-Bewegung, dann das Haus Assad durchsetzte.
Die Familie Kodmani war Produkt – und Akteurin – syrischer Zeitgeschichte. Kodmanis Vater Nazim hatte als Diplomat nach der Suezkrise 1956 an einer Wiederbelebung der gestörten Beziehungen zwischen Syrien und der ehemaligen Mandatsmacht Frankreich mitgewirkt. Nazim Kodmani überwarf sich nach der Niederlage Syriens im Sechstagekrieg 1967 mit dem Regime und zog mit der Familie ins französische Exil.
Bassma Kodmanis Mutter wiederum stammte aus dem Haus eines berühmten syrischen Nationalisten und Unabhängigkeitskämpfers gegen Frankreich: Dschamil Mardam-Bey (1893-1960). Als vor einigen Jahren, nach Beginn des Aufstands in Syrien, israelische Historiker Details über Beziehungen zwischen Mardam-Bey und der zionistischen Bewegung zutage förderten, nahmen Bassma Kodmanis Feinde dies zum Anlass, sie und ihre Vorfahren als ewige Kollaborateure zu diskreditieren. Wer aber in Syrien von allen Seiten des Verrats bezichtigt wurde, machte wahrscheinlich etwas richtig.
In den 1980er Jahren wurde Bassma Kodmani mit einer Doktorarbeit über den israelisch-palästinensischen Konflikt promoviert – ihr Professor war ein anderer franco-arabischer Weltbürger, Ghassan Salamé, später UN-Sondergesandter für Libyen. Kodmani führte damals eine Ehe mit dem palästinensischen Journalisten Nabil Darwish, dessen Verwandtschaft im Umfeld von PLO-Chef Yassir Arafat verkehrte.
Später wurde Kodmani von arabischen Medien für gemeinsame Medienauftritte mit israelischen Intellektuellen attackiert. Als Programmleiterin der Ford Foundation machte sie sich in Syrien selbstredend verdächtig, amerikanische Interessen zu vertreten. Und als die Französische Republik sie 2012 im Range einer Chevalière in die Ehrenlegion aufnahm, galt dies ihren Kritikern als weiterer Beleg dafür, dass Kodmani finsteren imperialistischen Mächte diene.
Die syrische Gesellschaft sollte selbst die Sache in die Hand nehmen. Schlechter als die internationale Diplomatie konnte sie es auch nicht machen
Kodmani aber fühlte sich dem Geist ihres Großonkels zeitlebens verpflichtet: Dessen Bewegung »Nationaler Block« (Al-Kutla al-wataniya) hatte während der Mandatszeit führende Persönlichkeiten aus allen ethnischen und konfessionellen Gemeinschaften hinter sich vereint. Kodmani glaubte an die Verantwortung der traditionellen Eliten. Gleichzeitig dachte sie nicht elitistisch. In ihren öffentlichen Erklärungen wies sie auf die Bedeutung der Zivilgesellschaft hin: Diese speise ihre Kraft nicht aus einer gemeinsamen Herkunft, sondern einem gemeinsamen Willen, etwas zu verändern.
Diese Überzeugungen brachte Kodmani in zahlreiche Initiativen ein: sei es der oppositionelle Syrische Nationalrat, das Verfassungskomitee unter Ägide der UN in Genf oder der Rat der syrischen Charta, wo sie mit führenden Familien, Intellektuellen und Stammesvertretern aus dem Regime-Gebiet und der Diaspora zusammentraf und an gemeinsamen Lösungen arbeitete – über politische Lager hinweg.
Wenn die internationalen Mächte nicht in der Lage waren, den Krieg zu beenden, mussten ihr zufolge diejenigen die Sache in die Hand nehmen, welche die Hauptleidtragenden sind: die syrische Gesellschaft. Wer über deren mangelnde Erfolgsaussichten spottete, musste sich zum Vergleich nur die Bilanz der internationalen Gemeinschaft mit ihren zahllosen Konferenzen, mächtigen Armeen und millionenschweren Einsätzen anschauen, um demütig zu werden.
Willst Du Frieden, rüste Dich für den Krieg
Kodmani war in ihrem Denken unorthodox und damit wiederum eine typische Vertreterin des Damaszener Bürgertums, welches politische Widersprüche aushalten kann. Einerseits engagierte sie sich zu Beginn der Syrienkrise in mehr oder weniger diskreten, zum Teil von Frankreich und anderen westlichen Staaten unterstützten Vorhaben, eine nationalistisch orientierte, oppositionelle Streitmacht aufzurüsten, um Damaskus zu Verhandlungen zu zwingen.
Andererseits unterstützte Kodmani Dialog-Angebote an das Regime. Sie suchte Kontakte ins syrische Inland und forderte früh, was den oppositionellen Kräften weitgehend fehlte: ein Verständnis für diejenigen Syrerinnen und Syrer, die sich dem Aufstand nicht anschließen wollten – etwa die alawitische Gemeinschaft, aus welcher die Familie Assad stammt.
Kodmani durchschaute die zerstörerische Symmetrie in der Wirkungslogik extremistischer Kräfte und des syrischen Regimes, welche die Volksgemeinschaften gegeneinander in Stellung brachten und mit Angst und Ressentiments mobilisierten. Dem durch gesellschaftliche Kräfte entgegenzuwirken, war in den letzten Jahren ein zentrales Anliegen Kodmanis.
Der russische Eingriff in den Krieg 2015, das Erwachsen von Terrorgruppen wie der Miliz »IS« und das Scheitern arabischer und westlicher Versuche, auf den Konflikt einzuwirken, desillusionierten Kodmani. Sie war allerdings nicht zu stolz, mit denjenigen zu sprechen, welche noch Macht in Syrien ausübten – seien es Russland, die Türkei, die Milizen der »Syrischen Demokratischen Kräfte« oder Persönlichkeiten mit Kontakten ins syrische Regime. So unternahm sie 2021 auch eine diskrete Mission in den von kurdischen Kräften dominierten Nordosten des Landes.
Mit ihrer einflussreichen Stimme und ihren Kontakten machte Kodmani sich nicht nur das Assad-Regime, sondern auch die Muslimbrüder und andere, radikalere Kräfte in der Opposition zu Feinden, welche zunehmend zu Erfüllungsgehilfen türkischer Machtinteressen wurden. Letztere vereitelten auch Versuche Kodmanis, in der Opposition eine führende Stellung einzunehmen.
Kodmani hatte bei verschiedenen Think-Tanks und Forschungseinrichtungen gearbeitet, blieb aber zeitlebens eine Gründerin: So rief sie mit anderen Intellektuellen 2005 etwa die »Arab Reform Initiative« ins Leben. Ihr Thema: angewandte Wissenschaft. Wie konnte man Forschungsergebnisse zum Nutzen der Zivilgesellschaft und für eine bessere Politik in der arabischen Welt verwenden?
Bassma Kodmani starb am 2. März 2023 kurz vor Vollendung ihres 65. Lebensjahrs in Paris.