Der türkische Präsident Erdoğan droht mit einer weiteren Offensive in Nordsyrien – und treibt Washington vor sich her. Trotz Einigung über eine »Sicherheitszone« kommen die USA in der medialen Bewertung schlecht weg. Eine Presseschau.
Türkische Truppen und verbündete Milizen sind bereits zweimal auf syrisches Gebiet vorgerückt, beide Male westlich des Euphrats. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verlangt nun eine 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone im Osten. Noch aber sind in dieser Gegend Hunderte US-Soldaten stationiert und kurdische »Volksverteidigungseinheiten« (YPG) etablieren ihr Autonomie-Projekt Rojava.
Für die Vereinigten Staaten waren die YPG ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS), Ankara ist diese Verbindung ein Dorn im Auge. Die US-Regierung versuchte zunächst, einen abermaligen türkischen Einmarsch zu verhindern und setzte auf bilaterale Verhandlungen. Nun verkündete die US-Botschaft in Ankara, man habe sich auf eine mögliche »Friedenszone« verständigt.
Dass die türkische Regierung wieder in den Syrien-Konflikt eingreift, liegt auch am steigenden Druck aus der eigenen Bevölkerung. Umfragen zeigen, dass immer mehr Türken die etwa drei Millionen syrischen Flüchtlinge möglichst schnell loswerden möchten – zumal durch die erneuten Kämpfe an der Idlib-Front eine neue Fluchtbewegung Richtung Türkei bevorstehen könnte. Erdoğan hat bereits angekündigt, syrische Flüchtlinge in der Pufferzone in Nordsyrien ansiedeln zu wollen.
Die Zeitung Yeni Özgür Politika gilt als Sprachrohr der PKK und wird seit 2006 in Deutschland herausgegeben. Der ohne Autoren-Name veröffentlichte Kommentar bezeichnet die türkischen Einmarsch-Pläne als »Zerstörungseinsatz« aus antikurdischer Motivation. Der Invasionsplan gefährde jegliches Gleichgewicht in der Region. Die vermeintliche Sorge um die Sicherheitslage an der Grenze sei nur vorgeschoben, schließlich habe es aus dem Gebiet Rojava heraus nie einen Angriff auf die Türkei gegeben. Im Gegenteil: In den westlich des Euphrats gelegenen Gebieten unter türkischer Besatzung, etwa in Afrin, hätten sich die Armee und ihre verbündeten Milizen unzähliger Verbrechen an der kurdischen Bevölkerung schuldig gemacht, darunter Mord, Vergewaltigung und Folter.
In der türkischen Presse, die nach Jahren der Repressionen regierungskritischen Stimmen kaum noch Raum gibt, liegt der Fokus auf der YPG. In der Tageszeitung Sabah übernimmt Kommentator Mehmet Yildirim die Forderung der türkischen Führung, dernach ein weiterer Einsatz gegen den syrischen PKK-Ableger über eine Strafexpedition hinaus gehen müsse. Stattdessen müsse die Infrastruktur der »Terrororganisation« ins Visier genommen, sämtliche Waffen beschlagnahmt sowie Tunnel und Stützpunkte zerstört werden.
Auch das angespannte Verhältnis der NATO-Partner Türkei und USA steht im Fokus der türkischen Berichterstattung. Zwar verlieren Trump und Erdoğan in der Öffentlichkeit kein schlechtes Wort übereinander, doch die bilateralen Beziehungen sind belastet. Nachdem die türkische Regierung das russische S400-Raketenabwehrsystem kaufte, drohte Washington Anfang Juli mit Sanktionen. Ankara kündigte für diesen Fall Gegenmaßnahmen an.
Doch auch das Verhältnis zu Washington wird primär durch das Prisma des Konfliktes mit der PKK gesehen – und das Szenario einer Ausweitung des türkischen Einsatzes in Syrien als effektives Druckmittel gegenüber der US-Regierung. Bereits im Dezember 2018 hatte Erdoğan mit einem Einmarsch ins Nachbarland gewarnt, sollten die USA nicht ihre Truppen abziehen. Genau diesen Schritt kündigte der US-Präsident daraufhin an, ohne ihn in Gänze umzusetzen. Sowohl das Ausmaß der US-Präsenz in Syrien als auch das Verhältnis zur YPG sind weiter nicht genau definiert.
Die türkische Presse hebt vor allem dieses Dilemma der US-amerikanischen Syrien- und Antiterrorpolitik hervor. So auch das Boulevard-Blatt Güneş. Im Leitartikel zur Syrien-Frage bezeichnet Politik-Analyst Yusuf Erim vom »TRT World Research Centre« die Kooperation der Amerikaner mit der YPG als »das schlimmste Geheimnis, das in Washington gehütet wird.« Die Vereinigten Staaten würden gegen ihre eigenen Gesetze verstoßen, denn nach US-amerikanischem Recht sei es verboten, mit einer terroristischen Vereinigung zusammenzuarbeiten.
Kritik sowohl an Washington als auch an Ankara kommt wie zu erwarten aus Damaskus. Das Regime-Sprachrohr Al-Thawra bezeichnet die Verhandlungen zwischen der amerikanischen und der türkischen Regierung als »neuestes Heuchelei-Stück«. Beide Staaten fänden immer wieder Vorwände, um syrisches Territorium anzugreifen, diesmal sei es die »osmanische Wahnvorstellung«, die die türkische Regierung antreibe.
In dem Artikel, der unmittelbar vor der kurzfristigen Einigung zwischen Ankara und Washington erschien, ist die Genugtuung über die Querelen zwischen den NATO-Partnern unverkennbar. Der Streit über »die sichere Zone schafft eine Kluft zwischen den Partnern des Terrorismus.«