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Strand und Infrastruktur im Libanon

Sonne und Beton

Feature
Strand und Infrastruktur im Libanon
Entlang der Strandpromenade Beiruts treffen sich Familien und Kinder spielen im Wasser dort, wo das Meer noch öffentlich zugänglich ist.

80 Prozent der libanesischen Küste sind in Privatbesitz. Dass viele der teuren Strandresorts eigentlich gegen die Vorschriften verstoßen und alle Bürger ein Recht auf Zugang zur Küste haben, ist nur wenigen Libanesen bekannt. Neue Anwohnerinitiativen sorgen dafür, dass sich das ändert.

In Batrun sind die Röcke kurz, die Nächte lang und die Tage schmecken nach Sonne und Meersalz auf der Haut. Die kleine Küstenstadt 50 Kilometer nördlich von Beirut steckt mitten in der Hochsaison. Die meisten Besucher, die durch Batruns Gassen und Altstadt flanieren, in den Restaurants sitzen oder Abkühlung in den Pools der Resorts suchen, sind von außerhalb gekommen, für einen Wochenendausflug oder Urlaub. »Batrun steht unter Strom dieses Jahr«, sagt Hanna. Die Betreiberin einer Eisdiele in der nordlibanesischen Stadt freut sich über den Zulauf: »Wir empfangen viele Kunden diesen Sommer – mehr als in den letzten Jahren.«

 

Allein im Großraum Batrun wurden dieses Jahr ganze 20 Strandresorts wieder oder neu eröffnet. Eine umso beeindruckende Zahl, angesichts der Tatsache, dass jegliche permanente Bebauung und Zutrittsbeschränkung des Küstengebiets verboten sind. Laut einem Gesetz von 1925 stehen das »Meeresufer bis zum äußersten Punkt, den die Welle im Winter erreichen kann, sowie Sandstrände und Kieselsteine« der Öffentlichkeit zu. Das Umweltschutzgesetz 444 von 2002 sichert den Bürgern zudem ihr Recht auf uneingeschränkten Zugang, Begehbarkeit und Sicht auf die Strände. Zumindest theoretisch.

 

»In der Praxis werden diese Gesetze schlichtweg missachtet«, sagt Mohammad Ayoub, Gründer von Nahnoo, zu Deutsch »Wir«. 1.108 Gesetzesverstöße hat die NGO in Bezug auf die Bebauung der 220 Kilometer langen Küste registriert. In Batrun hat Nahnoo deshalb eine Protestkampagne angestoßen. Nach einer öffentlichen Nachbarschafts-Diskussion und dem Einreichen von Klagen machten sich Mitte Juni etwa hundert Bürger zu einem Protestmarsch entlang der Küste auf und hielten vor jedem Objekt an, das gegen die Bauvorschiften verstößt. »Sogar der Innen- und der Umweltminister haben sich danach eingeschaltet«, erinnert sich Ayoub. »Das Gebäude auf dem Abu-Ali-Strand musste dann sogar abgerissen werden – das war ein großer Erfolg.«

 

Strand und Infrastruktur im Libanon
Abu-Ali-Strand in Kfar Aabida im Süden von Batrun vor dem Abriss des Bungalows. Die Besitzer hatten zuvor begonnen, eine Mauer zu bauen, um den Zugang zum Strand zu versperren.

 

Dass Verstöße normalerweise kaum Konsequenzen nach sich ziehen, erklärt er mit dem gesellschaftlichen Status der Landbesitzer. »Wer bauen lässt, ist gut vernetzt und mächtig – und hat die lokalen Behörden in der Tasche.« Auch der Politik weist er eine gewisse Schuld zu: »Praktisch allen Beteiligten geht es in erster Linie um den eigenen Profit«, beklagt der Aktivist.

 

Dabei hatte die Regierung noch 2017 eine Initiative angestoßen, um alle Investoren, die nach 1994 gegen Küstenschutzgesetze verstoßen hatten, zur Kasse zu bitten. Wenn auch eher, um die klamme Staatskasse zu füllen, als aus Sorge um die Strände, wenn man Ayoub Glauben schenkt. Und wirklich ernst gemacht hätten die Behörden ohnehin nicht, meint er. »Die Bauträger ignorierten beständig die jährlichen Zahlungsaufforderungen – und zwar solange, bis der Wert der Strafe mit der Inflation ins Lächerliche geschrumpft war. Dann erst waren sie bereit zu zahlen.«

 

Die Bebauung der libanesischen Küste begann zu einer Zeit, in der viele andere Bauten im Land gerade verschwanden: dem Bürgerkrieg. Dem vorausgegangen waren Jahre, die oft als goldene Ära des Libanons bezeichnet werden: Eine Blütezeit für Kunst und Kultur, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stabilität. Internationale Filmstars verkehrten in den Bars und Theatern Beiruts, alte Fotografien zeigen scheinbar sorglose Familien beim Picknick in den Bergen oder beim Wasserski auf dem Mittelmeer.

 

Der Tourismus boomte und Bauträger erkannten das Potential der Küsten, an denen es vermeintlich so viel Einkünfte zu holen gab wie Sand am Meer. Als schließlich 1975 der Bürgerkrieg ausbrach, begannen die Unternehmer dank Abwesenheit des Staates, weite Teile der Küste zu bebauen und zu privatisieren. Auch nach Ende des Krieges setzte sich diese Entwicklung fort.

 

Strand und Infrastruktur im Libanon
Außerhalb der Saison bietet das Land kilometerweise verlassene Strände, doch im Sommer wird der Platz schnell knapp.

 

Heute stehen die privaten Resorts öffentlichen Stränden gegenüber, die theoretisch in den Verantwortungsbereich der Gemeinden fallen. Die Strandresorts genießen einen entscheidenden Vorteil: Sie werden verwaltet. Das Gelände ist frei von dem Müll, der so oft zur Kulisse öffentlicher Strände gehört. Auch sind die Anlagen selten so überfüllt wie andernorts. Dafür sorgen die Eintrittspreise.

 

»Keine Regeln, keine Aufsicht, keine Kontrolle«, fasst Mohamed Al-Yaghi das Grundproblem der öffentlichen Strandbäder zusammen. Der Schauspieler aus Tripoli verbringt seine freien Tage deshalb lieber an privaten Badeorten. Eine Option, die vielen seiner Landsleute nicht zur Verfügung steht, dem ist er sich bewusst. »Der Durchschnittslohn liegt derzeit bei etwa 150 bis 200 US-Dollar pro Monat. Ein Zehntel davon geht schon für den Eintritt für einen Erwachsenen drauf«, rechnet er vor. »Für eine Familie mit zwei Kindern liegen die Kosten allein für den Eintritt schon bei 80 US-Dollar – und da sind Essen und Getränke nicht mal mitgerechnet.«

 

Ein weiteres Sinnbild für die sozialen Unterschiede an den libanesischen Stränden ist Ramlet Al-Baida in Beirut – zu Deutsch »weißer Strand«. Der einzige Sandstrand der Hauptstadt ist öffentlich zugänglich und vor allem ein Treffpunkt für jene, die sich die Eintrittspreise anderswo nicht leisten können. Dass der Strand als Ort für Arme teils in Verruf steht, hat auch mit den hygienischen Zuständen zu tun. Zu Land wie zu Wasser. An den Rändern des Strandes leiten Rohre das städtische Abwasser ins Meer.

 

Strand und Infrastruktur im Libanon
Eine der zahlreichen Strandbars in der Küstenstadt Batrun

 

Daneben steht das Hotel Lancester Eden Bay, eine 5-Sterne-Residenz, deren baurechtliche Grundlage auf ähnlich tönernen Füßen steht wie bei so vielen Bettenburgen entlang der Küste. Eine Kampagne von Anwohnern samt erfolgreicher Klage, blieb vor einigen Jahren letztlich ohne Erfolg: Der Eigentümer betreibt das Hotel noch immer. Ayoub war damals mit Nahnoo Teil der Kampagne: »Die Begründung lautete damals: Der Besitzer kann den Betrieb solange weiterlaufen lassen, bis die einzelnen Verstöße behoben sind«, beschreibt er die Logik hinter den wachsweichen Auflagen von Politik und Justiz.

 

Dennoch glaubt Ayoub, dass sich etwas ändern kann. Nahnoo hat vor einigen Jahren die Initiative »Die Küste für Alle« gestartet. Das Projekt setzt auf gebündelte Koordinierung im Kleinen. Dank Demonstrationen und öffentlichem Druck waren sie in der Lage, drei Privatinvestoren zurückzudrängen, die gegen staatliche Bauvorschriften verstießen. Essenziell dafür ist Aufklärungsarbeit vor Ort: »Lange war den Menschen hier nicht bewusst, dass sie ein Recht auf eine öffentlich zugängliche Küste haben.« Das habe Einiges in Bewegung gesetzt, erzählt er. »Die Anwohner thematisieren die Missstände – und sie sind wütend.«

 

In Batrun geht das Saisongeschäft derweil seinen Gang. Nach einem stressigen Arbeitstag im Eis-Geschäft geht Hanna selbst gern eine Runde schwimmen, und zwar am liebsten im »San Stephano Resort«. »Die Stadt bietet viele tolle Freizeitangebote. Da ist für jeden Geldbeutel etwas dabei«, findet sie. Aber die Geschäftigkeit des Städtchens und seines Umlands gefällt nicht jedem: »Es ist alles so neu und kommerziell hier. Sogar die alteingesessenen Ortschaften werden gerade renoviert oder ausgebaut«, bemängelt Caren. Die Kunststudentin verbringt ihre Freizeit lieber an etwas naturbelassenen öffentlichen Stränden in einiger Entfernung. »Die libanesische Küste bietet noch ein paar versteckte Schätze«, findet sie. »Aber ein Schatz muss auch geschützt werden.«

Von: 
Frida Nsonde
Fotografien von: 
Frida Nsonde

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