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Chemiewaffenkonvention für Syrien

Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt

Kommentar

Die Drohkulisse, die Al-Assad vermeintlich zum Einlenken zwang, ist völkerrechtlich höchst bedenklich – und hat womöglich Auswirkungen auf die Bindungswirkung der Chemiewaffenkonvention für Syrien, meint Botschafter a.D. Gerhard Fulda.

Seit der Einigung zwischen den Außenministern Kerry und Lawrow über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen wird die vorangegangene amerikanische Drohung mit Gewalt in manchen westliche Medien geradezu als Friedensinitiative gefeiert. Ohne diese Drohung hätte sich gar nichts bewegt; der Druck müsse aufrecht erhalten bleiben.

 

Zugegeben: Das Ergebnis ist erfreulich. Da aber die Drohung mit Gewalt nach der Charta der Vereinten Nationen genau so verboten ist wie die Gewaltanwendung selbst, sollten wir fragen, ob wir für diesen Erfolg möglicherweise einen hohen völkerrechtlichen Preis bezahlen müssen. Nach dem Vorbild des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, der in der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 2012 mit einem Militärschlag gegen die Nuklearanlagen im Iran gedroht hatte, hat später auch US-Präsident Barack Obama von einer »roten Linie« gesprochen.

 

Er drohte Syrien für den Fall eines Chemiewaffeneinsatzes: »Das Regime wird zur Verantwortung gezogen werden.« Das war zunächst nur eine mehrdeutige Formulierung: Er sprach nicht ausdrücklich von einem Militäreinsatz. Man kann jedoch unterstellen, dass in Damaskus und in Moskau diese Worte bereits als eine verschärfte Drohung gegen Syrien verstanden wurden. Selbst wenn Obama es noch nicht so gemeint haben sollte – rechtlich relevant ist, wie eine Erklärung nach der Lebenserfahrung von dem verstanden werden muss, an den sie gerichtet ist. Juristen nennen dies das Verständnis aus dem Empfängerhorizont.

 

Das Gewaltverbot gilt als sogenanntes zwingendes Völkerrecht

 

Spätestens Anfang September 2013 wurde daraus eine Drohung, wie sie förmlicher kaum ausgesprochen werden kann: Präsident Obama ersuchte den Kongress, ihn zu einem Militärschlag gegen Syrien zu ermächtigen. Die amerikanisch-russische Übereinkunft, die unmittelbare Kriegsgefahr mit Hilfe eines syrischen Beitritts zu dem Chemiewaffenübereinkommen von 1997 vorerst zu beseitigen, hat diese Drohung mit Gewalt nur in den Hintergrund geschoben. Die USA wiederholen weiterhin, alle Optionen blieben auf dem Tisch.

 

Die Völkerrechtswissenschaft hat dem Thema der Drohung mit militärischer Gewalt bisher nicht besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet. Wann immer eine Drohung wahr gemacht wurde, konzentrierte sich die rechtliche Beurteilung schnell auf den Einsatz selbst. Selbst Russlands Präsident Wladimir Putin hat in seiner am 11. September 2013 in der New York Times veröffentlichten »Völkerrechtsvorlesung« darauf verzichtet, auf das Verbot der Drohung mit Gewalt hinzuweisen.

 

Keine westliche Regierung hat dem israelischen Premier vorgehalten, er habe ausgerechnet in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Missachtung eines der wichtigsten Grundprinzipien der Vereinten Nationen aufgerufen. Die Frage drängt sich auf, ob die ganze Welt die Drohung mit Gewalt plötzlich für rechtmäßig hält? Das ist eigentlich schwer vorstellbar, denn das Gewaltverbot gilt als sogenanntes zwingendes Völkerrecht, also als eine Norm, die weder durch anderslautende vertragliche Vereinbarungen noch durch von einem Rechtswillen getragene Staatenpraxis verändert werden kann (sogenanntes ius cogens).

 

Nassers Panzeraufmarsch auf dem Sinai 1967

 

Trotzdem ist die Diskrepanz in der Beachtung dieser zwei Seiten der gleichen Medaille verblüffend. Um die Metaphorik noch ein bisschen weiter zu drehen: Kann eine Münze auf der einen Seite echt sein und auf der anderen ohne Wert? In der Wirklichkeit der internationalen Beziehungen dürfte eine solche Aufspaltung nur kurzfristig Bestand haben. Wäre die Drohung nicht mehr sanktionsbewehrt, dann lauerte die Anwendung der Gewalt hinter jeder Ecke. Wann immer die Gegenseite auf die Drohung nicht reagierte, müsste gehandelt werden.

 

Andernfalls verlöre der Papiertiger jede Glaubwürdigkeit. Um eine Antwort auf diese paradoxe Situation zu finden, muss man sich das Verhältnis zwischen den beiden Phasen des Phänomens Gewalt genauer betrachten. Dieses Verhältnis ist insoweit akzessorisch (in der Sprache der Juristen heißt das: »voneinander abhängig«), als die Drohung nur dann rechtswidrig ist, wenn unzulässige Gewalt angedroht wird. Der Aufbau einer hochgerüsteten Armee ist zwar eine Bedrohung für andere, aber nicht völkerrechtswidrig, weil Selbstverteidigung erlaubt ist.

 

Die Drohung ist deshalb ein weniger eindeutiger Begriff als die Anwendung. Die Treffer von Bomben und Raketen muss man nicht erst interpretieren. Wird andererseits eine an der Grenze stationierte Armee in hohe Alarmbereitschaft versetzt, dann mag das eine Drohgebärde sein oder eben auch nicht. Das historisch interessanteste Beispiel ist Nassers Panzeraufmarsch auf dem Sinai 1967, den der israelische Generalstabschef Matti Peled für ein innenpolitisch begründetes Manöver hielt, mit dem der ägyptische Präsident gerade seine bis dahin unzulänglichen Kriegsvorbereitungen propagandistisch überspielen wollte.

 

Das Verbot der Drohung will den souveränen Staaten die unbeeinträchtigte Willens- und Entscheidungsfreiheit erhalten

 

Im »Kommentar zur Charta der Vereinten Nationen« des Völkerrechtlers Bruno Simma findet sich zu Artikel 2.4 die vielsagende Formulierung, die völkerrechtliche Praxis habe »eine hohe Toleranz gegenüber der Drohung entwickelt«. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass das vom Verbot der Drohung  geschützte Rechtsgut ein anderes sein kann als der Schutzgedanke beim Gewaltverbot selbst. Dort geht es meist um territoriale Machtverschiebungen. Dagegen will die Drohung oft vor allem auf den politischen Entscheidungsprozess des Gegners einwirken. Die Drohung ist eine Nötigung. Es lohnt in diesem Zusammenhang, sich den Wortlaut des Artikels 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen noch einmal anzusehen:

 

»Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.«

Die territoriale Unversehrtheit gehört offenbar eher zur Anwendung militärischer Gewalt; die politische Unabhängigkeit eher in den Bereich der Drohung. Das Verbot der Drohung will also den souveränen Staaten die unbeeinträchtigte Willens- und Entscheidungsfreiheit erhalten.

 

Es gibt gravierendere Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit als gelegentliche Drohungen mit Gewalt

 

In dieser Beziehung allerdings sind die Regierungen der UN-Mitgliedsstaaten Kummer gewohnt. Ihre Entscheidungsfreiheit wird durch die wirtschaftliche Globalisierung und besonders durch die Finanzmärkte weitaus stärker beeinträchtigt als durch gelegentliche Drohungen mit Gewalt. Dies dürfte der wesentliche Grund dafür sein, dass bei einer »gelungenen« Drohaktion wie gegen Syrien sogar Jubel aufbranden konnte. Ein gelegentlicher Blick ins Gesetz, so witzeln Juristen gern, schade der Rechtsfindung nicht. Wenn sie aber gelegentlich in die Wiener Vertragsrechtskonvention schauen, dann müssen sie bei der Lektüre sehr schnell wieder ernsthaft werden:

 

»Artikel 52: Zwang eines Staates durch die Drohung mit Gewalt oder die Anwendung von Gewalt (ius cogens):  Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Abschluss durch die Drohung mit Gewalt oder die Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts erwirkt wurde.«

Man muss wohl nicht Jura oder gar Völkerrecht studiert haben, um jetzt die rechtliche Bindungswirkung der Chemiewaffenkonvention für Syrien beurteilen zu können.

Von: 
Gerhard Fulda

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