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Antikenhandel und Kulturerbe im Irak

Geraubte Schätze und schlüpfrige Vergleiche

Feature

Während täglich antike Stätten ausgeplündert werden, verbucht der Irak kleine Erfolge bei der Rückführung von Funden. Derweil zieht ein Auktionshaus ein Museum vor Gericht. Eine Provinzposse oder ein Fall, der Rechtsgeschichte macht?

Wenn der irakische Botschafter in Berlin ein DHL-Paket von einem unbekannten Absender empfängt, ist zunächst einmal Vorsicht geboten: Aber was Hussein Fadlallah al-Khateeb am 3. September aus einem gelben Karton fischte, war eine freudige Überraschung: das Fragment eines Orthostaten – eines antiken Wandsteins – aus Mosul-Marmor, versehen mit einer assyrischen Inschrift. Hatte sich ein Schriftgelehrter einen Scherz erlaubt und seinen Visa-Antrag für die Republik Irak in Akkadisch vorgelegt?

 

Immerhin war das einmal mesopotamische Behördensprache. Das Artefakt scheint echt zu sein. Ein Beipackzettel erklärt, dass es aus dem Palast des Assyrerkönigs Tiglatpilser III. im nordirakischen Nimrud stamme. Ob es auf dem Antikenmarkt gekauft oder vom bisherigen Besitzer selbst an Ort und Stelle abgeschlagen wurde, ist wohl kaum noch zu ermitteln. Denn dieser starb vor einigen Monaten im fränkischen Röttenbach. Das Trauerhaus in der Gemeinde bei Erlangen sandte das Erbstück schließlich dem ursprünglichen Eigentümer zu: der Republik Irak.

 

Die möchte es nun ins Nationalmuseum überführen. »Das ist vorbildlich und sehr erfreulich«, erklärte Botschafter Khateeb am vergangenen Dienstag in Berlin, als er einer Reihe von Diplomaten, Archäologen und Polizeibeamten nicht nur das Artefakt aus Nimrud, sondern eine Sammlung von Antiken präsentierte. Dabei handelt es sich um Hehlerware, die verdeckte Ermittler um die Weihnachtszeit 2010 bei Krefeld sicherstellten. Die vorgeblichen Käufer hatten für die Rollsiegel, Inschrift-Platten und Keramikfiguren laut Medienberichten einen Kaufpreis von 2,5 Millionen Euro geboten – und dann zugeschlagen.

 

Die Artefakte werden übergeben. Die Täter hat man laufen gelassen

 

»Zuschlagen« heißt: Man ließ die Täter laufen, weil man ihnen nicht nachweisen könne, dass sie wussten, womit sie eigentlich dealten. Im Gegensatz zu den vielen Objekten, die illegal ausgegraben und auf den europäischen Kunstmarkt gebracht werden, besaß eines der Krefelder Artefakte immerhin eine »Identität«: Es stammt aus dem 2003 geplünderten Irak-Museum. Ein klarer Fall also von Hehlerei. Bei Antiken aus Raubgrabungen wird dies oft noch anders gesehen: Händler und Käufer können damit meist noch immer unbehelligt Geschäfte machen.

 

Die deutschen Strafverfolgungsbehörden bringen Antikenhehlerei selten zur Anklage: Es falle schwer, eindeutige Beweise dafür zu finden, dass eine Ware, die nirgends katalogisiert ist, geplündert und –  unter Inkaufnahme der Zerstörung des archäologischen Fundkontextes – über organisierte Hehlerbanden aus dem Land geschafft wurde. Denn, so die landläufige Auffassung der Behörden: ein archäologisches Gutachten liefere zwar Hinweise auf die Provenienz, genüge aber in den meisten Fällen nicht, um die Täter zu überführen.

 

Hehler gehen hierzulande allerdings meist straffrei aus, weil sie behaupten »gutgläubig« gehandelt zu haben. Oftmals klagen sie sogar auf Herausgabe der konfiszierten Ware – mit Erfolg. Deshalb fordern Experten wie der Kriminalarchäologe Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) in Mainz seit Jahren von den Gerichten ein Umdenken und konsequenteres Durchgreifen. Ein legaler Handel mit archäologischen Funden sei in der Regel gar nicht möglich, so Müller-Karpe. In allen Ländern mit Fundstellen antiker Kulturen gebe es seit langem Schutzgesetze, die das Graben nach und die Ausfuhr von Antiken verbieten. Außerdem seien Antiken fast überall öffentliches Eigentum. 

 

Falls das Herkunftsland ausnahmsweise doch einmal die Ausfuhr genehmigen sollte, entstünden dabei amtliche Dokumente. Bei Antiken legaler Herkunft gebe es daher einen solchen  »Fahrzeugschein«. »Wer ein Fahrzeug ohne Papiere kauft, kann sich vor der Polizei auch nicht mit dem Argument herausreden: Ich wusste ja nicht, dass der Wagen gestohlen ist«, sagt Müller-Karpe.

 

Gruppenbild mit Nagel

 

Für die irakische Botschaft ist die Übermittlung des »Krefelder Schatzes« ein Teilerfolg – aber nur eine Etappe im Kampf, die gestohlenen Kulturschätze des Landes wieder zurück zu führen. Die Nachricht fällt in eine Zeit, in der zunehmend nahöstliche Kulturnationen wie Syrien und Ägypten von organisierten Raubgräberbanden ausgeplündert werden. Und es ist davon auszugehen, dass ein Teil dieser Hehlerware auch bei deutschen Kunstfreunden ankommt. Antiken gelten als Investition – und gewiefte Händler warten, bis sich die internationale Aufmerksamkeit auf die kriegerischen Konflikte gelegt hat, bevor sie die Ware auf den Markt werfen.

 

Aber kann man an illegal aus dem Irak verbrachten Antiken so etwas wie »Urheberrecht« erwerben? Diese Frage beschäftigt derzeit das Landgericht Frankenthal in Rheinland-Pfalz – und das Verfahren ist alles andere als eine Provinzposse: Die Inhaberin des Münchner Auktionshauses Hirsch klagt dort gegen das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz. Der Hintergrund: Das Museum hatte vor zwei Jahren eine Ausstellung zum Thema Kriminalarchäologie konzipiert und eine Broschüre dazu veröffentlicht.

 

Um Beispiele dafür zu zeigen »wie Funde aus Raubgrabungen im Antikenhandel beworben werden« zeigte das Museum vier Ausschnitte von Bildtafeln aus Auktionskatalogen von Hirsch – anonymisiert und ohne Bildvermerk, offenbar um Rechtshändel zu vermeiden. Die Ausstellungsmacher gingen nach eigenen Angaben davon aus, der Abdruck sei durch das Zitatrecht im Rahmen der Presse- und Wissenschaftsfreiheit gedeckt.

 

Die inkriminierten Fotos zeigen unter anderem ein 4.500 Jahre altes mesopotamisches Goldgefäß, das – auf Initiative des RGZM – bei Hirsch sichergestellt wurde. Die Antike brachte der Bundesaußenminister, nach langem Rechtsstreit, persönlich in den Irak zurück. Seither führt das Auktionshaus allem Anschein nach eine leidenschaftliche Fehde mit dem RGZM, das sich selbst als wissenschaftliche Speerspitze bei der Aufklärung von Verstößen gegen den Kulturgüterschutz betrachtet.

 

Parallelen zur Porno-Branche

 

Hirsch setzte eine einstweilige Verfügung durch, stoppte die Verbreitung der Ausstellungsbroschüre und klagt nun auf Auskunft, wie viele Exemplare das Museum verbreitet hat, sowie auf Schadenersatz. Der belaufe sich, so die Klägerin, auf insgesamt  18.000 Euro. Womöglich geht es dem Auktionshaus weniger um einen tatsächlichen Schaden, als vielmehr darum, das RGZM juristisch beschäftigt zu halten: Denn die Klageschrift ist spitzfindig: Es wird unter anderem eine Verletzung von Bildrechten in 78 Fällen angezeigt, weil sich auf Gruppenfotos mehrere Dutzend Einzelobjekte befinden.

 

Die Klägerin meint, jedes einzelne Objekt sei vermittels einer eigenen künstlerischen Fotografie-Arbeit dargestellt, es handle sich also um Einzelbilder. Man könnte fragen: Ist die Fotografie einer Fan-Kurve im Fußballstadion folglich auch eine Sammlung von 5000 Porträts? Allein einer solchen Frage nachzugehen, dürfte das – auf Urheberrecht, nicht auf Kulturgüterschutz – spezialisierte Frankenthaler Gericht nicht überfordern. In seiner Klageerwiderung zielt das RGZM aber nicht auf die Anzahl der Objekte und die fotografische Urheberschaft.

 

Es möchte vielmehr geltend machen, dass man an sittenwidrig erworbenen Gütern kein Eigentum und folglich auch kein Urheberrecht an Fotos erwerben könne. Der Bundesgerichtshof, so heißt es in dem Schriftsatz, habe bereits 1972 festgestellt, dass der Verstoß gegen den Schutz fremder Kulturgüter sittenwidrig ist, was bedeute, dass illegal ausgeführte Antiken nicht Gegenstand von Rechtsgeschäften sein können.

 

In der Urheberrechtsfrage verweisen die Mainzer wiederum auf einen Präzedenzfall aus Hamburg: Dort hatte ein Porno-Produzent ein Kino verklagt, weil es ohne Lizenz ein Werk aus seiner Produktion gezeigt hatte. Das Gericht stellte fest, dass man an einer unter strafbaren oder sittenwidrigen Umständen zustande gekommen »künstlerischen Arbeit« – etwa wenn Minderjährige beteiligt sind – keine schützenswerten Urheberrechte erlangen kann.

 

Was im Sexfilm die jugendlichen Darsteller wären im Fall des Auktionskatalogs nun die irakischen Antiken. Ein kurioser Fall, der aber für den Kunstmarkt zum Präzedenzfall werden kann: vor allem, wenn er irgendwann vor dem Bundesgerichtshof landen sollte. Es scheint, als hätte die Klägerin den Streitwert auch deshalb – anders, als ursprünglich geplant – auf unter 20.000 Euro angesetzt. Liegt der Streitwert darunter, könnte das ein Kriterium für den BGH sein, sich für nicht zuständig zu erklären. Am 17. September wird sich zunächst das Gericht in Frankenthal entscheiden.

Von: 
Daniel Gerlach

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