Der russische Krieg und die Energiekrise machen die Golfstaaten zu gefragten Partnern in Brüssel genauso wie in Beijing. Sie haben gute Karten in einem riskanten Spiel.
Im Dezember 2022 wurde der chinesische Präsident Xi Jinping in Saudi-Arabien erwartet. Dort wurde er mit allen Ehren zu einem arabisch-chinesischen Gipfeltreffen empfangen werden, an dem die Spitzenpolitiker der wichtigsten Länder der Region teilnahmen. Es ist kein Zufall, dass ein solcher Gipfel in Saudi-Arabien geplant war, denn die Golfmonarchien sind die Hegemonen der Region und orientieren sich immer mehr gen Osten.
Darüber hinaus haben die Ergebnisse des Treffens diejenigen politischen Entscheidungsträger in den Vereinigten Staaten und Europa überrascht, die den chinesischen Vorstößen in der Golfregion sowie den gemeinsamen strategischen Visionen Pekings und einiger wichtiger Golfhauptstädte nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt haben. Während China für Kuwait, Katar und Bahrain in erster Linie ein Wirtschaftspartner ist, geht es für die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und den Oman um weit mehr.
Das Bewusstsein eines drohenden Rückzugs der USA aus dem Nahen Osten wurde nach dem Arabischen Frühling immer dringlicher. Das führte dazu, dass die Golfmonarchien eine Diversifizierung ihrer Beziehungen anstrebten. Für sie ist dieser Kurswechsel inzwischen fast zu einem Dogma geworden. Sie bemühen sich aktiv um den Aufbau engerer Beziehungen zu internationalen Partnern wie Russland, Indien und, in noch stärkerem Maße, China.
Viele Entscheidungsträger in Washington glauben nach wie vor, dass der Flirt mit Beijing vor allem dazu dient, das Interesse der USA an der Golfregion aufrechtzuerhalten – eine überholte Sichtweise, denn die meisten Staatenlenker am Golf rechnen längst nicht mehr damit, dass die Amerikaner auf absehbare Zeit zu dem Maß früheren Engagements in der Region zurückkehren werden. Auch die einst populäre Vorstellung, dass die Beziehungen zwischen den Golfmonarchien und China ausschließlich wirtschaftlicher Natur seien, ist in einer Welt der wettbewerbsorientierten Multipolarität, in der die Grenzen zwischen Wirtschaft und Geopolitik zunehmend verschwimmen, nicht haltbar.
Wie so oft am Golf hat sich die geopolitische Hinwendung zu China aus dem Kernthema der Region heraus entwickelt: Energie. Während die USA 2014 energieunabhängig wurden und die Europäische Union (EU) auf billige russische Energie zählen konnte, benötigten die sich schnell entwickelnden Nationen in Asien immer mehr fossile Brennstoffe – und bekamen sie von den Golfmonarchien.
Dann könnte Öl neben dem US-Dollar auch in chinesischen Renminbi gehandelt werden
In den letzten Jahren ist die Energiefrage zu einem Eckpfeiler der Beziehungen der Golfstaaten zu China geworden. Im Jahr 2019 war China das mit Abstand wichtigste Zielland für saudisches Rohöl, da Riad mehr als ein Viertel seines Öls im Gesamtwert von 35,6 Milliarden Euro nach China lieferte. Damit deckt Saudi-Arabien heute ein Fünftel des chinesischen Energiebedarfs und ist so zum wichtigsten Energielieferanten für Beijing geworden. Auch Oman, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate sind alle in der Liste der zehn wichtigsten Lieferländer für Öl nach China. In einem geringeren Maß ist China auch ein wichtiger Kunde für katarisches Gas. Doha exportierte 2019 Erdgas im Wert von 7,81 Milliarden Euro nach China.
Die langfristige Perspektive, die Beijings Nachfrage bietet, treibt die Hinwendung der Golfmonarchien gen China im Energiebereich voran: Während die USA und die EU in den vergangenen Jahren immer stärker die Ära nach dem Öl in den Fokus rücken, hält China an seinem wachsenden Öl- und Erdgasbedarf fest, der 2050 seinen Höhepunkt erreichen soll. In diesem Sinne könnte das arabisch-chinesische Gipfeltreffen im Dezember 2022 eine Premiere zeitigen: Denn ab dann könnte Öl neben dem US-Dollar auch in chinesischen Renminbi gehandelt werden.
Aufbauend auf dieser Energiepartnerschaft sieht China die Möglichkeit, gemeinsame Wirtschaftsbeziehungen zu entwickeln, die über Jahrzehnte Bestand haben. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich alle Golfmonarchien zu ehrgeizigen Programmen zur Diversifizierung verpflichtet, meist zusammengesetzt aus dem Wort »Vision« sowie einer Jahreszahl. Diese Programme stehen und fallen mit erheblichen ausländischen Investitionen – und China ist der wichtigste potenzielle Investor in der Region.
China versucht derweil, die Golfmonarchien in seine »Belt and Road«-Initiative (BRI) einzubinden, die die Welt mit chinesischen Lieferketten und Produktionsstätten verbinden soll. Chinesische Investitionen in die Häfen und Freihandelszonen von Jebel Ali (VAE) und Duqm (Oman) haben gezeigt, wie Beijing die Ambitionen dieser Länder befördert, zu logistischen Drehscheiben für den internationalen Handel aufzusteigen.
Neben kritischer Infrastruktur hat China auch im digitalen Bereich die Oberhand
Neben kritischer Infrastruktur hat China auch im digitalen Bereich die Oberhand. Der chinesische Mobilfunk-Ausstatter Huawei ist in der Golfregion inzwischen Branchenführer bei der Entwicklung von 5G-Netzen und hat damit seinen europäischen Konkurrenten Nokia-Ericsson überholt. Beijing sieht in digitalen Infrastrukturen eine Ergänzung zum Aufbau von Projekten im Rahmen der »Neuen Seidenstraße«. Beim Gipfel im Dezember wurden eine Reihe formeller Vereinbarungen geschlossen , die Huaweis Führungsrolle in der Region auch gegen deutlichen Widerstand der USA zementieren.
In einigen Fällen wie etwa beim omanischen Tiefseehafen Duqm hat China seine Versprechen nicht eingehalten und Bedingungen für die Finanzierung gestellt, die in den Hauptstädten der Golfstaaten mitunter als Erpressung angesehen wurden. Dennoch steht die chinesische Langzeitstrategie für die Golfmonarchien in scharfem Kontrast zu der Unklarheit in den USA und Europa über die künftigen Beziehungen und den strategischen Wert der Region für den Westen. Die »Global Gateway«-Initiative, mit der die EU auf die »Neue Seidenstraße« reagierte, bietet noch keine konkrete Alternative zu China im Bereich der globalen Logistik und hat den Golfmonarchien nicht einmal eine vergleichbare Priorität wie Beijing eingeräumt.
Im Energiebereich haben die Europäer erst in Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine neue Gespräche mit den Golfmonarchien aufgenommen. Angesichts der wachsenden Abhängigkeit von China als Großkunde finden Europas Avancen durchaus Gehör am Golf. Einstweilen sind diese Verhandlungen aber noch in einem frühen Stadium. Darüber hinaus sind die Europäer an die Energiegespräche unkoordiniert herangegangen – das Ergebnis waren nationale Alleingänge.
Und sie zögerten, anzuerkennen, dass die Energiepartnerschaft zu den Golfmonarchien Teil eines umfassenderen Rezepts für strategische und geopolitische Beziehungen sein muss. Ein Hindernis bei den Gesprächen besteht darin, dass die Perspektiven und Visionen der Europäer und der Golfstaaten in Bezug auf die gewünschte globale Entwicklung nach wie vor voneinander abweichen. Zudem hat China im Gegensatz zu den Europäern kein Interesse daran, eine Menschenrechts- oder Demokratisierungsagenda in den Golfmonarchien voranzutreiben.
In den USA und Europa will man in erster Linie gefährliche Abhängigkeiten beseitigen
Exemplarisch für die gegensätzlichen Standpunkte von EU und Golfstaaten ist die Haltung zur russischen Invasion in der Ukraine. Als die USA, die EU und ihre Verbündeten Moskau diplomatisch und wirtschaftlich isolierten, nahmen die Golfmonarchien eine neutrale Haltung ein, was in den westlichen Hauptstädten für Aufsehen sorgte. Am 25. Februar enthielten sich die VAE im UN-Sicherheitsrat der Stimme, als es darum ging, die russische Invasion zu verurteilen. Außerdem weigerten sich alle GCC-Monarchien, in der UN-Generalversammlung im April für den Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat zu stimmen.
Die Golfstaaten haben weder Sanktionen gegen Russlands Handels- und Finanzsystem verhängt noch gegen seine politisch-wirtschaftliche Elite, also Spitzenbürokraten und Oligarchen. Stattdessen bieten sie sich gar als sicherer Hafen für sanktionierte Individuen sowie russisches Kapital an – allen voran Dubai.
Weder US-Präsident Joe Biden noch die europäischen Staats- und Regierungschefs konnten die Golfmonarchien davon überzeugen, das OPEC+-Abkommen mit Russland auszusetzen und die Ölproduktion zu erhöhen, um den steigenden Energiepreisen entgegenzuwirken. Vertreter aus allen Golfmonarchien haben den russischen Außenminister Sergej Lawrow getroffen, nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war. Diese unterschiedliche Positionierung hat viele Gründe. Dazu zählen etwa die getrübten Beziehungen der USA zu den Golfmonarchien sowie die schwache Position Europas in der Region. Vieles davon hat aber auch mit China zu tun.
Die Golfmonarchien – insbesondere Saudi-Arabien und die VAE – betrachten zwei Faktoren als entscheidend für ihre globale Relevanz: zum einen die fossilen Brennstoffe, zum anderen ihre geostrategische Lage an der Schnittstelle zwischen Asien, Afrika und Europa. Im Zentrum dieser Globalisierung zu stehen, kommt ihrer Vorstellung von Erfolg in der Zeit nach dem Öl gleich. Das steht eindeutig im Widerspruch zu den Vorstellungen der USA und Europas. Denn hier will man in erster Linie gefährliche Abhängigkeiten beseitigen, die durch die Globalisierung zwischen westlichen Demokratien und autokratischen Staaten mit unberechenbarer und aggressiver Politik wie Russland und insbesondere China entstanden sind.
Die Untergrabung der Wirksamkeit westlicher Sanktionen gegen Russland liegt im Interesse der Golfmonarchien
Im Ergebnis haben einige Golfmonarchien ein klares Interesse daran, Washingtons und Brüssels Bemühungen um eine Abkopplung zu untergraben und die Sanktionen als geopolitische Instrumente des Westens auszuhöhlen. Damit stellt man sich auch gegen das Konzept, den geopolitischen Wettbewerb als Handelskrieg auszuspielen.
In diesem Sinne liegt die Untergrabung der Wirksamkeit westlicher Sanktionen gegen Russland im Interesse der Golfmonarchien, nicht nur um unmittelbare wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Es geht den Golfstaaten auch darum, dass an Russland kein Exempel statuiert wird, welches als Nächstes gegen China Anwendung finden könnte.
Die EU-Sanktionen hatten jedoch noch einen weiteren Effekt: eine Verlagerung der russischen Ölexporte von Europa Richtung China. Im August stiegen die russischen Rohölexporte nach China im Jahresvergleich um 28 Prozent und machten damit Saudi-Arabien Konkurrenz. Sollten die Gespräche über ein Nuklearabkommen mit Iran scheitern, wird China voraussichtlich auch auf billiges iranisches Öl zurückgreifen.
In diesem Zusammenhang könnte ein möglicher Rückgang der Ölnachfrage aus China die Golfmonarchien dazu veranlassen, ihre eigene Abhängigkeit von Peking zu verringern und sich wieder Richtung Europa als Markt zu orientieren.
Dr. Cinzia Bianco ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim European Council on Foreign Relations (ECFR), wo sie sich mit Entwicklungen auf der Arabischen Halbinsel und in der Golfregion sowie mit den Beziehungen zu Europa befasst. Sie ist Non-Resident Scholar am Middle East Institute in Washington, D. C. Corrado Čok ist Analyst bei der in Washington ansässigen Beratungsfirma Gulf State Analytics, die auf die Golfmonarchien spezialisiert ist. Derzeit unterstützt er die Durchführung eines humanitären Projekts in Dschibuti, das sich auf das Horn von Afrika und seine Beziehungen zu den Ländern des Nahen Ostens konzentriert.