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Interview zu Südasien, China und den USA

»Bangladesch könnte der große Gewinner werden«

Interview
von Leo Wigger
Interview zu Südasien, China und den USA
Chinesischer und pakistanischer Grenzposten am Kunjirap-Pass Anthony Maw / Wikimedia Commons

Der japanische Außenpolitikexperte Satoru Nagao erklärt im Interview, warum es so wichtig ist, China die Grenzen im Indo-Pazifik aufzuzeigen – und wo Beijings Strategie ins Straucheln gerät.

zenith: Die Spannungen zwischen den USA und China wachsen immer weiter. Wie wirkt sich die Polarisierung auf Südasien aus?

Satoru Nagao: Die ganze Welt ist davon betroffen. Aber der Indische Ozean ist eine der Hauptarenen, in denen dieser Konflikt ausgetragen wird. Und Indien kommt dabei als Teil der Quad-Allianz mit den USA, Japan und Australien eine Schlüsselrolle zu. Zumindest ist das die Lesart in Washington, Tokio und Canberra. Diese Staaten brauchen Indien, um ein militärisches Gleichgewicht aufrechtzuhalten.

 

Warum?

Immer wenn sich China eine Möglichkeit bot, hat man militärische Schwäche im Indopazifik in eine territoriale Expansion umgemünzt. Nachdem sich die Franzosen 1956 aus Indochina zurückgezogen hatten, annektierte Beijing den östlichen Teil der Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer. Dann im Jahr 1974 auch den Rest der Inselgruppe. Ein Jahr zuvor hatten die US-Truppen Vietnam verlassen. Und nachdem im Jahr 1992 die letzten amerikanischen Soldaten aus den Philippinen abzogen, besetze China kurze Zeit später das Mischief-Riff. Da lässt sich ein eindeutiges Muster erkennen. Gerade mit Blick auf Taiwan ist es deshalb so wichtig, den Eindruck militärischer Schwäche zu verhindern. Und da kommt Indien ins Spiel. Denn Indien kann China, anders als die restlichen Quad-Staaten, im Fall der Fälle in einen Mehrfrontenkrieg verwickeln. Aus diesem Grund nehmen der Indische Ozean und Indien in den strategischen Überlegungen der amerikanischen China-Strategie eine zentrale Rolle ein.

 

»Beijing wird mit vielem durchkommen, solange die Lieferketten so vieler Güter von China abhängig sind«

 

Das ist die militärische Dimension. Wie sieht es mit der wirtschaftlichen aus?

Egal, wie sich die chinesische Führung in Bezug auf internationales Recht aufführt, Beijing wird mit vielem durchkommen, solange die Lieferketten so vieler Güter von China abhängig sind, ob bei seltenen Erden oder Solarpaneelen. Das Ziel muss also sein, die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu reduzieren. Dafür braucht der Westen neue Lieferketten. Ich rechne damit, dass viele Fabriken mittelfristig aus China nach Südasien verlegt werden. Zudem braucht man neue Absatzmärkte. Auch die gibt es in Südasien, dank der stark gewachsenen Mittelschicht. Indien ist heute das bevölkerungsreichste Land der Welt. Wenn es um Masse geht, kann kein anderer Markt auf der Welt China ansatzweise ersetzen. Die Strategie sollte also lauten, erstens: China aus den Lieferketten zu isolieren. Zweitens: eine resolute Führungsrolle der USA im Umgang mit der Volksrepublik. Und drittens: Indien als neuen Absatzmarkt erobern.

 

Im Windschatten Indiens hat sich Bangladesch mit seinen 170 Millionen Einwohnern mittlerweile zum wirtschaftlichen Überflieger in Südasien entwickelt. Welche Rolle kommt dem Land in dieser Gemengelage zu?

Wenn es darum geht, Fabriken aus China nach Südasien zu verlagern, dann könnte Bangladesch sicher zum großen Gewinner werden. Die Regierung wirbt sehr aktiv um Investitionen, Arbeitskräfte sind ausreichend vorhanden und die Produktionskosten sind niedrig. Je mehr die USA und China auf Kollisionskurs gehen, umso besser stehen die Chancen für Bangladesch. Ein klassischer Fall dessen, was wir »Friendshoring« nennen, also Offshoring in befreundete Staaten.

 

»Viele Länder in Asien merken gerade: Die chinesischen Investitionen bergen ihre ganz eigenen Risiken«

 

Positioniert sich Bangladesch nicht vielmehr vorsichtig zwischen den beiden Polen Indien und China und nähert sich, je nach Lage, eher der einen oder der anderen Seite an?

Indien hat doch bereits heute eine dominante Rolle in der Region. Aber es stimmt, dass Bangladesch seine strategische Souveränität verteidigen muss. Zwischen diesen Eckpfeilern bewegt sich Dhakas Außenpolitik. Natürlich wird Bangladesch nicht ohne Not die stabilen Beziehungen zu China abkühlen lassen, sondern sie vielmehr immer wieder innerhalb des vorgegebenen Rahmens taktisch ausspielen. Aber allzu eng kann das Land mit China dann doch nicht kooperieren – das würde nur Konflikte mit Indien hervorrufen und wäre für Bangladesch sehr viel gefährlicher.

 

In welchen Bereichen bieten die Staaten der Quad-Allianz China die Stirn?

Zum Beispiel bei Hafenprojekten. Im Süden von Bangladesch nahe der Millionenstadt Chittagong wollte China den Hafen Sonadia ausbauen. Japan hatte dagegen Matarbari, nur 25 Kilometer entfernt, zum Investitionsziel auserkoren. Die Regierung verglich dann beide Optionen und entschied sich für Matarbari. Dort laufen jetzt die Bauarbeiten an. China nimmt mit der »Neuen Seidenstraße« unglaublich viel Geld in die Hand, um rund um die Welt in Infrastruktur zu investieren und verspricht Großprojekte zu fairen Preisen – und damit einen Gewinn für alle Beteiligten. Aber viele Länder in Asien merken gerade: Die chinesischen Investitionen bergen ihre ganz eigenen Risiken. Viele der Projekte halten am Ende nicht das, was sie versprechen. Für Japan etwa ergeben sich daraus Chancen. Wir kalkulieren seriöser. In Bangladesch wurde das verstanden. Auch in Sri Lanka sehe ich ähnliche Tendenzen, nachdem chinesische Darlehen das Land in eine gefährliche Schieflage gebracht haben.

 

Kommen wir zu Pakistan, wo China gerade den Tiefseehafen Gwadar in Belutschistan ausbaut. Im Rahmen des Investitionsprogramms CPEC (Chinesisch-Pakistanischer Wirtschaftskorridor) hat Beijing Milliarden investiert.

Ja, und trotzdem hat Pakistan wirtschaftlich den Anschluss verloren und ist beinahe bankrott. Das Land versucht händeringend, Hilfe aus der Türkei und den Golfstaaten zu bekommen. Aber das gestaltet sich schwierig, ebenso wie Unterstützung aus dem westlichen Lager. Bleibt also Beijing. Aber militärisch und wirtschaftlich ist man so eng mit China verbunden, dass es für die Atommacht Pakistan in Zeiten der geopolitischen Bipolarität sowieso keine Alternative gibt. Dazu kommt die erbitterte Rivalität mit Indien, das sich immer stärker gegen China stellt. So haben sich die alten geopolitischen Allianzen in Südasien heute quasi umgekehrt.



Interview zu Südasien, China und den USA

Dr. Satoru Nagao ist Fellow der konservativen US-Denkfabrik Hudson-Institut und lebt in Tokio. Er forscht zu den trilateralen Beziehungen zwischen Indien, Japan und den USA mit Schwerprunkt auf Verteidigungsfragen.

Von: 
Leo Wigger

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