Christopher Newman von der Qatar Foundation über die Profiteure des Lohndumpings, verbindliche Mindeststandards für Gastarbeiter – und wie man in Katar mit Kritik Gehör findet. Das Interview aus dem Katar-Dossier der zenith 1/14.
zenith: Wer ist für die untragbaren Bedingungen für Arbeiter in Katar verantwortlich?
Christopher Newman: Die Probleme beginnen oft schon sehr früh im Migrationszyklus, wenn die Arbeiter in ihren Heimatländern rekrutiert werden. Es ist eine Handlungskette mit entsprechenden Verantwortlichkeiten. Wenn eine Baufirma zum Beispiel einzig nach dem Faktor Kosten ausgewählt wird, unterstützen die Auftraggeber indirekt schlechte Einstellungspraktiken. Der Glaube mancher Unternehmen, dass billige Arbeitskraft ihnen erlaubt, Projekte kostengünstiger umzusetzen, ist absolut irreführend. Gerechte Einstellungspraktiken und Standards sind eine Investition und keine Kosten. Ein Arbeiter, der gut behandelt wird, hat eine bessere Lebensqualität, ist produktiv und arbeitet auf ein besseres Ergebnis hin.
Verstecken sich internationale Unternehmen hinter ihren Subunternehmern?
Die deutschen Firmen, mit denen ich zu tun hatte, denken und handeln in einer sozialverantwortlichen Weise und verstehen, dass die Situation sich ändern muss. Firmen wie Strabag, Züblin und Siemens waren sehr kooperativ. Unter gewissen Umständen können europäische Firmen in ihren Heimatländern gesetzlich zur Verantwortung gezogen werden, insbesondere wenn bewiesen werden kann, dass sie Firmen beschäftigen, die in ihrem Umgang mit den Arbeitern gegen das Gesetz verstoßen. Abgesehen davon: Die katarischen Arbeitsrechte erläutern die Voraussetzungen für die Unterbringung, Arbeitsstunden, Vertragsgestaltung und andere wichtige Bereiche, die die Arbeitgeber einhalten müssen.
Christopher Newman, 40,
leitet seit Juni 2012 die Sozialabteilung des Direktorats für Gesundheit, Sicherheit und Umwelt der Qatar Foundation für Bildung, Wissenschaft und Gemeindeentwicklung. Die Abteilung wurde im September 2013 gegründet und kümmert sich um das Wohl der 30.000 Arbeiter in den Projekten der Qatar Foundation.
Werden Baufirmen, die das Gesetz brechen, gerichtlich zur Verantwortung gezogen?
Bauunternehmer werden nicht selten geprüft und auch bestraft, auch wenn die Strafverfolgungsbehörden, das Arbeits- und das Innenministerium angesichts des Ausmaßes dieser Aufgabe eher auf reaktive Weise arbeiten. Das ändert sich allerdings gerade definitiv.
»Die Vermittlungsgebühren werden meist mündlich vereinbart, ohne jeden schriftlichen Beleg«
Was ist die größte Sorge der Arbeiter in Katar?
Die große Mehrheit der Arbeiter bezahlen Vermittler oder Subvermittler, um nach Katar zu kommen. Die Vermittlungsgebühren werden meist mündlich vereinbart, ohne jeden schriftlichen Beleg. Wir hören meistens von Gebühren zwischen 500 und 1.500 US-Dollar, in den schlimmsten Fällen bis zu 11.000 US-Dollar. Viele Arbeiter wachen jeden Morgen auf im Bewusstsein, dass das Geld, das sie an diesem Tag verdienen werden, dafür verwendet wird, dass sie ihre Schulden bezahlen – und nicht ihre Familien unterstützen.
Nehmen die Vermittler den Arbeitern die Pässe weg?
In der Regel nicht. Jemandem ohne dessen Zustimmung seinen Pass zu nehmen, ist illegal. Allerdings bewahren manche der Firmen, die wir geprüft haben, die Pässe ihrer Arbeiter in ihren Hauptniederlassungen auf, und das oft, weil die Arbeiter das so wollen. Wenn du dir ein Zimmer mit acht anderen Leuten teilst, ist es vielleicht besser, wenn der Arbeitgeber auf so ein wichtiges Dokument aufpasst. Die Lösung ist also, in den Unterkünften eine sichere Aufbewahrungsmöglichkeit anzubieten. Das ist eine Forderung in den neuen, verbindlichen Standards der Qatar Foundation für das Wohl der Arbeitsmigranten.
Was macht die katarische Regierung, um die Situation zu verbessern?
Das hat für den Staat höchste Dringlichkeit. Wir hatten viele Treffen auf höchster Ebene – das ist ein Vorteil der Qatar Foundation, die von der Regierung wahrgenommen und respektiert wird. Die Existenz meines Arbeitsplatzes und unsere Abteilung zeigen, dass wir eingesetzt wurden, um die Standards für das Wohl und die Lebensqualität der Arbeiter zu verbessern. Unsere Abteilung konzentriert sich völlig auf die Belange der Arbeitsmigranten. Schon vor der Gründung der Abteilung hat eine Arbeitsgruppe mit Experten in den Bereichen Bau, Gesundheit und Sicherheit, Justiz und internationale Menschenrechte die neuen Standards der Qatar Foundation entwickelt. Sie sind seitdem Bestandteil jedes neuen Vertrags der Projekte der Qatar Foundation. Unsere Abteilung ist dafür verantwortlich, die Einhaltung dieser Standards mithilfe von Interviews und häufigen Inspektionen der Unterbringung und des Transports der Arbeiter zu überprüfen. Wir nehmen Prüfungen der Einstellungspraxis und -vereinbarungen, der Arbeitsverträge, der Gehälter und anderer wichtiger Punkte bei den Firmen vor.
»Vorwürfe anzubringen wird Ihnen nicht die richtige Antwort einbringen«
Viele der Arbeiter verdienen nicht mehr als 600 Rial im Monat. Finden Sie das fair?
Meiner Erfahrung nach schwanken die Gehälter für ungelernte und gering qualifizierte Arbeitskräfte zwischen 600 und 1.200 Rial. Die Botschaften der Länder, die Arbeiter nach Katar entsenden, bestimmen für diese die Mindestlöhne, und Arbeitgeber richten sich dann in der Regel danach. Natürlich machen niedrigere Mindestlöhne die Entsendeländer wettbewerbsfähiger.
Ist Katar unfähig, mit Kritik umzugehen?
Katar kann mit Kritik umgehen, aber es hat damit zu tun, wie man die Botschaft überbringt. Vorwürfe anzubringen wird Ihnen nicht die richtige Antwort einbringen. Einer der wichtigsten Katalysatoren für das Umdenken der Regierung waren der Bericht von Amnesty International und die Vereinten Nationen, weil Lösungen vorgeschlagen und Fortschritte wahrgenommen wurden, aber auch Probleme herausgestellt. Kritik sollte konstruktiv sein.