Wie begeht man den Jahrestag am 23. Juli im postrevolutionären Ägypten nun richtig? Auf der Suche nach der Positionierung stellt sich letztlich die Frage, wie man die eigene Geschichte bewerten soll – abseits der Staatspropaganda.
Schon in seiner ersten Rede als neu gewählter Präsident wählte der Muslimbruder Muhammad Mursi kritische Worte für die Epoche Nasser. Zum Jahrestag der 52er-Revolution erneuerte er nun seine Kritik. Die Revolution damals habe ihre Ziele nicht erreicht. Wohl habe sie soziale Reformen und Gerechtigkeit gebracht, Freiheit und Demokratie habe sie aber nicht einführen können.
Im Gegenteil sei der Putsch der Offiziere und Nassers Regierungszeit das Einfallstor zur Militärherrschaft gewesen. So sehen es die Muslimbrüder und weite Teile des religiösen politischen Lagers, die unter Nasser unter Massenverhaftungen und Verfolgungen zu leiden hatten. Die Opposition von damals sieht sich heute nun in der Position, den gefeierten Helden Nasser in ein anderes Licht zu stellen.
Befreiung von Monarchie, Gründer der Republik, Präsident des Volkes – das waren die Attribute, die Nasser und den Freien Offizieren vom alten Regime zugesprochen wurden. Nach den gewonnenen Wahlen sprechen Islamisten ihre Sicht der Dinge klar aus. Die Freien Offiziere gründeten ihre Republik auf dem Rücken der vielen verfolgten Oppositionellen und eben nicht auf der Basis der Demokratie.
Dagegen setzen sie das Bild der jetzigen Revolution. Doch erzählen sie diese Geschichte auch etwas anders. Die jungen Leute auf dem Tahrir-Platz rücken in den Hintergrund, das islamistisch dominierte Parlament und der erste frei gewählte Präsident Mursi sind im Vordergrund. So kriegt die Revolution einen islamistischen Anstrich.
Vorbei die Zeiten, in denen Gamal Abdel Nasser als unantastbarer Staatsheld verehrt wurde?
Diesem Statement wurde natürlich von einigen Seiten heftig widersprochen. Der unterlegene Präsidentschaftskandidat und General Ahmad Schafik konterte im Staatsfernsehen, dass die Revolution 1952 Feudalismus und Monarchie beendet habe. »Die Revolution von 1952 war das wichtigste geschichtliche Ereignis des 20. Jahrhunderts.
Es führte zur Befreiung von Ägypten, Afrika und der arabischen Welt, etablierte das republikanische System und befreite uns von Feudalismus«, so Schafik. Auch der Militärrat erklärte es für wahnwitzig, die Errungenschaften der Revolution der Freien Offiziere zu leugnen. Vertreters des Militärs rügten Mursi für seine »Geschichtsvergessenheit«. Er solle nicht die Generationen gegeneinander ausspielen.
Doch nicht alle außerhalb des islamistischen Lagers stehen Mursi kritisch gegenüber. Die Revolutionsjugend, die treibende Kraft der Revolution 2011, ist gespalten. Die »Bewegung des 6. April«, eine der wichtigsten Jugendbewegungen der Revolution, rief für den 23. Juli nicht zum Feiern, sondern zum Demonstrieren auf. »Die 52er-Revolution hat die Offiziere erst an die Macht gebracht, Militärdiktatoren sind auch Erbe der Revolution.
Und dagegen müssen wir weiterhin demonstrieren«, so ein »6. April«-Aktivist. Doch andere aus dem linken Spektrum widersprechen: »Wenn Nasser nicht Bildung für alle und das kostenlos ermöglicht hätte, dann wären wir jetzt alle nicht hier, dann könnten wir nicht lesen und über Politik diskutieren und Plakate schreiben.«
Sie plädieren dafür, Nassers Erbe mit Augenmaß zu sehen und seine Erfolge durch soziale Reformen, der Landreform zugunsten von Kleinbauern und die Ausweitung von kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung nicht zu vergessen. Die Wandlung der Militärs von Befreiern und Staatsbegründern zu einer machtgierigen Interessengruppe sei damals nicht zu ahnen gewesen. Geschichte wird also neu gedacht im postrevolutionären Ägypten.
Die Zeiten, in denen Gamal Abdel Nasser als unantastbarer Staatsheld verehrt wurde, sind vorbei. Jedenfalls können seine Anhänger ihn nicht mehr feiern, ohne sich gleichzeitig mit den kritischen Stimmen auseinanderzusetzen.