Europas Staatsschuldenkrise trifft Nordafrika doppelt hart: Hilfsgelder und Investitionen werden wohl gekürzt, die Marktöffnung auf Eis gelegt. Dabei birgt die Region für Unternehmer große Chancen – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
In Libyen hält sich zur Zeit das Gerücht, dass Mitarbeiter ausländischer Unternehmen für die Monate ihres Verdienstentgangs keine Entschädigungen bekommen sollen. Begründet wird dies mit der Schulden- und Eurokrise, die es den Unternehmen angeblich unmöglich macht, derartigen Forderungen nachzukommen. Unabhängig von derartigen Erklärungen und Gerüchten liegt es wohl auf der Hand, dass die sich in den letzten Wochen rapide beschleunigte Eurokrise Auswirkungen auf die (Post?)- revolutionären Länder Nordafrikas haben wird.
Die neuen Rekapitalisierungsanforderungen an die europäischen Banken für 2012 und die angespannte Haushaltslage in Europa werden das Investitionsvolumen wohl negativ beeinflussen. Entweder durch eingeschränkte direkte Mittelvergaben oder durch zurückhaltende Kreditvergabe an ausländische Investoren beziehungsweise an Unternehmen, die in Nordafrika investieren sollen. Diese Kreditklemme wird durch die anhaltenden politische Unsicherheiten und oft unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen weiter verschärft, da momentan alle ökonomischen Akteure ihre Portfoliorisiken minimieren wollen oder müssen.
Die angekündigte Öffnung der europäischen Märkte für nordafrikanische Produkte findet wohl effektiv nicht statt, wie Außenminister Westerwelle jüngst zerknirscht anmerken musste. Die meisten relevanten europäischen Länder scheinen nicht mitzumachen und eine derartige Liberalisierung ist in schweren Zeiten politisch kaum durchsetzbar. Dies obwohl eine Nachbesserung der bestehenden Verträge mit der EU Ende September nun endlich Zollerleichterungen für den Agrarsektor und Öffnungen für Dienstleistungen aus Nordafrika inkludiert hatte.
Die Golfstaaten können Europas Ausfall kaum komplett kompensieren
Diese Unsicherheiten, gepaart mit der Angst vor Einkommensverlusten beziehungsweise einer weiteren Krise 2012 in den meisten europäischen Ländern, wird die dringend notwendige Erholung des Tourismussektors (Ägypten -36 Prozent, Tunesien -45 Prozent) weiter verzögern. Die negativen Aussichten treffen gerade auch mittlere und untere Einkommen, die oftmals zur Zielgruppe der Nordafrika-Touristen gehören. Die Wahl konservativ-islamischer Parteien beziehungsweise schwelende politische Konflikte werden auch nicht dazu beitragen, die Attraktivität der Reiseziele zu erhöhen.
Die Eurokrise wird auch die Situation der nordafrikanischen Arbeitnehmer in europäischen Mittelmeerländern negativ beeinflussen und somit werden deren Überweisungen in ihre Heimatländer zurückgehen. Dies umso mehr, als in Europa die Gruppe der Geringqualifizierten, in denen viele Nordafrikaner repräsentiert sind, von der Krise überproportional betroffen sein werden.
In dieser Situation vermehrte westliche Hilfe zu fordern, dürfte wohl ziemlich aussichtslos sein. Europa bleibt auf absehbare Zeit mit der Rettung der eigenen Währung beschäftigt. Möglicherweise können die arabischen Golfstaaten die beschriebenen Effekte abschwächen, aber kaum komplett kompensieren. Von einer Verbesserung der Investitionsleistung ganz zu schweigen. Da die Umbrüche in fast allen Ländern gleichzeitig ausbrachen, kann sich Nordafrika kaum untereinander helfen.
Können die europäischen Konjunkturmaßnahmen für die nordafrikanische Sache eingespannt werden?
Was kann in einer solchen schwierigen Situation getan werden? Die betroffenen nordafrikanischen Länder müssen viel schneller an stabilen rechtlichen Rahmenbedingungen, effizienten Zahlungsverkehrsprozessen und Anti-Korruptionsmechanismen arbeiten, um die Investitionsmöglichkeiten zu verbessern.
Nur so können auch vermehrt interessierte europäische Unternehmen und vor allem auch Mittelständler, die sich trotz aller Probleme bietenden Marktchancen nutzen. Am Beispiel Marokko zeigt sich, dass oftmals gerade solche Unternehmer an der Region interessiert sind und Bereiche suchen, die Größere nicht erkennen oder nutzen können. Möglicherweise kann es auch gelingen, die europäischen Konjunkturmaßnahmen für die nordafrikanische Sache einzuspannen, indem etwa Haftungsprogramme für europäische Investoren in Nordafrika ausgeweitet und intensiviert werden.
Versucht man in einer Krise auch eine Chance zu erblicken, kann die Situation dazu führen, dringend notwendige interne juristische und politische Reformen endlich anzugehen – nicht auszudenken, welche positiven Effekte es hätte, wenn es Ägypten endlich gelänge, seinen Immobilienmarkt rechtlich abzusichern (heute können ein Großteil der Immobilien Ägyptens nicht für eine Kreditaufnahme verwendet werden, weil sie unvollstreckbarer Besitz sind)– sowie eigene Initiativen anzustacheln, wie sich das etwa auch in Ägypten zeigt, wo die revolutionäre Jugend auch diejenige ist, die innovativen Geschäftsideen am ehesten aufgreift.