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Koran-Verteilaktion von Salafisten

Mit anderen Worten

Feature

Dank der großen Verteilaktion der Salafisten sind etliche tausend Koranexemplare in Umlauf. Doch welche Übersetzung wurde überhaupt verteilt? Und wie geht man richtig mit dem Koran um? Eine Annäherung von Eva Marie Kogel.

Neulich am Brandenburger Tor: Die Sonne scheint und zwischen historischen Pferdekutschen und einer Breakdance-Combo jagen jugendliche Skater durch die Touristenströme. Die Jungs mit den tief sitzenden Hosen drehen betont lässig ihre Runden. In der einen Hand halten sie, soweit nicht ungewöhnlich, ein Bier. In der anderen, und das mag nicht so recht ins Bild passen, ein Koranexemplar. Wenige hundert Meter weiter, am Potsdamer Platz, hatte eine Gruppe Salafisten ihren Stand aufgebaut.

 

Ist der Koran jetzt richtig cool geworden? Wird der heilige Text der Muslime die Halfpipes der Republik erobern und neigen sich die Skater demnächst auf ihren Knieschonern gen Mekka?

 

Wohl eher nicht. Der heilige Text der Muslime hatte es, wenn er auf ein europäisches Publikum traf, selten wirklich leicht. Seine europäische Rezeptionsgeschichte ist auch eine Geschichte von Missverständnissen.

 

Voltaire nannte den Koran ein »unverdauliches Buch«

 

Die erste Übersetzung ins Deutsche – über den Umweg aus dem Lateinischen – wurde im frühen 17. Jahrhundert als »Türkenbibel« bekannt. Im Grunde genommen fristet der Koran bis heute ein Dasein unter Plagiatsverdacht. Auf Grund der vielen biblischen Referenzen muss der Text sich den Verdacht gefallen lassen, eine christliche Häresie zu sein.

 

In unseren Tagen nun scheint der Koran grundsätzlich verdächtig. Es ist an der Zeit, den Text zu entdämonisieren, und das funktioniert am besten über einen offenen und aufgeklärten Umgang. Sicher, der Koran ist keine leichte Lektüre. Beschwert darüber haben sich viele. Ein »unverdauliches Buch« nannte es Voltaire und auf den ersten Blick, eines europäischen Lesers vielleicht, ist sein Unmut nachvollziehbar: Während die dem europäischen Kontext so vertraute hebräische Bibel einigermaßen dem chronologischen Verlauf der Heilsgeschichte folgt, reiht der Koran scheinbar ohne Sinnzusammenhang seine 114 Suren aneinander – der Länge nach abfallend geordnet und in Reimform.

 

Und auch wer dieser Tage ein Exemplar ergattert hat und sich an die Lektüre macht, wird mit diesen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Die Übersetzung, die jetzt im großen Stil unters Volk gebracht wurde, schafft da auch keine Abhilfe. Sie stammt von Muhammad Ahmad Rassoul, ist bereits 25 Jahre alt und trägt den umständlichen Titel »Der edle Koran. Die ungefähre Bedeutung in der deutschen Sprache«. Rassouls Übersetzung stimmt zu großen Teilen mit der Ahmadiyya-Ausgabe überein, die zu den frühesten ernst zu nehmenden Übersetzungen im deutschen Sprachraum gehört. Die Ahmadiyya-Gemeinschaft ist eine finanzstarke häretische Abspaltung vom muslimischen Mainstream und gilt vielen als unislamischer Kult.

 

Die schlimmste Gefahr der Rassoul-Übersetzung: Langeweile

 

Verteilt wurde eine rein deutsche Ausgabe der Rassoul-Übersetzung, jedoch war sie ursprünglich als arabisch-deutsche Ausgabe konzipiert und ist als solche auch beim Iqra-Verlag erhältlich. Das Deutsch orientiert sich – wohl um einen besseren Vergleich zu ermöglichen – stark am Arabischen, infolgedessen kommt die Übersetzung unnötig holprig und stilistisch schlecht daher. Die schlimmste Gefahr, die von der Übersetzung ausgeht: Die Leute, die die angebotene Übersetzung lesen, denken womöglich, der Text sei tatsächlich so langweilig.

 

Mit ein paar Lektürehinweisen und ein bisschen Bewusstsein für die Textgeschichte ist der Koran viel leichter zu erschließen und Verständnisprobleme sind wohl eher in der Form zu suchen, in der die Geschichten präsentiert werden.

 

Wenn die Jungs vor dem Brandenburger Tor also den Koran aufschlagen, dann werden sie auf der ersten Seite der Übersetzung die recht kurze Eröffnungssure »al-Fatiha – die Öffnende« finden. Direkt darunter beginnt die längste Sure des Korans, die den Namen »al-Baqara – die Kuh« trägt, bis aber eine Kuh auftaucht – die mosaische übrigens – müssen die Leser 66 Verse durchhalten.

 

Wie der Korantext in einer Redaktion zusammengeführt wurde, ist bis heute nicht vollends geklärt

 

Der Koran ist das erste Buch in arabischer Sprache, die meisten Philologen schlagen zwei Erklärungen für den Begriff vor; die arabischen Verben »qarana – sammeln« – oder »qara´a – rezitieren«. Die islamische Lehre erklärt immer wieder, dass der Heilige Geist den Propheten inspiriert hat, der wiederum diese Inspirationen seinen frühen Weggefährten in Versform rezitiert hat. Diese Verse, es gibt ungefähr 6000, wurden dann nach dem Tod des Propheten gesammelt und in Buchform zusammengestellt. Die einzelnen Kapitel sind die Suren, die der Länge nach arrangiert sind.

 

Es gibt unter Forschern Debatten, wie genau der Korantext überliefert und gesammelt wurde. Doch stimmen die meisten Forscher und auch muslimische Autoritäten darin überein, dass der Basistext zwischen 620 und 632 entstanden ist. Nach dem Tod des Propheten wurden die einzeln verkündeten Texte – und dieser Vorgang ist noch nicht geklärt – in einer Redaktion zu einem Text zusammengeführt, der bis heute überdauert hat.

 

Ungefähr zur Halbzeit seiner prophetischen Karriere verlässt Muhammad mit seiner jungen Gemeinde das Handelszentrum Mekka und zieht nach Medina. Im Koran selbst wird dieser Umzug nicht direkt thematisiert, jedoch macht sich die Hidschra als Zäsur im Text bemerkbar. Die mekkanische Gemeinde war noch klein, die Suren, die aus dieser Zeit stammen, sind kürzer, rhythmisch sehr markant und erinnern ein bisschen an die Psalmen.

 

Der Koran ist kein Buch mit Anfang und Ende

 

In Medina angekommen war die Gemeinde bereits etabliert und hatte eine Größe erreicht, die eine Staatsgründung erlaubte. Die medinensischen Suren sind viel länger als die mekkanischen und behandeln zum Beispiel rechtliche Probleme. Auch ist das Verhältnis der muslimischen Gemeinde zu anderen Glaubensgemeinschaften Teil des koranischen Diskurses. So wird in etwa das Verhältnis zu den Juden an einer Stelle verhandelt, die unterschiedliche Übersetzungen zulässt. »Du sollst dir Juden nicht zu awliya machen«, steht da. »Awliya« lässt sich im Deutschen sowohl mit »Freunden« als auch mit »Beschützern« wiedergeben. Die von den Salafisten ausgeteilte Übersetzung entscheidet sich für das weniger strenge »Beschützer«.

 

Was bleibt den Skatern vom Brandenburger Tor also zu raten, sollten sie die Muße aufbringen, sich dem Koran zu stellen? Vielleicht hilft es ihnen, den Text ernst zu nehmen und ihn als das zu lesen, was er ist: Eben nicht als Buch mit Anfang und Ende, sondern als Sammlung einzelner gebetsartiger Kapitel. Als Text, der unterschiedliche Diskurse des siebten Jahrhunderts vor dem Hintergrund jüdischer, christlicher und arabischer Gedankenwelten neu verhandelt.

Von: 
Eva Marie Kogel

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