Der Golfkooperationsrat ist ein Schlüssel für die Zukunft der Region. 40 Jahre nach seiner Gründung will ihn trotzdem niemand feiern.
Seit rund einem halben Jahrhundert haben die Golfstaaten ihre Wirtschaft, aber auch soziale und politische Dynamiken an den Export von fossilen Brennstoffen geknüpft. In der Region finden sich mit die größten Öl- und Gasreserven der Welt. Die Aussicht auf eine globale Wirtschaft, die ihre Abhängigkeit von eben diesen Energieträgern reduzieren will, mischt jedoch die Karten neu. Mit sinkender Nachfrage werden die Herrscher am Golf förmlich dazu gezwungen werden, eine zunehmend von Eigeninteressen geprägte Wirtschaftspolitik zu verfolgen.
»Die Staaten am Golf liefern sich einen kostspieligen Konkurrenzkampf«, konstatiert Frederic Schneider, Ökonom und Senior Research Associate an der Cambridge University, gegenüber zenith und schlägt vor: »Anstatt einander mit sinnlosen Projekten zu überbieten, sollten die Länder jeweils ein spezifisches Alleinstellungsmerkmal herausarbeiten.«
Vor 40 Jahren wurde der Golfkooperationsrat (GCC) gegründet. Sein Ziel: eine verstärkte Zusammenarbeit der arabischen Länder am Golf. Doch die Front zeigt schon lange Risse. Zuletzt hat Saudi-Arabien im Streit um Förderquoten im Juli 2021 beschlossen, ein im GCC vereinbartes Zollabkommen zumindest teilweise auszusetzen. In den Freihandelszonen der Region hergestellte Waren müssen bei Einfuhr nun versteuert werden, was vor allem die Wirtschaft der Vereinigen Arabischen Emirate (VAE) belastet.
Das Königreich wird außerdem höhere Zollgebühren für jene Güter aus den anderen Golfstaaten verlangen, die von Unternehmen hergestellt wurden, deren Belegschaft sich zu weniger als 25 Prozent aus Bürgern eines GCC-Mitglieds zusammensetzt. Eine Entscheidung, die vor allem die VAE und Katar treffen wird, wo Einheimische nur zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, die dann noch überwiegend im öffentlichen Sektor arbeiten.
Dabei könnte die zunehmende Sorge vor den Folgen des Klimawandels dazu beitragen, die koordinierende Rolle des GCC zu stärken – und so beim Umbau der bislang vom Export fossiler Brennstoffe abhängigen Golf-Ökonomien zu helfen. Der GCC könnte dazu dienen, dass die Golfstaaten voneinander lernen, Synergien schaffen und so ein Wirtschaftswachstum erzeugen, das nicht auf den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft beruht.
Bessere Absprachen beim anstehenden Umbau der Wirtschaft würden »jeden Sektor stärken, der auf Forschung und Entwicklung angewiesen ist«, glaubt der bahrainische Ökonom Omar Al-Ubaydli im Gespräch mit zenith. Davon würden Forschungsfelder wie erneuerbare Energien, künstliche Intelligenz, Robotik und andere Wachstumstreiber profitieren. »Die Europäische Union hat gezeigt, wie wirtschaftliche Integration auch die Forschung beschleunigt«, sagt Al-Ubaydli und nennt das Erasmus-Programm als Beispiel. »Daran sollten sich die Golfstaaten orientieren.«
Mehr Zusammenarbeit und Abstimmung im Energiesektor würden die GCC-Staaten auch insgesamt schlagkräftiger machen, glaubt Cinzia Bianco, die zu Europa und den Golfstaaten am European Council on Foreign Relations forscht. Die Länder hätten so mehr Verhandlungsmacht, glaubt Bianco. »Auf diese Weise könnten sie ihren einzigartigen Ressourcenreichtum besser ausspielen«, etwa in Verhandlungen mit asiatischen Staaten, den weltweit größten Abnehmern von Öl und Gas.
Dass sich solch eine Entwicklung zeitnah vollzieht, hält Bianco hingegen für unwahrscheinlich. Der Golfkooperationsrat habe »keine gemeinsamen Institutionen geschaffen«, in denen seine Mitglieder Teile ihrer »Souveränität bündeln und an eine supranationale Organisation abtreten«, sagt Bianco gegenüber zenith. »Nicht einmal über das Konzept wird beraten.«
Beim Kampf um die wirtschaftliche Vormachtstellung am Golf ist in den letzten Jahren vor allem der regionale Zusammenhalt unter die Räder gekommen. Bereits 2017 war der GCC praktisch gelähmt. Verärgert über die Unterstützung der Muslimbrüder, die Beziehungen zu Iran und der eigenmächtigen Außenpolitik, begannen damals Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain einen Boykott des Emirats Katar. Die Krise hat die Grenzen der Zusammenarbeit offengelegt – und das in einer Region, in der vor allem die wechselhaften Beziehungen der jeweiligen Herrscherfamilien vorgeben, was möglich ist und was nicht.
Bereits 1867 hatte der damalige König von Bahrain, Muhammad bin Khalifa Al Khalifa, vergeblich versucht, mit Unterstützung der Eliten in Abu Dhabi die Herrschaftsfamilie Katars, die Al Thani, zu stürzen. Die Krise von 2017 bis 2021, so sehen es viele Beobachter vor Ort, sei lediglich die jüngste Auflage dieser Auseinandersetzung. Rivalitäten, Neid, Putschversuche, Kämpfe und Überfälle sind ein fester Bestandteil der Geschichte des Golfs und werden auch künftig eine Rolle spielen.
Dieser Hassliebe zum Trotz sei der Golfkooperationsrat »lebendig und stark«, glaubt hingegen der emiratische Politologe Abdulkhaleq Abdulla gegenüber zenith. Würde sich der GCC vor allem auf Wirtschaftsfragen fokussieren, könnte er das Vertrauen der Golfstaaten ineinander stärken und so seine Daseinsberechtigung unterstreichen. »Der GCC muss deutlich machen, wofür er steht, und nicht, wogegen er kämpft«, resümiert ein Diplomat am Golf, der namentlich nicht genannt werden will. Tatsächlich wurde die Organisation kurz nach der Islamischen Revolution 1979 gegründet – nicht zuletzt, um den iranischen Einfluss zurückzudrängen.
Auch heute ist die Frage nach dem Einfluss Irans von größter Bedeutung für die Golfstaaten. Das Atomabkommen 2015 war von den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats und Deutschland ohne Konsultation der GCC-Mitglieder unterzeichnet worden – aus Sicht der Golfstaaten eine nur schwer zu verdauende Entscheidung. Nachdem US-Präsident Donald Trump 2018 aus dem Abkommen ausgestiegen war, verhandelt Joe Biden nun mit der neuen Führung in Teheran – auch wenn die Machtübernahme des Hardliners Ebrahim Raisi die Verhandlungen erschwert.
»Es war ein Fehler, den GCC damals nicht an den Verhandlungstisch einzuladen. Die Golfstaaten hätten dabei sein müssen«, ist der saudische Analyst Faisal Al-Shammeri überzeugt. Die Organisation könnte nun aber das Mittel der Wahl sein, nachdem Kronprinz Muhammad Bin Salman (MBS) Ende April ankündigte, das Königreich wolle »positive Beziehungen« zu Iran aufbauen.
Am 25. Mai 2021 wurde der GCC 40 Jahre alt. Es war ein Jahrestag ohne Pauken und Trompeten, vier Jahrzehnte nachdem die Herrscher der sechs arabischen Golfstaaten im Hotel Intercontinental in Abu Dhabi zum ersten Gipfeltreffen der Organisation zusammenkamen. »Der GCC hat seine Kritiker vom ersten Tag an Lügen gestraft«, glaubt Politologe Abdulkhaleq Abdulla. Doch die Erfolge der Organisation sind überschaubar.
So wurden Pläne für eine gemeinsame Währung in den Golfstaaten auf absehbare Zeit auf Eis gelegt. Die Einführung einer gemeinsamen Mehrwertsteuer von fünf Prozent verlief chaotisch: Während es sie in Katar und Kuwait bis heute nicht gibt, hat Saudi-Arabien sie im Juli 2020 eigenmächtig verdreifacht.
2009 wurde damit begonnen, die nationalen Stromnetze miteinander zu verknüpfen, um so Stromausfällen vorzubeugen. Doch der Austausch von Strom über Landesgrenzen hinweg habe »kaum Fahrt aufgenommen«, berichtet eine Person, die in der Behörde arbeitet, die für diesen Austausch zuständig ist. Die Golfstaaten würden aber dennoch Strom in das GCC-Netz einspeisen, »einfach nur, damit es benutzt wird«.
Obwohl Saudi-Arabien und die VAE über ein Streckennetz verfügen, wurde das Vorhaben eines gemeinsamen, golfweiten Schienennetzes immer wieder verschoben – auch wenn sich dadurch der Handel zwischen den einzelnen Ländern »verdoppeln oder verdreifachen« könnte, wie GCC-Generalsekretär Nayef Al-Hajraf in einem Interview im Mai 2021 vorrechnete.
Solch ein Projekt könnte auch dazu beitragen, den CO2-Ausstoß der Region drastisch zu reduzieren. Was aber ist abseits von diesen eher gemächlichen Fortschritten tatsächlich gelungen? Da wäre die Schaffung einer Zollunion mit einem gemeinsamen Markt und offenen Grenzen für die Bürger der sechs Länder. Zwischen 1983, als der Warenaustausch dank eines Freihandelsabkommens begann, und 2014, ist das Handelsvolumen innerhalb des GCC um das 40-Fache gestiegen.
Bader Al-Saif ist Assistenzprofessor für Geschichte an der Kuwait University und glaubt, dass der GCC eine »zentrale Rolle« in vielen Bereichen gespielt habe, darunter Sicherheit, Wirtschaft, Bildung, Gesundheit, IT und Umwelttechnik. Doch auch er hält die Bilanz für »durchwachsen«, viel mehr hätte erreicht werden können.
Ein westlicher Diplomat fasst es so zusammen: »Die Golfstaaten müssen verstehen, dass gemeinsam mehr gelingt.« Damit aber echte Kooperation zustande käme, müssten zuerst die einflussreichsten Länder – Saudi-Arabien, die VAE und Katar – ihre jeweiligen Interessen im Sinne des gemeinsamen Interesses einander angleichen.
Jenseits der wirtschaftlichen Kennzahlen hat der GCC aber auch die sich so schnell verändernden Gesellschaften geprägt. In den vier Jahrzehnten seit ihrer Gründung habe die Organisation auch bereits existierende soziale Kontakte vertieft und eine gemeinsame Identität geschaffen, merkt Politologe Abdulkhaleq Abdulla an. »30 Millionen Menschen bezeichnen sich heute als Khaleejis«.