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Frauen im kulturellen Wandel Indonesiens

Neue Freiheiten, neue Zwänge

Feature

Das Autorentrio Berninghausen, Kerstan und Soeprapto-Jansen nimmt in »Schleier Sarong Minirock« eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Lebensbedingungen indonesischer Frauen vor, die teilweise allzu hastig zusammengebastelt scheint.

Das Leben indonesischer Frauen ist in einem rapiden Wandel begriffen: Globalisierung, westlicher Individualismus und eine zunehmende Islamisierung des öffentlichen Lebens fordern traditionelle Werte heraus und führen zu neuen Lebensentwürfen. Sie wollen modern sein, aber auch die Traditionen achten. Sie versuchen zwischen individueller Freiheit und Selbstbestimmung einerseits und rigiden islamischen Moralvorstellungen anderseits einen lebbaren Mittelweg zu finden. Seit dem Sturz Suhartos ist die Zeit der »reformasi« angebrochen, wie der Demokratisierungsprozess in Indonesien genannt wird. Doch die neuen Freiheiten führten zu neuen Zwängen: Das Kopftuch erlebt einen Boom und ist inzwischen Mainstream-Mode geworden. Der moralische Druck, sich demonstrativ als gottesfürchtige und damit moralisch anständige Frau zu präsentieren, ist enorm gestiegen. In einigen Distrikten haben Scharia-Verordnungen für Aufsehen gesorgt, auch hier geht es vornehmlich um die Kontrolle über den weiblichen Körper.

 

Jutta Berninghausen und Birgit Kerstan interessieren sich seit den 1980er Jahren für die Lebensbedingungen indonesischer Frauen. Sie haben vor über 20 Jahren in einem zentraljavanischen Dorf Feldforschung betrieben und beschrieben, welche Freiheiten javanische Frauen traditionellerweise haben und welchen Einschränkungen sie unterworfen sind. Anders als im Nahen Osten waren indonesische Frauen schon immer im öffentlichen Leben präsent, sie dominieren die Märkte und den Kleinhandel. Die Verwaltung der Familienfinanzen obliegt von alters her den Frauen. Doch trotz ihrer allgemein bekannten Macht hinter den Kulissen gelten immer noch offiziell die Männer als Familienoberhäupter, sie vertreten die Familie nach außen, ihnen gebühren Ehre und Respekt.

 

Lokale Scharia-Verordnungen bestimmen das Leben der Frauen

 

Berninghausen und Kerstan haben zusammen mit Nena Soeprapto-Jansen nun mit »Schleier Sarong Minirock« ein Buch vorgelegt, dass sich den Lebensbedingungen der indonesischen Frauen im kulturellen Wandel der letzten 20 Jahre widmet. Sie haben mit Frauen aus allen Landesteilen und Gesellschaftsschichten, mit Politikerinnen und sozialen Aktivistinnen, aber auch mit »ganz normalen« Frauen gesprochen, sich ihre Lebensgeschichten angehört und sie nach den sozialen und ökonomischen Bedingungen ihres Alltags befragt. Herausgekommen sind interessante Einblicke in die Schicksale einzelner Frauen, die zugleich eindrucksvoll gesamtgesellschaftliche Probleme verdeutlichen.

 

Im vor 20 Jahren besuchten Dorf scheint das Leben auch heute wenig verändert, keine Frau trägt ein Kopftuch, niemand hat etwas von Scharia-Verordnungen gehört. Diese bestimmen jedoch in anderen Landesteilen inzwischen das Leben der Frauen, so in Aceh. Eine Reflexion der Deutschindonesierin Soeprapto-Jansen über die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens als Frau zwischen Deutschland und Indonesien und ein gemeinsames Gespräch der Autorinnen über die Unterschiede zwischen den Lebensentwürfen deutscher und indonesischer Frauen runden das Buch ab.

 

In Anbetracht des großen Raumes, den die lokalen Scharia-Verordnungen im Buch einnehmen, ist es umso bedauerlicher, dass die Autorinnen darauf verzichtet haben, diese Gebiete – von Aceh abgesehen – im Rahmen der Recherche für das Buch aufzusuchen, um sich selbst vor Ort ein Bild der Lage zu machen. So gehen die ständig wiederholten Hinweise auf die Verordnungen kaum über das Niveau von reißerischen Zeitungsschlagzeilen hinaus. Was hat sich in den betroffenen Gebieten, so in der Industriestadt Tangerang bei Jakarta, konkret für die Frauen geändert, wie sieht ihr Alltag inzwischen aus? Haben wirklich viele Frauen ihre Arbeit in Fabriken verloren, weil sie einem nächtlichen Ausgehverbot unterliegen, wie die Autorinnen schreiben? Wie gehen die betroffenen Frauen damit um, wie leben sie unter den neuen Bedingungen? Das wäre hochinteressant gewesen, aber davon erfährt man nichts, und das ist schade.

 

Wenig hilfreich ist hier auch, dass die Autorinnen wiederholt alles allzu undifferenziert in einen Topf werfen – immer wieder ist generalisierend und faktisch einfach falsch davon die Rede, in den betroffenen Gebieten sei die Scharia bzw. »das Islamrecht« eingeführt worden. Das gilt aber bisher nur für Aceh, und Verordnungen wie die Kopftuchpflicht für Staatsbedienstete sind zwar an die Scharia angelehnt, aber mit einer generellen Einführung der Scharia doch nicht gleichzusetzen. Gewiss, die Verordnungen und der gegenwärtige Trend verheißen wenig Gutes für die Zukunft, aber etwas mehr Differenzierung wäre hier doch angemessen – vor allem, da viele Leser beim Stichwort »Scharia« wohl sofort an Burka, Handabschlagen und Steinigung denken.

 

Zudem wird das Lesevergnügen zum Teil erheblich beeinträchtigt durch ein Lektorat, das angesichts der vielen Schreibfehler und allgemein uneinheitlichen Schreibweise leider nicht anders als schlampig zu bezeichnen ist. Der Prophet Muhammad wird ganz nach Belieben in allen möglichen Variationen geschrieben, von Mohammed über Mohammad zu Mohamed findet sich alles. Für seine Anhänger hat sich im seriösen akademischen und journalistischen Sprachgebrauch inzwischen die Bezeichnung »Muslime« und »muslimisch« durchgesetzt. Was die Autorinnen dazu bewogen hat, sich für das eher umgangssprachliche »Moslem« und im Plural salopp »die Moslems« zu entscheiden, bleibt ihr Geheimnis. Soeprapto-Jansen spricht gar von der »Muslemin«.

 

Ärgerliches Lektorat

 

Eine Fußnote zum Stichwort »Salafismus« verweist den geneigten Leser allen Ernstes als weiterführende Quelle auf eine Website namens www.geistigenahrung.org. Da war der schnelle Internetklick wohl praktischer als die Suche nach einem möglichen deutschsprachigen Standardwerk, das seriös in die Thematik einführt. Und ein Satz aus einem Artikel einer Rezensentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat die Autorinnen anscheinend so beeindruckt, dass sie ihn kurzerhand übernommen haben und gleich zweimal zitieren, allerdings ohne eine Quellenangabe für nötig zu halten.

 

Nicht zu verzeihen sind Aussagen und Namensnennungen, die schlicht und einfach falsch sind. Der deutschstämmige Jesuitenpater Franz von Magnis-Suseno wird mal richtig, dann aber immer wieder hartnäckig über Seiten hinweg falsch als Franz Magnis von Suseno zitiert. Ex-Präsident Abdurrahman Wahid wird im letzten Drittel des Buchs aus unbekannten Gründen zu Abdul Rachman Wahid – das ist, als ob langjährige Deutschlandexperten von einer Angela Märckel schreiben. Zudem wird er weiterhin als Vorsitzender der größten indonesischen Massenorganisation »Nahdlatul Ulama« genannt – das ist er allerdings schon seit 1999, also immerhin zehn Jahren, nicht mehr. Und dann wird diesem Abdul Rachman Wahid und seiner Frau Sinta Nuriah (sic, richtig: Sinta Nuriyah) auch noch die Menschenrechtsaktivistin Yeni Rosa Damayanti als Tochter angehängt – gemeint war wohl Yenny Wahid, aber vielleicht liegen da Vaterschaftsverbindungen vor, die der Rezensentin bisher nicht bekannt waren. Und als ob diese und andere Fehler nicht reichten, werden die Feiertage am Ende des Ramadan zum »islamischen Neujahrsfest am Ende des Fastenmonats« erklärt.

 

Die Autorinnen haben ohne Zweifel aus einem langjährigen, reichen Erfahrungs- und Wissensschatz zu berichten. Eine gründlichere Überarbeitung des gesamten Textes, gewissenhaftere Überprüfung von Hintergrundinformationen und ein Lektorat, das diesen Namen auch wirklich verdient – das wäre dem Buch sehr zu wünschen gewesen.

Von: 
Bettina David

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