Politisch bemüht sich Oman über Deeskalation am Golf. Die unsichere Zukunft der Straße von Hormus könnte dem größten Industrieprojekt des Sultanats einen entscheidenden Schub geben.
Amna Nasser Al-Sharji sitzt am Computer und zeigt eine neue Welt: Wohnviertel, Einkaufsstraßen, Hotelkomplexe, Industrieansiedlungen – alles ist da. Allerdings erst auf dem Bildschirm, an dem sie die Zukunft entwirft. Bisher steht das Bürohaus, in dem die junge Stadtplanerin arbeitet, mitten im Nichts. Duqm liegt ziemlich genau auf der Hälfte zwischen der Hauptstadtregion Maskat und Salalah am anderen Ende Omans. Duqm war noch vor 30 Jahren ein kleines Fischerdorf mit vielleicht tausend Einwohnern, bevor der Staat die Gegend Mitte der 1990er Jahre als Standort absteckte: 2.000 Quadratkilometer, so groß wie das Saarland und an einem 95 Kilometer langen Küstenstreifen gelegen. 2011 wurde der Ausbau zur Freihandelszone mit günstigen steuerlichen Bedingungen beschlossen – und zusätzlichen Anreizen für Investoren, darunter etwa das Recht, ihr eingesetztes Kapital und die Gewinne komplett einbehalten zu können.
Auf Duqm ruhen große Hoffnungen: Die Region soll mit dem nach Angaben Omans größten Industriehafen des Nahen Ostens den Schiffsverkehr von und nach Asien und Afrika neu bestimmen. Geldgeber aus aller Welt sollen Schwerindustrieanlagen, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen und die umgebende Stadtplanung finanzieren. Ein paar Kilometer weiter sollen Hotelanlagen an einem feinen Sandstrand Touristen anlocken. Kein Widerspruch, findet Amna, die an der German University of Technology in Oman (GUtech) studiert hat, die mit der RWTH Aachen assoziiert ist: »In Maskat liegt die Raffinerie mitten in der Stadt und die angrenzenden Grundstücke gehörten lange zu den teuersten der Umgebung«, argumentiert die Stadtplanerin.
Industrie, Hafenbetrieb und Tourismus sollen in Duqm für Hundertausende neue Jobs sorgen. Dafür soll auch eine Infrastruktur für die Menschen geschaffen werden, die hier mal arbeiten und leben sollen, inklusive Einkaufspassagen, Restaurants, Krankenhäuser und Moscheen. All das wird am virtuellen Reißbrett von Amna und ihren Kollegen geplant – für Oman ein Novum. Alle anderen Städte dort wuchsen bisher unkoordiniert mit der Zeit. Eine Ausnahme ist das Quartier Al-Mouj (»Die Welle«) in Maskat: arabischer Bauhausstil entsteht dort aus der Retorte. »Wie Duqm letztlich aussieht, sollen die Investoren bestimmen. Wir stellen ihnen unsere Visionen vor, aber sie können auch eigene Ideen einbringen«, sagt Amna. Einige Wohnviertel stehen bereits – für die bisherigen Einwohner der Gegend, die umgesiedelt wurden, und bereits bezugsfertig als Geisterstädte für diejenigen, die da noch kommen sollen.
»Wenige hochqualifizierte Omaner werden in der Ölraffinerie, im Hafen und in der umgebenden Industrie beschäftigt und pendeln am Wochenende zu ihren Familien in Maskat oder Salalah – während Expats die anderen Jobs vor Ort erledigen.«
Die Umgebung, in die das Projekt eingebettet wird, existiert zum Großteil unverändert seit mehr als 40 Millionen Jahren. Die ausgefallenen Felsformationen aus Sand- und Kalkstein ähneln Löwen, Drachen oder überdimensionalen, zu Stein gewordenen Küken. Der »Rock Garden« soll künftig Teil eines geologischen Parks werden, und die künftigen Bewohner wie auch Touristen anziehen. Von der Natur in Urzeiten geschaffene Steinskulpturen innerhalb einer neuen, menschengemachten Welt.
Ob in der Region allerdings viele Arbeitsplätze für die omanische Bevölkerung entstehen, das bezweifelt Thomas Richter von der Nahost-Abteilung des GIGA (German Institute of Global and Area Studies). »Dafür wird dort zu wenig Lebensqualität geboten. Was ist der Vorteil von Duqm gegenüber den grünen Bergen von Salalah und der quirligen Hauptstadtregion Maskat mit ihren Restaurants und Freizeitangeboten? Das werden wohl auch die meisten Touristen so sehen.« Er hält es für wahrscheinlich, dass wenige hochqualifizierte Omaner in der Ölraffinerie, im Hafen und in der umgebenden Industrie beschäftigt werden und am Wochenende zu ihren Familien in Maskat oder Salalah pendeln – während Expats die anderen Jobs vor Ort erledigen.
Angekommen am kleinen »International Airport« an, der im letzten Jahr einen Passagierterminal erhielt, wartet bereits Saleh Nabahan Al-Mamari, der Mediendirektor für die »Special Economic Zone Authority« (SEZAD), der die geführte Tour über das Areal begleitet. Es geht über akkurat angelegte und beleuchtete Straßen, die durch sandige Flächen mit gleichfarbigen flachen Hügeln verlegt wurden. Auch die ausgeschachteten Wassergräben und Deiche gegen mögliche Überflutungen durch Zyklone sind bereits fertiggestellt. Ein Schild kündigt den China-Oman (Duqm) Industrial Park an – er ist als Teil der sogenannten Neuen Seidenstraße geplant. Die Baustelle für ein erstes Bürogebäude im Hintergrund ist laut Saleh innerhalb der letzten acht Monate emporgewachsen – die weitere Entwicklung ist trotz einer angeblich geplanten Investition von 10,7 Milliarden Dollar unklar.
Die Oman Drydock Company beschäftigt jetzt schon 3.000 Arbeiter aus 95 Ländern. Künftig sollen es 10.000 sein. Zwei Docks mit einer Länge von über 400 Metern und fünf Kais mit einer Gesamtlänge von 2,8 Kilometern.
Weiter geht es auf der Tour, zwischendrin zeigt Saleh immer wieder aus dem Fenster: Dieses Betongerippe wird eine künftige Shoppingmall oder weiterer Bürokomplex oder ein Showroom für Autos. Da drüben in der Fabrik wird Fisch für den Versand nach Malaysia weiterverarbeitet. Auch schon fertig: ein großer Komplex für die Polizei, dessen beige Tarnfarbe sich perfekt in die Umgebung einfügt. »Sie kümmert sich um Zollangelegenheiten und hat die Piraten aus Jemen oder Somalia im Blick«, erklärt Saleh. Um uns herum kurven Baufahrzeuge wie Spielzeugautos durch die schiere Unendlichkeit eines riesigen Sandkastens.
Auf dem Masterplan ist verzeichnet, wo die Industrieanlagen hinkommen und welches Gebiet für Wohnansiedlungen oder Hotels vorgesehen ist. In der Realität zeigen Schilder bereits an, in welchem logistischen Bereich man gerade unterwegs ist. Irgendwann sollen hier – so heißt es – auch die Schienen der omanischen Eisenbahn entlangführen und Güter transportieren. Das Trockendock hat indes bereits seine Pforten geöffnet und damit den Grundstein für die Anbindung über das Arabische Meer gelegt. »Ein kluger Schachzug, da legen schon seit einiger Zeit britische und amerikanische Kriegsschiffe für Reparaturen an. Auf diese Weise wird auch der künftige Schiffsverkehr im Hafen belebt«, meint Golf-Experte Richter.
Der Ozeanriese »Vida« liegt bereits wie ein gestrandeter schwarzroter Walfisch im Trockendock zur Wartung. »Wir sind die größte Schiffswerft im Nahen Osten und in Nordafrika«, sagt Ahmad Al-Salmi, stellvertretender CEO der Oman Drydock Company, die jetzt schon 3.000 Arbeiter aus 95 Ländern beschäftigt. Künftig sollen es 10.000 sein. Zwei Docks mit einer Länge von über 400 Metern und fünf Kais mit einer Gesamtlänge von 2,8 Kilometern. Das bedeutet laut Al-Salmi, dass mehr als 20 Schiffe gleichzeitig anlegen und versorgt werden können: »Wir reparieren oder streichen sie, können sie generalüberholen oder sogar vom Frachtschiff zum Öltanker umbauen.« Geht es nach Al-Salmi, steigt Oman in Zukunft auch in den Schiffsbau ein. »Wenn wir über das Knowhow verfügen.«
Dieses Wissen importieren die Omaner unter anderem aus Deutschland. Experten aus Hamburg kommen für den Schiffsbau in die Werft und die ehemalige Ruhrchemie, heute als Unternehmenszusammenschluss Oxea bekannt, bildet Spezialisten für die Weiterverarbeitung von Öl aus.
Am weitesten gediehen ist die Ölraffinerie, jeweils zur Hälfte im Besitz der Oman Oil Company und Kuwait Petroleum International: 230.000 Fass Öl sollen hier täglich verarbeitet und später verschifft werden. Von der Raffinerie aus gelangt das Öl zu einer Lagerstätte, die 80 Kilometer südlich in Raz Markaz liegt. »Daraus könnte sich eine Alternative zur Passage durch die Straße von Hormus entwickeln«, meint Thomas Richter vom GIGA. »Bisher gibt es keine Pipeline, die Öl nach Duqm bringt. Und sowohl Saudi-Arabien als auch die Vereinigten Arabischen Emirate nutzen andere Häfen. Die VAE verschiffen einen Teil ihres Öl bereits über einen Hafen am Indischen Ozean im Emirat Fujairah und sind keine politischen Verbündeten ihrer omanischen Nachbarn.«
Wenn die Frachter von Schiffseignern in Duqm statt in Dubai anlegen, sollen sie keine hohen Versicherungsprämienzahlen müssen.
Dafür könnte das omanische Hafenprojekt dem regionalen Logistik-Riesen Dubai ein Teil des Geschäftes bei der Verschiffung von Waren zwischen Asien und Afrika streitig machen – was die nachbarschaftlichen Beziehungen weiter belasten könnte. Katar-Krise, Jemen-Krieg und Atomstreit – politisch positioniert sich Oman als Vermittler für die Konflikte in der Region. Wirtschaftlich stehen aber ohnehin schon alle Golfstaaten in Konkurrenz zueinander. Oman folgt einerseits dem Modell Dubai, bringt sich zugleich aber als alternativer Logistikknotenpunkt in Stellung.
»Es gibt ja eine Reihe von Erfolgsprojekten durch solche Sonderentwicklungszonen in der Region. Jebel Ali in Dubai gehört dazu – und ich kann mir gut vorstellen, dass Oman mit den finanziellen Anreizen, die es bietet, Partner findet«, meint Thomas Richter. »Gesetzt den Fall, das Land bleibt stabil.«
Neben der weiterhin ungeklärten Nachfolgefrage ist das Sultanat seit Jahren vom niedrigen Ölpreis betroffen. Nicht nur wegen der Einnahmenverluste stehen Fragezeichen hinter der ambitionierten Projekt der Industriesiedlung. Dennoch hat die Wirtschaftsflaute die Arbeit am Hafen nur verzögert. Das Trockendock arbeitet seit mehreren Jahren im Einsatz und der Industriehafen wird in einem fünfzigprozentigen Joint Venture von Experten aus Antwerpen betrieben. Er soll ab 2020 auf Hochtouren laufen. Waren, die mit Containerschiffen künftig über das Arabische Meer von und nach Oman transportiert werden, nehmen ihren Weg dann über Land weiter zu ihren Bestimmungsorten. Insbesondere Indien und Ostafrika, schon in früheren Zeiten Teil der omanischen Handelsnetzwerke, rücken hier in den Fokus der Logistik-Pläne.
Die geopolitische Ausrichtung spielt Duqm auch in einer anderen Kosten-Nutzen-Rechnung in die Hände: Wenn die Frachter von Schiffseignern in Duqm statt in Dubai anlegen, sollen sie keine hohen Versicherungsprämienzahlen müssen, so das Kalkül. Diese Mehrkosten sind der Preis für die unklare Sicherheitslage in der Straße von Hormus. Es ist nicht auszuschließen, dass die Prämien nach dem Angriff auf zwei Öltanker im Juni weiter in die Höhe schnellen und Reeder noch dringlicher nach Alternativen Ausschau halten.
Zudem fällt die Schiffspassage kürzer aus, da ein großer Teil der Arabischen Halbinsel nicht mehr umfahren werden muss. Überhaupt, so die omanischen Überlegungen, könnten die anderen ölexportierende Länder in der Region ein Interesse daran haben, ihre wertvolle Fracht nicht mehr vom Persischen Golf aus durch das Nadelöhr der Straße von Hormus zu transportieren, sondern es von Duqm aus zu verschiffen. So ließen sich Grenzstreitigkeiten mit den Anrainerstaaten der viel befahrenen, engen Seefahrtstraße, vor allem mit Iran, vermeiden.